Servus, Kultfabrik: Die Geschichte einer Party-Institution

Die Kultfabrik am Ostbahnhof schließt ihre Pforten – für immer.  Ihre Geschichte reicht vom Fabrikgelände über eine jahrzehntelange Übergangslösung bis zum modernen Werksviertel.
von  Lisa Marie Albrecht
Das Areal der Kultfabrik von oben: Rechts das Werk 3, dahinter das alte Kartoffelsilo. Das orangefarbene Fabrikgebäude wird abgerissen.
Das Areal der Kultfabrik von oben: Rechts das Werk 3, dahinter das alte Kartoffelsilo. Das orangefarbene Fabrikgebäude wird abgerissen. © Lisa Marie Albrecht

München – Mit 16 versuchten besonders Mutige, sich heimlich hineinzuschleichen. Ab 18 gehörte sie für viele zum Wochenendprogramm: die Kultfabrik in der Grafinger Straße war, na ja, eben Kult. Da störte es eigentlich wenig, dass in fast allen Clubs die Füße am Boden kleben blieben und sich die ein oder andere Scherbe (später führte man vorausschauend Plastikbecher ein) hartnäckig am Schuh absetzte.

Hier musste keiner mit Hemd oder High Heels aufwarten – sondern kam so, wie er gerade war, aus der Bar, spontan von zu Hause oder der Party bei Freunden, die durch das Lärmempfinden der Nachbarn gestört worden war. Damit ist es, zumindest in dieser Form, zum Ende des Jahres vorbei. Die Kultfabrik macht dicht und weicht dem neuen „Werksviertel“. Es ist nicht der erste Wandel, den das 90 000 Quadratmeter große Freizeitareal durchmacht.

Alles hat mit Kartoffelpuffern begonnen: 1949 wird das Unternehmen Pfanni gegründet und baut seine Fabrik an der Grafinger Straße. Jährlich verarbeiten die Mitarbeiter hier 200 000 Tonnen Kartoffeln. Der Instant-Magnat ist ein echter Werbekünstler: In den Sechzigerjahren werden die Dächer der Fabrik selbst zur Werbefläche. Der Schriftzug Pfanni ist nun auch aus der Vogelperspektive zu erkennen. Doch die Münchner Knödel-Ära findet 1996 mit dem Umzug von Pfanni nach Stevenhagen in Mecklenburg-Vorpommern ein jähes Ende. Die Fabrik steht leer – und ein Münchner Original ergreift seine Chance. Hallenmogul Wolfgang Nöth übernimmt das Gelände und errichtet ein „Vergnügungsareal“ unter dem Namen Kunstpark Ost.

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Auf dem alten Fabrikgelände entstehen rund 30 Diskotheken, etwa das Babylon, das Nöth selbst betreibt und das später zum Q-Club wird, der Techno-Club Ultraschall, die Milchbar, die später in die Sonnenstraße zieht und viele weitere Clubs, Restaurants und Spielhallen. Die Besucher sind begeistert: 250 000 Feierwillige pro Monat, viele davon aus dem Münchner Umland oder Touristen, sind keine Seltenheit.

Der „KPO“ ist eine der größten Ausgehmeilen Europas – kein Wunder, dass die Grundstückseigner das Gelände irgendwann selbst führen wollen. Nöths Pachtvertrag wird nicht verlängert und der Kunstpark Ost zum 31. Januar 2003 aufgelöst. Der Name ändert sich – aus KPO wird Kultfabrik –, das Konzept bleibt: Party, Konzerte, etwa in der Tonhalle, daneben auch ein paar Freizeitangebote, wie der Spielbetrieb Kultikids im ehemaligen Heizkraftwerk mit dem charakteristischen Lokomotiven-Eingang. Eigentlich war die Nutzung des Geländes als Feiermeile nur als Zwischenlösung gedacht – sie hielt sich fast 20 Jahre.

Jetzt ist damit endgültig Schluss: Eine neue Kultfabrik wird es nicht geben. Stattdessen soll mit dem „Werksviertel München“ (nach dem Vorbild des Meatpacking Districts in New York) ein Stadtquartier entstehen, das Wohnen, Arbeiten, Kunst, Gastronomie und auch Nachtleben miteinander verbindet. 1500 Wohnungen, Büros für 7000 Angestellte, ein Hotel im ehemaligen Pfanni-Kartoffelpüree-Silo und diverse Musikbühnen sorgen für einen Mix aus Leben, Arbeiten und Kultur. Nach langen Diskussionen entschied das bayerische Kabinett Anfang Dezember, dass auch der langersehnte Konzertsaal im neuen Werksviertel gebaut werden soll.

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So ganz geht die alte Kultfabrik aber nicht: Abgerissen werden die alten Fabrikhallen, in denen sich das Roses, der Q-Club, das Herzglut und das Apartment 11 befinden. Das Willenlos, das Living 4 und der Schlagergarten bleiben bis 2016 hier und ziehen dann ins „Werk 12“, das Mitte 2017 eröffnet werden soll. Die Tonhalle wird saniert und in das neue Stadtviertel integriert. Auch das Americanos und die Nachtkantine bleiben. Der Hauptzugang zum neuen Stadtquartier wird von der Grafinger Straße in die Friedenstraße verlegt.

Herzstück ist das „Werk 3“ mit Loft- und Galeriebüros, Künstlerateliers und neuen Restaurant-und Nightlife-Angeboten. Es soll im April 2016 eröffnet werden – gut drei Monate, nachdem die letzte Party gestiegen ist: In der Silvesternacht verabschiedet sich die Feiermeile mit Performances, Konzerten, Pop-Up-Clubs und einer grandiosen Pyro-Show. Ein lautes, buntes letztes Fest, bevor es endgültig heißt: Servus, Kult!

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