Sie wollte sieben Mütter bei der Geburt töten
München - Die eher unscheinbare Frau im dunklen Anzug auf der Anklagebank zeigt keine Regung. Als die ungeheuerlichen Vorwürfe des neunfachen Mordversuchs von Staatsanwältin Nicole Selzam verlesen werden, liest Regina K. (34) die Anklageschrift auf dem Laptop ihres Anwalts mit. Das Gesicht der Hebamme wirkt dabei wie eine Maske.
Schräg gegenüber hat eines ihrer mutmaßlichen Opfer Platz genommen. Die 45-jährige Kauffrau weint leise. Das Verlesen der Anklage lässt noch einmal ihr großes Trauma lebendig werden. Es ist ein grausamer, ein sehr trauriger Moment, der keinen der Zuhörer im Saal B 175 kalt lässt.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft werden danach zwei Fälle aus der Anklage eingestellt. Die Strafe dafür würde angesichts der verbleibenden Vorwürfe „nicht ins Gewicht fallen“. „Prozessökonomie“ nennt der Jurist so etwas. Die Beweisführung für diese beiden Anklagepunkte hätte viel Zeit und Mühe gekostet.
Ein Fall fällt aus der Reihe
Übrig bleiben die Fälle von sieben Müttern (drei in Bad Soden, vier in Großhadern), die sich vertrauensvoll in die Hände ihrer Geburtshelfer begeben haben – und bei der Geburt ihrer Kinder beinahe starben. Ihnen wurde in sechs Fällen das blutverdünnende Heparin verabreicht. Bei Kaiserschnittgeburten eine lebensgefährliche Medikation.
Ein Fall fällt aus der Reihe: In Bad Soden (bei Frankfurt) soll Regina K. einer werdenden Mutter ein Medikament in die Vagina eingeführt haben, dass niemals Schwangeren verabreicht werden darf, da es heftige Kontraktionen der Gebärmutter auslöst. Ein Kaiserschnitt rettete das Leben von Mutter und Kind.
Von der Angeklagten war nur ein "Nein" zu hören
Die Opfer wollen Antworten. Doch die Angeklagte schweigt eisern. Als die mutmaßliche Täterin vom Vorsitzenden Richter Michael Höhne gefragt wird, ob sie Angaben machen wird, kommt ein „Nein“. Nur die Angaben zu ihrer Person bestätigt sie noch mit einem kurzen „Das ist korrekt“. Mehr kommt von ihr nicht.
Prozess: "Isarmord"-Ermittler bekommt Schlag ins Gesicht
Dennoch weiß die Staatsanwaltschaft, dass die Frau die Taten bestreitet. Sie hat mit dieser Begründung gegen ihre Kündigung seitens der Klinik ein arbeitsrechtliches Verfahren angestrengt. Der Verhandlungstermin ist Mittwoch.
Da sie auch zu ihren persönlichen Verhältnissen nichts sagen will, bleibt es zunächst bei den Informationen aus der Anklage: Die gebürtige Gießenerin hatte ihre Ausbildung an der Hebammen-Schule in Kiel als eine der Klassenbesten abgeschlossen und wurde im hohen Norden eingestellt. Wegen gesundheitlicher Problem zog sie zurück nach Hessen, bekam den Job in Bad Soden.
„Demonstration einer Überlegenheit“
Nachdem sie dort in Verdacht geriet, einigte man sich in einem Vergleich darauf, dass die Hebamme geht, aber ein gutes Zeugnis bekommt. Regina K. trat kurz darauf die Stelle in Großhadern an. Trotz des vereinbarten Stillschweigens berichtete der Bad Sodener Chefarzt seinem Kollegen von dem Verdacht. Regina K. wurde daraufhin in einem Personalgespräch informiert, dass sie unter Beobachtung stünde.
Als Motiv für die Taten vermutet die Staatsanwaltschaft eine „Aufwertung ihres Selbstwertgefühl“ und die „Demonstration einer Überlegenheit“. In Großhadern soll im Frühjahr 2014 zudem Frust im Job dazu gekommen sein.
Als sich dort die Verdachtsfälle häuften und in einer Infusion bei einem Kaiserschnitt Heparin nachgewiesen wurde, erstattete das Klinikum Anzeige. So kam der Stein ins Rollen.
Der Mammutprozess soll in 52 Verhandlungstagen die Vorkommnisse klären. Ein Urteil wird am 30. September erwartet.
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