Seltsamer Streik der Ärzte
MÜNCHEN - Wenn Privatpatienten am großen Aktionstag einen Termin wollen, dann geht plötzlich doch noch was. Derweil schauen die gesetzlich Versicherten in die Röhre. Die AZ hat den Test gemacht...
„Praxis geschlossen.“ Diesem Türschild sahen sich am Dienstag zahlreiche Patienten in Bayern gegenüber. Denn die Fachärzte streikten – auch wenn der Ausstand offiziell nur „Aktionstag“ genannt wird. Dabei treibt der Protest gegen die Honorarreform immer komischere Blüten.
Beispiel: Ein Anruf bei einer orthopädischen Klinik am Stachus. „Ist heute kurzfristig noch ein Termin zu haben?“, fragt die erste AZ-Mitarbeiterin und outet sich im Gespräch als gesetzlich versichert. Die Absage folgt auf den Fuß. Sorry, Aktionstag – aber beim Bereitschaftsdienst im Elisenhof würden Patienten behandelt...
Ganz anders klingt die Auskunft, als eine zweite AZ-Mitarbeiterin dort anruft und sich als Privatpatientin ausgibt. „Passt um 15 Uhr?“ fragt die Arzthelferin ohne Umschweife. Der Termin ist sofort gebongt.
Die Praxismanagerin macht kein Geheimnis aus der Vorgabe, die an diesem Aktionstag in der orthopädischen Praxis am Stachus gilt. „Kassenärztlich Versicherte werden an den Elisenhof verwiesen. Private werden behandelt.“ Zur Begründung heißt es, dass die Privatpatienten „langsam verärgert“ seien. Diese hätten mit den aktuellen Debatten schließlich nichts zu tun. Daher die Aufteilung: Einer der beiden Praxis-Ärzte nimmt am Protest teil, der andere kümmert sich auch ohne lange Terminabsprache um die Privatversicherten.
Sofort ist der Begriff Zwei-Klassen-Medizin im Spiel
Sicher kein Einzelfall – aber eine Art und Weise, die nicht nur (gesetzlich versicherte) Patienten auf die Palme bringt. „Unsere Vorgabe ist: Praxen zu und auch keine Privatpatienten behandeln“, sagt Joachim Stier vom Deutschen Facharzt-Verband (DFV). „Wer dagegen verstößt, schadet seinen Kollegen. Dann haben wir wieder das Schlagwort Zwei-Klassen-Medizin an der Backe!“
Die „Streikbrecher“ waren aber in der Minderheit: Rund 8000 Fachärzte beteiligten sich am Protest gegen die Honorarreform. Damit waren am Dienstag nach Schätzungen etwa 80 Prozent der Facharzt-Praxen geschlossen. Auf dem Marienplatz trafen sich 500 Menschen zu einer Kundgebung. „Orthopädie für 29,28 – Flatrate pro Quartal. Sind wir Aldi?“, stand auf einem Plakat. Bei der derzeitigen Honorarregelung könnten nur solche Praxen überleben, die ausreichend Privatpatienten hätten, sagte DFV-Chef Thomas Scharmann. Die orthopädische Praxis am Stachus scheint sich dafür zu rüsten...
Julia Lenders
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