Sechs Jahre für Demjanjuk?

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist mit den Plädoyers in seine entscheidende Phase gegangen.
von  dpa

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist am 84. Verhandlungstag mit den Plädoyers in seine entscheidende Phase gegangen. Staatsanwalt Lutz fordert sechs Jahre Haft.

München - „Wer Schuld in derart hohem Maß auf sich geladen hat, muss bestraft werden, auch noch nach 60 Jahren und in so hohem Alter“, sagte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz. Er hielt dem 90 Jahre alten Angeklagten am Dienstag vor dem Landgericht München II vor, im Jahr 1943 Beihilfe zum Mord an Zigtausenden Juden im Vernichtungslager Sobibór geleistet zu haben. Es gebe keine Zweifel, dass Demjanjuk dort tätig gewesen sei, sagte Lutz. Zeugenaussagen und historische Dokumente könnten dies belegen.

"Er nahm damit bereitwillig an der Ermordung von mindestens 27.900 Personen teil", sagte Lutz über den Angeklagten. Dieser habe für seine treue Befehlsausführung laut Zeugenaussagen sogar oft frei bekommen. Demjanjuk könne sich auch nicht auf einen Befehlsnotstand berufen, da er verschiedene Möglichkeiten zur Flucht gehabt habe. Das Risiko dabei wäre nach Ansicht des Staatsanwalts nicht höher gewesen, als bei einem Verbleib im Lager, der ebenfalls nicht ungefährlich gewesen sei. Zudem seien andere Wachmänner erfolgreich geflohen.

Darüber hinaus hätte Demjanjuk laut Lutz besonders große Anstrengungen unternehmen müssen, um sich zu entziehen. Schließlich sei die "industriellen Ermordung" ein besonders schwerwiegendes Verbrechen gewesen. Stattdessen habe sich Demjanjuk aber sogar die Rassenideologie der Nazis zu eigen gemacht und die Ermordung der Juden selbst gewollt.

Keine Einzeltaten

Zwar könne man Demjanjuk keine Einzeltaten nachweisen, sagte Lutz. Es stehe aber außer Zweifel, dass er beteiligt gewesen sei. Wenn die Transporte mit bis zu 3.000 Menschen in Sobibór angekommen seien, hätte die gesamte Belegschaft des Lagers mitarbeiten müssen. "Die Vernichtungsmaschinerie konnte nur funktionieren, wenn alle ihren Beitrag leisteten", sagte der Staatsanwalt. Dabei hätten Demjanjuk und die anderen Wachmänner "in gefühlloser und unbarmherziger" Weise gehandelt.

Urteil möglicherweise am 12. Mai

Insgesamt stimmten die vorliegenden Urkunden und Zeugenaussagen so eindeutig überein, dass kein Raum für "Verschwörungstheorien" bleibe, sagte Lutz. Dass der russische Geheimdienst all dies gefälscht habe, sei nicht denkbar, griff er einer möglichen Argumentation der Verteidigung voraus.

Pro Tag darf wegen Demjanjuks Gesundheitszustand nicht mehr als drei Stunden in zwei Hälften zu 90 Minuten verhandelt werden. Auch wegen dieser Einschränkung zieht sich der Prozess bereits seit 2009 hin. Zudem gab es eine Flut von Anträgen der Verteidigung. Auch am Dienstag stellte Anwalt Ulrich Busch schriftlich weitere Anträge. "Sie brauchen nicht erschrecken, die Antragszahl liegt im einstelligen Bereich", kommentierte er selbst, nachdem er zuletzt rund 400 Anträge gestellt und tagelang verlesen hatte. Das Plädoyer begann dennoch, die Anträge würden zur gegebenen Zeit eingeführt, sagte der Vorsitzende Richter.

Das Urteil könnte der aktuellen Planung zufolge am 12. Mai fallen.

 

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