"Sehr geehrter Ministerpräsident Horst Seehofer..."

München - Er ist Kabarettist, Autor und schon seit 2012 als Helfer vor Ort im Nahen Osten. Jetzt hat er dem Ministerpräsidenten einen persönlichen Brief übergeben. „Landesvater, cool down“ heißt er als Buch (80 Seiten, Verlag CS. Wort, 7 Euro). Es ist ein flammender Appell an mehr Stil und Besonnenheit in der Diskussion um Flüchtlinge. Es ist eine wunderbare Kombination aus wichtigen, geraderückenden Fakten, beißendem Witz und großer Menschlichkeit geworden.
AZ: Herr Springer, haben Sie „Landesvater, cool down“ wirklich als Brief in der Staatskanzlei abgegeben?
Christian Springer: Aber natürlich. Und am Empfang war ein Polizist, der gefragt hat: „Ist’s denn dringend?“ Und ich: „Ja, sehr dringend“. Und der: „Dann bring’ ich’s gleich hoch!“ Des ist doch mal was.
Aber glauben Sie, dass der Ministerpräsident ihn wirklich lesen wird?
Ich hoffe es. Aber es gibt in der Staatskanzlei eine ganze eigene Abteilung für’s stellvertretende Briefelesen.
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Warum schreiben Sie einen Brief und machen kein Kabarettprogramm?
Es stimmt: Wenn ein Kabarettist genervt ist, macht er was für die Bühne. Aber ich bin nicht genervt. Das, was ich im Nahen Osten persönlich jeden Monat erlebe und was hier als „Flüchtlingsdebatte“ nur noch emotional geführt läuft, ist so hart, dass ich denke: Kabarett reicht mir hier nicht mehr.
Wenn man ihren „offenen Brief“ liest, denkt man: Viele CSU-Politiker sind Zyniker. Oder glauben die ihre eigene Kampagne wirklich selbst?
Ich glaube, die sind viel zu taktisch, um naiv zu sein. Das heißt, ihre Parolen und geschürten Emotionen sind gezielt eingesetzt.
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Warum haben Sie den Brief überhaupt „öffentlich“ gemacht als kleines Buch?
Briefe sind nie privat, wie das Tagebuch der großen Schwester. Sie werden gelesen. Wir hätten die christlich-abendländische Kultur nicht, wenn der Apostel Paulus nicht Briefe geschrieben hätte.
Dieser Vergleich klingt wieder kabarettistisch.
Aber Brief und Buch sind ja überhaupt kein „Witzbuch“, sondern es versucht, aufzuklären.
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Gibt es wirklich einen harten Streit zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingsfragen?
Man könnte das auch als fantastischen politischen Schachzug nehmen: Bin ich liberal und glaube, „Wir schaffen das!“, dann bin ich ja bei der CDU gut aufgehoben. Und wenn ich meine „Mehr Härte, Stacheldraht, Grenzen zu!“, dann bin ich bei der CSU. Beide Male heißt mein Wahlkreuz: Union! Und was fällt auf: Die Opposition und die SPD sind völlig aus dem Spiel! Wie schlau ist denn das?!
Auszüge an Springers Brief an Seehofer
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Seehofer,
was ist, wenn Sie sich irren? Was ist, wenn wir nicht am Ende der Kapazitäten sind, was ist, wenn es nur an guten Lösungen fehlt? Sie wissen selbst, Herr Seehofer, es wäre nicht das erste Mal, dass Sie sich täuschen. Wenn es jemals Viagra auf Krankenschein geben werde, „dann erschieße ich mich“. Das waren ihre Worte. Viagra wird inzwischen verschrieben. (...)
Es soll hier aber nicht um das Rechthaben gehen, sondern um den Stil. Und der Stil der Auseinandersetzung ist, und ich meine damit die Meinungsmacher aller Seiten, grauenhaft. Alles ist dabei: unsachlich bis unwahr, dann wieder moralinsauer und oberlehrerhaft. Hilft aber alles das öffentliche Gezerre, auch nur einen einzigen Schlafplatz für einen Flüchtling zu finden? Ohne Frage: Es muss etwas passieren. (...)
Schlägereien: Menschen, die den Bombenkrieg knapp überlebt haben, das Mittelmeer, die Stacheldrähte, den Hunger, den Verlust aller Habe, und denen wir 3,5 Quadratmeter zum Leben zuweisen. Ja, da flippt man schon mal aus. Aber was denken Sie eigentlich über die Prügeleien unserer Landsleute im ALDI um den neuen Thermomix? Hoffentlich integrieren sich Flüchtlinge nicht in alles, was unsere Gesellschaft zu bieten hat. (...)
