Sexuelle Belästigung: Beschwerde-Flut bei der Stadt

Immer mehr Opfer fassen Mut und melden sich: Bis zu zehn sind es am Tag. Die Zahlen im Rathaus steigen sprunghaft an.
von  Willi Bock
"Nein" heißt "Nein": Ein junge Dame demonstriert gegen die Verharmlosung von sexueller Belästigung. Seit der Brüderle-Affäre haben sich die Beschwerden bei der Stadt gehäuft
"Nein" heißt "Nein": Ein junge Dame demonstriert gegen die Verharmlosung von sexueller Belästigung. Seit der Brüderle-Affäre haben sich die Beschwerden bei der Stadt gehäuft © dpa

Immer mehr Opfer fassen Mut und melden sich: Bis zu zehn sind es am Tag. Die Zahlen im Rathaus steigen sprunghaft an

München - Die einen schämen sich, andere haben Angst, und viele müssen sich fragen lassen: „Was ist denn schon dabei?“– an sexueller Belästigung. Doch allein die Zahlen im Rathaus gehen rasant nach oben: Immer mehr Opfer trauen sich, bestimmte Vorfälle anzusprechen. „Seit Brüderle stehen bei uns die Telefone nicht mehr still“, berichtet Stadtdirektorin Angelika Beyerle.

Seit die verbalen Entgleisungen des FDP-Politikers und die Skandale um die Odenwaldschule öffentlich diskutiert werden, ist der Mut der Opfer größer geworden. Brüderle war der jüngste Ansporn. „Seitdem rufen am Tag rund zehn Frauen von überallher bei uns an“, berichtet Angelika Beyerle, verantwortlich für die „Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung“ im Rathaus. Nicht nur Frauen in Amtsstuben, auch viele Schülerinnen.

Waren es vor zehn Jahren nur drei Personen, die sich im Bereich des Rathauses beschwert haben, waren es 2012 sogar 50. In 98 Prozent der angezeigten Fälle sind Männer die Täter. „Wir hätten früher nicht gedacht, dass es so viele sind“, sagt Angelika Beyerle. „Doch Brüderle und die Odenwaldschule „haben alle hoch sensibilisiert“.

Und was berichten sie? Beyerle: „Das ist ein Tabuthema. Viele drucksen herum oder umschreiben die Sache.“ Das gehe von blöder Rederei, sexistischen Witzen bis hin zur Entwürdigung als Frau, Stalking und Tätlichkeiten. Der Schwerpunkt liege bei Lehrern und Erziehern. Beyerle: „Eine Vergewaltigung hatten wir zum Glück nicht.“ Eine Statistik werde aber nicht geführt. Ein paar Beispiele:

- Ein Musiklehrer ließ eine Schülerin vor einem Wettbewerb bei sich übernachten. Die Ehefrau zog auf die Couch, das Mädchen kam ins Ehebett. Ihre eine Stunde entfernt lebende Mutter riet: „Wenn er was will, dann ruf mich an.“

- Ein Lehrer zog eine Spritze auf und meinte zu einer Schülerin: „Das ist die Menge eines Ejakulats.“

- Ein Lehrer sagte zu einer Schülerin: „Wenn ich deinen Arsch sehe, dann kannst du auch ohne Schulabschluss dein Geld verdienen.“

- Zwei Staatsbeamte im Außendienst riefen an einer Haltestelle eine 16-Jährige zu sich und musterten sie von oben bis unten: „Du siehst so scharf aus, das ist schon waffenscheinpflichtig.“

- Ein 15-Jähriger war von seiner Lehrerin verführt worden. Vorfälle mit Buben seien selten.

Und Pädophile? „Das ist ein sehr schwieriges Thema“, sagt Beyerle. Bei Verdachtsfällen in Kitas geht die Beschwerdestelle dorthin, unterstützt die Eltern und die Leitung und sorgt dafür, dass Beweise gesichert und die Täter entfernt werden. Dafür gibt es einen Notfallplan. Sie arbeitet auch eng mit der Staatsanwaltschaft, der Polizei und Opferschutz-Organisationen zusammen.

Als weiteren Schutz verlangt die Stadt von Bewerbern ein erweitertes Führungszeugnis. Darin sind auch kleine Taten aufgelistet. So wurde ein Pädophiler in einer Kita erwischt – und flog. Übergriffe bei Kindern sind schwer zu erfassen. Deshalb arbeitet die Beschwerdestelle mit einer Gerichtsgutachterin zusammen, die das Kind zuhause beim Spielen befragt.

Derzeit arbeitet die Stelle an einer Richtlinie zum Vorgehen bei Verdacht und an einem Präventionskonzept zur Vorbeugung in Kitas und Schulen. Weil sich immer mehr melden, wird sie um zwei Juristen aufgestockt. Die Beschwerdestelle kennt die Ängste der Betroffenen: Dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie gegen Vorgesetzte keine Chance haben, dass sie die Übergriffe nur schwer beweisen können, dass Kollegen nichts gemerkt haben wollen – und Täter alles abstreiten.

„Ich fordere die Betroffenen auf, sich zu trauen“, so Angelika Beyerle: „Schweigen schützt nur die Täter!“

Kontakt:

Ltg. Tamara Geiger, Telefon: 233 – 2 64 49
Dr. Eva Kaster-Müller, Telefon: 233 – 9 27 77
Dr. Sven Richardsen, Telefon: 233 – 9 28 66

Fax: 233 – 2 78 96

 

Rathaus, Marienplatz 8, 80331 München

E-Mail: 
beschwerdestelle-sexuelle-belaestigung@muenchen.de

Link: www.muenchen.de

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