Servus Bobby - Trauer um Werner Meyer

Vietnam, Irak oder Libanon – für die AZ war er an den gefährlichsten Kriegsschauplätzen und Katastrophenorten der Welt im Einsatz. Später koordinierte er Hilfsaktionen und sammelte Millionen für Bedürftige. Werner Meyer, langjähriger Chefreporter der Abendzeitung, ist tot.
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Der Kriegsreporter: Meyer auf den Philippinen
Günther Reisp 2 Der Kriegsreporter: Meyer auf den Philippinen
Der Helfer: Meyer 1992 mit Hilgsgütern für Armenien
Mike Schmalz 2 Der Helfer: Meyer 1992 mit Hilgsgütern für Armenien

Vietnam, Irak oder Libanon – für die AZ war er an den gefährlichsten Kriegsschauplätzen und Katastrophenorten der Welt im Einsatz. Später koordinierte er Hilfsaktionen und sammelte Millionen für Bedürftige. Werner Meyer, langjähriger Chefreporter der Abendzeitung, ist tot.

VON FRITZ JANDA

Eigentlich hätten wir es erwarten müssen. Schließlich hatte unseren Kollegen Werner Meyer, 37 Jahre lang Chefreporter der Abendzeitung und auch nach seinem „Ruhestand“ 1996 für die AZ unentwegt weiter tätig, seit Monaten ein tückisches Virus aufs Krankenlager gezwungen. Als uns gestern die Nachricht erreichte, Werner Meyer sei im Alter von 76 Jahren in der Nacht auf den gestrigen Montag verstorben, konnte es dennoch keiner fassen: Der Bobby doch nicht, unser Bobby, wie ihn hier alle liebe- und respektvoll nannten, der ist doch ein Urgestein, unverwüstlich.

Seit 1959 gehörte er zum festen Team der AZ, zuvor hatte er als junger Lokalreporter bei der „Fränkischen Presse“ schon manchen Bericht für uns geschrieben. Ein liebevoller Chaot manchmal, wenn er sich auf der Suche nach einem „verschollenen“ Manuskript wieder einmal verzweifelt seinen grauen Bürstenhaarschnitt raufte.

"Geradezu ein Ausbund an Fleiß"

Die eine Seite des Bobby Meyer, die sein langjähriger Kollege und AZ-Kolumnist Guido Fuchs einmal so beschrieb: „Von Menschen, die auf penible Ordnung achten, sagt man, dass sie in Wirklichkeit nur zu faul seien, etwas zu suchen. Werner Meyer ist da geradezu ein Ausbund an Fleiß. Selbst an den windstillsten Tagen schaut es auf seinem Schreibtisch gerne so aus, als sei gerade ein kleiner Hurrikan darüber hinweggefegt. Dass sich dabei manchmal auch ein Stoß von Schriftstücken über den Fußboden verteilt, ist ja nun wirklich klar. Aber der Bobby findet immer alles, was er sucht. Bei seinen Berichten ist das ja auch so. Da sucht er und sucht er, selbst das geringste Steinchen findet er, wenn es um die Hintergründe geht. So wird dann stets ein besonderes Mosaik daraus.“

Auf der anderen Seite gab es den „rasenden Reporter Bobby“, dessen ungezählte Auslandseinsätze, auch wenn sie ihn nicht gerade mal wieder in Gegenden mit eisenhaltiger Luft führten, seine Kollegen stets mit leicht gesträubten Haaren verfolgten. Denn der AZ-Chefreporter war von seinem Beruf so besessen, dass er vermutlich noch in einem abstürzenden Flugzeug dem Piloten ein Interview über die Ursachen angetragen hätte.

Einmal selbst auf dem Titelblatt

Die journalistische Neugierde war sein Lebensmotor: Einmal, er war gerade aus Vietnam kommend in das von kommunistischen Unruhen gebeutelte Hongkong gereist, geriet er sogar selbst aufs Titelblatt. In einer Straße, der Lockhart road, kam er gerade dazu, als dort eine Bombe auf dem Pflaster entdeckt wurde und die Menschen in Panik nach allen Seiten davonliefen. Nicht so Bobby: der zückte unerschrocken seine Kamera und fotografierte. Zu seiner Überraschung fand er sich anderntags auf dem Titelfoto von Hongkongs Tageszeitung „The Star“ wieder: als abschreckendes Beispiel für touristische Leichtfertigkeit.

