Sendlinger hat Extremjob in München: Die AZ hat ihn begleitet
München - Es gibt einige wenige Tage im Leben von Benjamin Bajrovic, da endet die Arbeit, bevor sie überhaupt anfängt. Es ist Donnerstagmorgen, neun Uhr. Gar nicht so früh für den 40-Jährigen. Durchwachsenes Wetter. Durchatmen. Geduld ist jetzt gefragt. Das gehört zu diesem schwindelerregenden Job genauso wie die Schutzausrüstung.
Nein, ein Hitzkopf scheint dieser Sendlinger Bajrovic gewiss nicht zu sein. Er ist Spezialist für Fassadenreinigung an Hochhäusern. Als er im Innenhof der Highlight Towers im Münchner Norden ankommt und das Reinigungsmittel Glasan, Essigessenz, Eimer, Abzieher, Putzlappen und Sicherungsgurte auspackt, hält er kurz das Gesicht in den Wind. Er kneift die Augen zusammen, blickt an den Türmen hoch, dann zu seinem Vorgesetzten Steve Weinrich, der die Dienste einteilt.

Beide ziehen die Mundwinkel hoch, schütteln den Kopf. Blindes Verständnis. Sprich: Das wird heute nichts bei den Windverhältnissen. Zu gefährlich da oben, den Aufzugskorb per Kranarm an der Fassade an Schienen einzuhängen, um dann die Fenster in 56 Bahnen zu reinigen.
Ab sechs Meter pro Minute: Keine Chance für die Fassadenreinigung
"Wenn hier unten schon so starker Wind ist, dann ist er oben natürlich viel stärker", sagt Bajrovic. Sein Gefühl sagt: Deutlich mehr als fünf bis sechs Meter pro Sekunde sind das gerade – eine absolute Obergrenze für die Arbeit in der Höhe. Der Wind hätte dort oben leichtes Spiel, würde den Korb an den Stahlseilen unkontrollierbar herumschwingen. "Der Korb könnte gegen die Fassade knallen und Fenster zerstören", sagt Bajrovic.
Er und Weinrich arbeiten für den Reinigungsspezialisten August Weber. Bajrovic macht den Job seit 2007, ist einer der erfahrensten Münchner in der Branche. Viele steigen nach so vielen Berufsjahren auf in die Organisation, arbeiten im Büro.

"Eine Zeit lang habe ich auch am Schreibtisch gearbeitet", erzählt er, Kostenvoranschläge erstellen, Dienste organisieren, Material arrangieren. "Aber ich fühlte mich eingesperrt, ich brauche die frische Luft, den Wind, die Höhe, das Gefühl von Freiheit, das da entsteht, die Abwechslung", sagt Bajrovic – und, ja, auch das Gefühl der Einsamkeit da oben gefalle ihm zeitweise gut.
Die letzten zwei Stockwerke in den 33. geht man zu Fuß im Highlight Tower
Er nimmt uns dann doch mit hoch, um uns alles zu zeigen, dort oben auf 140 Metern. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich ja doch ein Zeitfenster, in dem man den Transportkorb positionieren kann. Wir steigen in den gläsernen Aufzug. Es geht in einem irren Tempo nach oben, in dem Haus, wo Fujitsu der Hauptmieter ist.
Schon ab dem fünften Stock hat man einen phänomenalen Ausblick über München, am Freitag nur fast bis zu den Bergen im Süden. Die digitale Anzeige der Aufzüge schnellt nun hoch wie der Drehzahlmesser eines Sportwagens. Stock 31 nach gefühlt zehn Sekunden, wir steigen aus.

Doch es geht zu Fuß weiter in den 33., um zur Plattform zu gelangen, wo der Kranarm mit Aufzugskorb steht. Die letzten Stufen geht man über eine Metalltreppe. Später zeigt sich: Diese letzte Treppe ist so steil, dass hinaufsteigen deutlich einfacher war, als hinunterzugehen. Kopf einziehen, sagen Bajrovics Kollegen Anto und Toni Mioc. Mindestens einer von ihnen ist immer dabei, im Korb ist man zu zweit.
Oben angekommen ist der größte Lohn der Ausblick
Oben angekommen, blicken die Männer erst einmal auf das Windmessgerät. Wie geahnt. Es leuchtet immer noch rot. Der Wind wirbelt allen die Haare durcheinander. Ein paar Schneeflocken fliegen diagonal. Der Lohn ist die Aussicht. Allianz Arena, die Fröttmaninger Windräder, eine seltene Perspektive auf die Nordseite des Olympiadorfes, die von hier wie eine Mauer aussieht, und das Heizkraftwerk.
Ob Bajrovic bei so viel Liebe zur Höhe auch die Berge mag? "Nein, das reizt mich gar nicht", sagt er, "ich war zwei Jahre bei der Bundeswehr, Gebirgsjäger. Da hatte ich genug Berge." Um für seine Arbeit fit zu bleiben, nutzt Bajrovic lieber die Zeit, um ein wenig Kampfsport zu betreiben.

So manch einer bekommt schnell Höhenangst bei 140 Metern. Was ihn daran so reize? "Ich glaube, es ist auch der Gedanke, dort zu sein, wo kein Mensch ist, wo sonst nur Vögel fliegen", sagt er. So ganz stimmt das nicht. Durch die Fenster von niedrigeren Häusern nimmt er auch mal Blickkontakt mit den Menschen darin auf, trinkt mit ihnen zwischendurch einen Kaffee, sieht sie regelmäßig. "Da sind vereinzelt auch Freundschaften entstanden", sagt Bajrovic.
Der Spiderman-Fan Bajrovic bewegt sich auch an Fassaden auf und ab
Hochhaus-Fan Bajrovic ist auch Spiderman-Fan, dazu Vater eines neunjährigen Buben. Er wirkt glücklich im Job und hat auch schon einiges erlebt. Früher war er mal ausgebildeter Karosseriebauer und Lackierer. "Ich bekam Ausschlag und Atemnot von den Chemikalien und dem Feinstaub", erzählt er. Er musste und wollte den Job wechseln. Anfangs reinigte er dann die Dächer des Olympiageländes.

Ein Erlebnis hätte bei anderen Menschen dazu geführt, den Job aufzugeben. Es war 2013, Bajrovic war noch bei einer anderen Firma beschäftigt. Mit einem Kollegen reinigte er ein Hausdach aus Plexiglas. "Er wollte unbedingt noch dieses eine Fenster reinigen", sagt er. Eine Klappe sei da aber gewesen, wie eine Falle, nicht zu erkennen durch Schmutz. "Er fiel durch, landete unglücklich und überlebte nicht", erzählt Bajrovic nachdenklich.
Ein großer langer Schock, einige Zeit später eine Lehre sei das gewesen. Ein Mehrfach-Check sei bei ihm seither Standard. Und bei all der Erfahrung, die er hat: "Ich versuche, aktiv Routine zu vermeiden, um keine Fehler zu machen", sagt Bajrovic.

Vogelkot, Staub, Dreck, Kalk: Auch als Reinigungsexperte kommt Bajrovic mit vielen Menschen ins Gespräch. "Oft werde ich nach Geheimtipps gefragt", erzählt er. Was er dann sage: "Die Mischung aus Essigessenz und Spülmittel kann kleine Wunder bewirken."
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