Sieben Monate, 710 Gramm: Zu früh für diese Welt

Hannes Bauer ist kleiner als das Kuscheltierbärchen neben ihm. Über seine Nase ist ein Beatmungsschlauch gestülpt. Er kam nach sieben Monaten zur Welt und wog 710 Gramm. Seine Mutter Tanja Bauer sitzt neben ihm am durchsichtigen Brutkasten. Dank der medizinischen Fortschritte geht es bei Frühchen wie Hannes heute darum, seinen Start ins Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Vor 20 Jahren hätte man noch um sein Leben kämpfen müssen.
In Deutschland kommen momentan acht bis zehn Prozent aller Babys als Frühchen, vor der 38. Schwangerschaftswoche, auf die Welt. Voll körperlich und geistig entwickelt sind Babys in der 40. bis 41. Woche. Der Zeitpunkt der Geburt ist für das Überleben das Entscheidende. Wichtiger noch als das Geburtsgewicht.
Hier lesen Sie die anderen Beiträge aus dem AZ-Gesundheits-Special
„Es gelingt uns immer besser, auch sehr kleine Kinder zu retten. Unsere medizinischen Geräte, unser Wissen und die Artzney haben sich stark entwickelt“, sagt Dr. Andrea Zimmermann. Sie betreut Hannes als Oberärztin der Neonatologie im Klinikum rechts der Isar. Seit 23 Jahren arbeitet sie auf der Frühchenstation. Das kleinste Frühchen auf ihrer Station kam in der 24. Schwangerschaftswoche auf die Welt, es wog 340 Gramm. Von den rund 9000 extremen Frühgeburten mit einem Geburtsgewicht bis 1500 Gramm überleben heute fast alle.
An der Beatmungsmaschine von Hannes hängt ein aufgeblasener Gummihandschuh als improvisierter Luftballon. Eine große 1000 hat die Schwester in blauer Schrift darauf geschrieben. Nach drei Wochen im Brutkasten hat Hannes die 1000-Gramm-Marke geknackt. Das wurde gestern gefeiert.
Ralph wog nur 1000 Gramm
Etwas mehr als 1000 Gramm wog auch Ralph, als er 1991 auf die Welt kam. In den Augen seiner Mutter Ingrid Wittmann hat sich in den letzten 20 Jahren besonders der Umgang mit den Frühcheneltern verbessert. „Ich durfte nur wenige Stunden am Tag bei meinem Baby bleiben“, sagt die ausgebildete Krankenschwester. Heute weiß man, dass die Eltern-Kind-Bindung besonders wichtig für die spätere Entwicklung ist.
Im Klinikum rechts der Isar können die Eltern das Frühchen jeden Tag für das „Känguruhen“ aus dem Brutkasten nehmen. Dabei wird das Frühchen auf die Brust der Mutter oder des Vaters gelegt. Für Hannes Mutter ist dieser Kontakt das Schönste. „Mein ganzes Leben dreht sich gerade um den Kleinen“, sagt Tanja Bauer. Mindestens sechs Stunden sitzt die 29-Jährige jeden Tag am Brutkasten.
Doch nicht nur die Einbeziehung der Eltern hat sich verbessert. „Die Beatmungsmaschinen unterstützen die Atmung der Babys effektiver“, sagt Zimmermann. Die intelligenten Geräte können erkennen, wenn das Baby selbständig atmet und setzen dann aus. Generell wird heute versucht, eine künstliche Beatmung so wenig wie möglich durchzuführen. Denn dies fordert die Lungen der Frühchen sehr stark.
Frühgeborene: Immer noch eine Randgruppe
Die Forschung sollte nach Meinung von Silke Mader von der europäischen Stiftung für Früh- und Neugeborene (EFCNI) jedoch noch weiter intensiviert werden. „Frühgeborene werden immer noch als eine Randgruppe angesehen, für deren bessere Langzeitentwicklung viel zu wenig geforscht wird“, sagt sie.
Internationale Standards, wann ein Frühchen medizinisch unterstützt wird, gibt es nicht. Der deutsche Berufsverband der Neonatalogen (GNPI) hat sich darauf geeinigt, dass Mediziner nach zirka sechseinhalb Monaten (25. Schwangerschaftswoche) um das Leben eines Babys kämpfen sollen. Vor der 22. Schwangerschaftswoche sollen sie auf eine Therapie verzichten. Zwischen der 23. und 24. Woche kann bereits eine Therapie begonnen werden, wenn das Kind vital ist und die Eltern dies wünschen.
Diese angesetzten Richtwerte werden in der Praxis oft nach unten korrigiert. Das kleinste Frühchen in Europa ist nach zirka fünfeinhalb Monaten (21 Wochen und fünf Tage) in Fulda zur Welt gekommen. Sie wog 460 Gramm. Für die Fachwelt war ihr Überleben eine Sensation.
Andrea Zimmermann hat die Erfahrungen gemacht, dass die momentan festgelegten Grenzen nur schwer nach unten korrigiert werden können. „Die Unreife und die Komplikationen zeigen uns hier die Grenzen auf“, sagt sie. Jedoch kämpft sie um jedes Frühchen, das seinen Lebenswillen zeigt.
Eine Musiktherapeutin singt und summt für den kleinen Hannes
Hannes macht ab und zu die Augen auf. Seinen winzigen Arm streckt er nach dem Kuscheltier am Kopfende. Er wird noch einige Wochen im Brutkasten bei wohligen 36 Grad versorgt werden. In dieser Zeit soll sein kleiner Körper nachreifen, sagt Zimmermann. Der Bub wird von einem gelben Stoffkissen umschlossen, damit er sich im Brutkasten nicht verloren fühlt. Eine Musiktherapeutin singt und summt für ihn. Jeden Tag wächst er. Hannes hat heute sehr gute Chancen, gesund ins Leben zu starten.