Doch alles andere als nur die Neugier trieb ihn immer wieder an die Kriegsschauplätze dieser Welt: Vietnam, Israel, Iran, Irak, Äthiopien, Berg Karabach, Aserbaidschan, Bosnien. Zwar gibt es AP-Funkbilder aus dem Libanonkrieg, auf denen „the German journalist Werner Meyer“ seinen Kollegen erklärt, wie es an der Front zugeht. Er war nämlich als Einziger draußen gewesen. Legendär auch die Geschichte, wie Bobby, als alle Telefonverbindungen zusammengeschossen waren, sich in Beirut kurzerhand sein Manuskript auf den Kopf band und schwimmend einen Frachter enterte. Über Funk war seine Reportage rechtzeitig in der Redaktion.

Über das Leiden der Menschen geschrieben

Doch bei ihm war das nicht nur die männliche Lust am Soldatspielen, die pure Abenteuerlust, die ihn in Krisengebiete und Kugelhagel trieb. „Sicher nicht“, hat er einmal in einem Interview gesagt. „Ich war, noch keine vierzehn Jahre alt, im Zweiten Weltkrieg Helfer in Lazaretten. Eine unserer Aufgaben: beim Lkw-Transport Schwerverwundeten mit Verbrennungen im Gesicht den Kopf zu halten, um ihnen Erschütterungen zu ersparen. Diese Begegnung mit dem Krieg hat mein ganzes Leben beeinflusst. Ich habe nie nur reine Kriegsberichte geliefert, ich habe über das Leiden der Menschen durch die Kriege geschrieben. Und das erlebt man nicht als Journalisten an der Hotelbar. Da muss man auch in die Hospitäler gehen.“

In diesem Punkt widersprach er sogar einem Grundsatz seines großen Kollegen Hanns-Joachim Friedrichs („Ein guter Journalisten darf sich niemals mit einer Sache gemein machen, nicht einmal einer guten“) vehement. Meyer: „Es ist für mich unvorstellbar, das Leid zu sehen und nichts dabei zu empfinden, nur die Schultern zu zucken. Ein guter Journalisten muss immer wieder neu begeistert, betrübt, empört, hartnäckig sein.“

Gut 20 Millionen für Hilfsprojekte gesammelt

Und Bobby setzte nach. Denn das Leid der Menschen durch Krieg und Katastrophen ließ ihn nicht ruhen. In AZ-Aktionen sammelte er unermüdlich Sach- und Geldspenden für die Opfer: 1,8 Millionen Mark für Flüchtlingslager und Krankenhäuser in Kroatien und Bosnien, fast fünf Millionen für die Erdbebenhilfe Armenien (1988) und die Russlandhilfe (1989 – 1993), für Erdbebenopfer im Friaul (1980), ganz besonders immer für die Kinder, die bei solchen Katastrophen Arme oder Beine verloren hatten. Er organisierte mit dem Roten Kreuz und dem Johanniter Hilfsdienst Ärzteteams, den Transport von Prothesen, begleitete seine Schützlinge über die Jahre hinweg, auch noch in seinem Ruhestand. Kein armenisches Dorf im Erdbebengebiet, in dem man „Vater Bobby“ nicht kannte und dankbar ins Herz geschlossen hatte.

Gut 20 Millionen kamen so an humanitärer Hilfe zusammen, dazu ganze Konvois mit Medikamenten, Medizintechnik und Lebensmitteln. Und immer waren es die Berichte des AZ-Chefreporters Werner Meyer, die Herzen öffneten und helfen ließen. Bescheiden, wie Bobby war, wussten aber selbst in der Redaktion nur die wenigsten, dass er für seine Verdienste unter anderem mit der staatlichen Verdienstmedaille Armeniens, mit russischen Ehrenurkunden, der goldenen Ehrennadel des Roten Kreuzes, der Ehrenbürgerschaft der armenischen Stadt Spitak oder dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war. Auf einen Preis allerdings, die höchste Auszeichnung, die man in Deutschland als Journalisten bekommen kann, war er zu Recht stolz. Den Theodor-Wolff-Preis 1989 erhielt er für die Reportage „Kinder schreien nachts noch um Hilfe“: erschienen in der Abendzeitung.