Leitkultur: Wissen Leute aus Ihrer Partei, die sich gerne auf Deutsche Leitkultur und damit auch auf Johann Wolfgang von Goethe berufen, was Johann Wolfgang von Goethe geschrieben, gedacht, gefordert hat? Darauf kann es nur eine einzige Antwort geben: nein. (...) Kommt der Islam nach Bayern? Er ist schon da. Kennen Sie Abdullah (wörtlich: Der Knecht allahs) Kenan Koraca _ ein Türke. Er ist 26 Jahre, aber er wird darüber entscheiden, was eine halbe Million Menschen sehen werden, oder nicht. Mitten in Oberbayern.
Er ist nämlich seit 2015 zweiter Speilleiter der Oberammergauer Passionsspiele, vom Gemeinderat dort gewählt, ziemlich genau ein Jahr, nachdem die bayerischen Staatsregierung sich dazu entschlossen hat, sie in das „Verzeichnis des immateriellen Weltkulturerbes“ aufnehmen zu lassen. Wird diese Identität verloren gehen, wenn nun ein junger Muslim das Spiel vom Leiden und Sterben Jesus Christus leitet? (...)
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Kosten sind tragbar: Im November 2015 veröffentlichen die Wirtschaftsweisen ihr Gutachten: „Angesichts der guten Lage der öffentlichen Haushalte sind diese Kosten tragbar“. So daneben kann die Analyse nicht liegen, wenn man bedenkt, dass die Deutschen nur durch das Shoppen mit dem Handy 15 Milliarden Euro im Jahr ausgeben. Insgesamt haben die Flüchtlinge 2014 jeden einzelnen Bewohner Bayerns 2,69 Euro pro Monat gekostet.
Ein BigMac kostet 3,50 Euro – ohne Menü! Wegen solcher Summen soll uns nun der Untergang oder, wie Sie sagen, „der Kollaps mit Ansage“ drohen? Allein 2014 haben Steuersünder soviel Angst gehabt erwischt zu werden, dass 300 Millionen Euro zusätzlich in die bayerichen Finanzkasse kamen. (...)
Facebook: Auf der CSU-Seite gibt es am 9.November zum Beispiel einen Eintrag: „Heute gab es eine Farbbeutelattacke auf das Bundeswehrbüro in Berlin. Wir finden das total daneben“. Ich auch, aber im gleichen Zeitraum gibt es 35 Brandanschläge und Übergriffe auf Flüchtlinge. Einträge dazu auf der CSU-Seite: Null! (...)
Bierzelte sind türkisch: Und jetzt kommt das Schlimmste: ohne Türken keine Bierzelte. Wer sich gegen Multikulti wehrt, muss sofort die Abschaffung sämtlicher Bierzelte fordern. Die nämlich sind türkisch. Die Wiesn entstammt der königlichen Hochzeit von 1810. Auf den Abbildungen sieht man die Hochzeitsgesellschaft einziehen, geschützt durch ein riesiges Zelt, und oben an den Stützen sind islamische Halbmonde befestigt. Dieses praktische Zelt war ein Beutestück aus dem Jahr 1683, als die Türken Wien belagerten. In dem Zelt wurde dann das Bier ausgeschenkt. Als Landesvater erhalten Sie traditionsgemäß zur Eröffnung der Wiesn die erste Maß.In einem Türkenzelt! (...)
Herodes: In der Weihnachtszeit werden wir wieder vom Bethlehemitischen Kindermord 9ihören. Vom bösen und grausamen Herodes. Der blieb aber seinen Zeitgenossen in ganz anderer Erinnerung. In der Zeit der großen Hungersnot um 25 v.Chr. lässt er zur Rettung in großem Stile in Ägypten Getreide einkaufen. Und damit sich seine hungernden Bürger das Getreide auch kaufen können, erlässt er ihnen ein Drittel der Steuern. Welcher Herodes wollen Sie sein? (...)
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Fremde: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Wohl einer der berühmtesten Sprüche des Münchners Karl Valentin. Münchner? Seine Mutter ist aus Sachsen, sein Vater aus Hessen. Für Bayern: Fremde. Wie schön, dass es sie gab!
Herr Seehofer, ich war nie Aktivist und werde auch keiner mehr werden. Aber das Leid von 11 Millionen syrischen Flüchtlingen, die dem Tod entrinnen wollen, lässt mich nicht kalt. Falls Sie diesen Brief nicht lesen oder lesen können oder wollen, ich werde ihn Ihnen vorlesen, vor dem Landtag, Ihrer Parteizentrale, im Internet, auf Facebook, wo auch immer. Ich habe nichts gelernt in meinem Leben – nur das Wort. Und das benütze ich nun. Damit Sie mir zuhören, und im besten Fall sogar auf mich hören,
Ihr Christian Springer
„Landesvater, cool down“, Christian Springers Brief (als Buch: CS. Wort Verlag, 80 S., 7€ )