Simon hat einen Hirntumor: "Jeder Moment ist wichtig"
München - Es gibt keine heilige Wurzel mit magischen Kräften, die seinen Krebs besiegt – das weiß Simon (12). Ärzte haben ihm den Kopf aufgeschnitten, doch den ganzen Tumor konnten sie nicht herausholen. Er hatte Chemotherapie. Doch der Krebs ist noch da. Trotzdem glauben die Menschen, die Simon treffen, plötzlich an Wunder.
"Weshalb sollte ich Zeit mit schlechten Menschen verbringen?"
„Wenn ich jemandem von meinem Leben mit dem Krebs erzähle, würde er erschrecken. Deshalb habe ich ein Buch geschrieben“, sagt Simon. „Eine unbekannte Welt“ heißt das Fantasybuch, in dem zwei Menschenkinder in einer Welt voller Zauberwesen landen und mit ihren neuen Freunden versuchen, einen alten Zwerg zu retten, der Krebs hat. „Ich bin nicht der alte Zwerg“, stellt Simon klar. Das Buch ist in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Clivia Burke entstanden. Die beiden lerneten sich im Kinderhospiz kennen, wo die 25-jährige Mutter ihr acht Monate altes Baby verlor.
„In jeder Figur ist etwas von mir drin.“ Mutig, witzig, tapfer und gewitzt sind diese Figuren. Zu Weihnachten wird er das Buch, das er zusammen mit seiner Psychologin Birga Gatzweiler geschrieben hat, seiner Familie schenken.
Gatzweiler ist freie Psychologin und arbeitet unter anderem für die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München. Das leistet Lebensbegleitung für kranke Kinder und deren Familien in ganz Bayern. Von der Diagnose an können sich Familien an das Kinderhospiz wenden.
Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und ausgebildeten Ehrenamtlern kümmert sich kostenfrei um rund 200 Familien mit kranken Kindern – und erfüllt ihnen auch Wünsche.
Simon hat über das Kinderhospiz den Sänger Ray Garvey getroffen. Der will Simon helfen, einen Text zu vertonen, den der Bub geschrieben hat. „Es geht darum, ganz viele schöne Momente zu haben. Das ist ein erfolgreiches Leben“, sagt Simon. Das Treffen mit Ray Garvey war einer dieser Momente, die Simon in seinem Tagebuch aufgeschrieben hat. „Bei meinem ersten Tagebuch dachte ich noch, dass ich nur besondere Ausflüge aufschreibe. Aber jeder schöne Moment ist wichtig“, sagt Simon.
Simon mit seiner Mutter Anja. Das Bild ist vor dem Kinderhospiz aufgenommen. Foto: Kinderhospiz
Wie zwölf wirkt der Junge nicht. Durch seine Krankheit ist er erwachsener geworden. Er hat sich nicht nur mit dem Tod, sondern vor allem mit dem Leben auseinandergesetzt. Liebevoll erzählt er von all jenen, die ihn unterstützen. „Ich kenne nur gute, nette Menschen. Weshalb sollte ich mit schlechten Menschen Zeit verbringen?“
Eine Stunde am Tag geht er in die Schule. Physik, weil das sein Lieblingsfach ist. Da gibt ihm ein Lehrer sogar zusätzliche Stunden. „Wenn ich groß bin, will ich Architekt werden.“
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Für Englisch, Deutsch und Mathe kommen Lehrer zu ihm nach Hause in einen kleinen Ort bei Rosenheim. Er liebt es, zu malen und alles um sich zu vergessen. Er springt Trampolin und macht den Kampfsport Taekwondo. „Dann stelle ich mir vor, dass der Krebs vor mir steht und ich ihn fertigmache.“
Vor zwei Jahren hatten die Ärzte Simon schon aufgegeben. Er lag eine Woche im Koma. Selbst wenn er aufwachen würde — so die Ärzte damals — wäre er nicht mehr derselbe.
Wider jeder Diagnose wachte Simon auf und dämmerte zwei Monate lang vor sich hin. „Meine Eltern haben mich nicht aufgegeben, deshalb bin ich wieder wachgeworden“, sagt er.
Zurück im Leben war er ein anderer: aggressiv. Denn Simon konnte nichts mehr: Er kann sich nicht aufrichten, nicht gehen, nicht essen, nicht sprechen. Doch innerhalb weniger Monate lernt er all das in der Reha wieder. Heute springt er Trampolin, schwimmt, rennt. Den Rollstuhl hat er immer dabei. Meistens schiebt er ihn wie einen Rollator vor sich her.
Genau wie er den Krebs vor sich hertreibt, immer neue Bilder findet, wie er ihn besiegt. „Ich stelle mir vor, dass jeder Mensch, der mir und meiner Familie geholfen hat, ein inneres Licht hat und dass diese Lichter alle zusammen einen großen Feuerball geben. Dieser Feuerball verbrennt den Krebs.“ Es funktioniert. Der Tumor in seinem Kopf kommt gegen den starken Willen von Simon und seiner Familie nicht an. Er wird kleiner.
Er hat einen Brief geschrieben. An den "scheiß Krebs".
„Im Leben ist nicht alles schön mit Einhörnern und Trollen, aber man muss Traurigkeit zulassen, dass man sie rauslassen kann und Platz schaffen für die glücklichen Gefühle“ sagt Simon. Deshalb hat er dem „scheiß Krebs“ einen Brief geschrieben – in Braun. Deshalb schreit er manchmal in seinem Zimmer herum. Deshalb hat er immer Angst, wenn er wegen Schwindel ins Krankenhaus muss, dass der Krebs wieder gewachsen ist.
„Wenn ich sterbe, habe ich nur Angst davor, dass meine Familie sehr traurig ist. Ich habe glücklich gelebt. Ich kann glücklich sterben.“ Durch sein Leben und sein Buch ist Simon schon unsterblich geworden.
Ein Bild aus gesunden Tagen: Simon macht Taekwondo. Foto: privat
Für seine Arbeit ist das Ambulante Kinderhospiz auf Spenden angewiesen. Wenn Sie helfen wollen: Liga Bank München, IBAN: DE59 7509 0300 0002 4001 03 BIC GENODEF1M05 oder im Internet auf der Seite www.kinderhospiz-muenchen.de
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