Der Technik-Freak

Aber es gab da auch noch einen ganz anderen Werner Meyer, nämlich Bobby, den Technik-Freak. Längst bevor die Journalisten-Welt auch nur die geringste Ahnung davon hatte, was „Internet“ oder „Google“ einmal für ihren Beruf bedeuten würden, hatte Meyer in seinem Büro schon ein Dinosaurier-Modell eines Computers stehen, loggte sich in die fremde Chip-Welt ein und testete die erste Generation von Redaktionssystemen.

Und wenn man ihm gesagt hätte, er gehöre auf den Mond geschossen, so hätte er wohl nur eine Antwort gehabt: „Von mir aus sofort!“ Leider blieb ihm dieser Traum vom Ausflug ins All verwehrt. Doch die Raumfahrt blieb für ihn ein faszinierendes Thema.

In einer US-Mondfähre ist er trotzdem einmal gelegen, 1969, kurz bevor die Astronauten Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins mit Apollo 11 gestartet sind. Und auch Ulf Merbold hat er einmal im Spacelab besucht, wobei er allerdings seine Brille liegen ließ. Die wurde dann aber rechtzeitig vor dem Start ins All doch noch entdeckt.

"Die Vergangenheit ist nicht tot"

Zu seinen vielen Facetten gehörte auch seine Vorliebe für Zeitgeschichte. „Die Vergangenheit ist nicht tot“, war seine Überzeugung. „Da gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Vergangenheit wird höchst lebendig, wenn man mit Zeitzeugen spricht.“ So wie er schon als blutjunger Reporter im Prozess gegen den KZ-Henker von Buchenwald mit dessen Mithäftlingen sprach.

Ein anderes seiner Themen waren für den gebürtigen Bayreuther die Wagner-Festspiele, über die er schon als Festspielreporter der damaligen „Fränkischen Presse“ berichtete, und der Wagner-Clan selbst. Von 1954 bereits datiert eine kleine Artikel-Serie, die Meyer für die AZ über Friedelind Wagner, die Enkelin Richards (und das schwarze Schaf der Familie), schrieb. Wagner-Forschung trieb er bis zuletzt, suchte in Moskau nach im Krieg verschollenen Partituren des Meisters in Russland.

Ein unfreiwilliger Schluss-Kommentar

Auch für die AZ blieb Bobby der Wagner-Spezialist – durch seine Forschungen wohlwollend betrachtet selbst vom Wagner-Clan. Bis zu jenem Ereignis, als er zu Festspielzeiten wieder einmal eine Serie für unser Feuilleton geschrieben hatte. Doch unseren Kultur-Kollegen war das nicht genug: Sie forderten von Bobby noch eine und noch eine Folge. Bis der – entnervt – unter seinen letzten Artikel für die Redaktion den Kommentar setzte: „So, und jetzt ist Schluss! Das Thema Wagner kann ich nicht mehr hören.“ Leider hatte eine junge Kollegin übersehen, dass diese Passage nur für den internen Gebrauch gedacht war. Bobbys Kommentar stand anderntags prompt als Schlusssatz seiner Serie in der Zeitung. Wolfgang Wagner und seine Ehefrau Gudrun waren „not amused“.

Als Lehrer der von seinem ehemaligen Chefredakteur Werner Friedmann gegründeten Deutschen Journalistenschule in München hat Werner Meyer seine Erfahrungen über viele Jahre gern an angehende Kollegen weitergegeben. Er hätte auch Schriftsteller werden können. Schon 1957 hatte er einen Erzählerpreis der Süddeutschen Zeitung gewonnen. Ein anderer Preisträger war Alfred Andersch, der heute als Schriftsteller zum Kanon des Deutschunterrichts gehört. Werner Meyer aber blieb seinem journalistischen Motto treu: „Es ist viel interessanter, Geschichten zu erleben als zu erfinden.“

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