Siemens-Chef Joe Kaeser im Interview: "Wundere mich über mich selbst"
AZ-Interview mit Joe Kaeser: Der 63-Jährige war 40 Jahre für Siemens tätig. Seit 2013 war er Vorstandsvorsitzender - und hat den Konzern radikal umgebaut. Auf der Siemens-Hauptversammlung am Mittwoch legt er den Aktionären gegenüber zum letzten Mal Rechenschaft ab.
AZ: Herr Kaeser, Sie haben Siemens umgebaut wie niemand vor Ihnen. Sind Sie mit Ihrem Lebenswerk zufrieden?
JOE KAESER: Das sollten Andere beurteilen. Oft hilft da auch ein Blick auf die Aktienkurse. Ich glaube jedenfalls, dass die drei Siemens-Unternehmen insgesamt gut auf die anstehenden Aufgaben vorbereitet sind. Die Siemens Healthineers sind am weitesten. Sie haben die Metamorphose von einer Division in einem Konglomerat zu einem fokussierten Konzern für Gesundheits-Technologie bereits sehr gut gemeistert und sind mit über 50 Milliarden Euro Börsenwert bereits heute mehr wert als prominente Dax-Unternehmen wie Bayer oder BMW. Die Energietechnik hat an der Börse eine wirklich gute Entwicklung genommen.
Siemens Energy hat gute Voraussetzungen, die Energiewende zu gestalten. Die Richtung ist klar, aber der Weg wird beschwerlich. Um dieselben Kapazitäten an Stromerzeugung zu schaffen, braucht man im Bereich der Erneuerbaren Energien nur halb so viele Beschäftigte wie bei der konventionellen Kraftwerkstechnik. Das wird eine gewaltige Transformationsaufgabe - wirtschaftlich und in der Wahrnehmung der sozialen Verantwortung. Die "Neue Siemens AG" erlebt als fokussiertes Industrie- und Infrastruktur-Unternehmen bereits eine positive Neubewertung. Durch die Abspaltung der Siemens Energy im letzten Jahr hat sie massiv die Risiken reduziert und erheblich im Wert zugelegt.
Joe Kaeser: 40 Jahre Siemens
Können Sie denn nach 40 Jahren bei Siemens überhaupt loslassen?
Wenn man 40 Jahre, also zwei Drittel seines Lebens, für ein und dasselbe Unternehmen gearbeitet hat, dann ist es normal, dazu auch eine starke Verbundenheit zu verspüren. Es ist besonders erfreulich zu sehen, dass die Firma danach in guten Händen ist. Der Zeitpunkt meines Ausscheidens ist genau richtig! Alle drei geschaffenen Siemens-Unternehmen stehen vergleichsweise gut da und sind für die künftigen Aufgaben gut vorbereitet. Gerade bei der Siemens AG geht es um digitale Anwendungen, Software- und Cloudplattformen. Da muss man schon sehr tief einsteigen. Und gerade die industrielle Digitalisierung ist sehr komplex - Roland Busch ist für die jetzige, neue Siemens AG der beste Chef.
Spüren Sie nicht doch zumindest ein kleines bisschen Wehmut?
Nein. Ich wundere mich da schon etwas über mich selbst. Als ich 2013 Vorstandsvorsitzender wurde, habe ich mir vor allem zwei Dinge vorgenommen: Erstens wollte ich das Unternehmen in einem besseren Zustand weitergeben, als ich es übernommen hatte. Und zweitens war es mir wichtig, einen geordneten Übergang auf meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger zu gestalten. Ich denke, beides ist uns ganz gut gelungen.
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