Schwuler Vater: Markus hat 22 Kinder

Markus ist 22-facher Vater - und er kennt alle seine Kinder. Zwei Babys sind zudem noch unterwegs. Die ungewöhnliche Geschichte eines ungewöhnlichen Münchner Vaters.
von  Irene Kleber / Daniel von Loeper
Markus K. (45) am Gärtnerplatz. Obwohl er Vater so vieler Kinder ist, sagt er: „Ich bin trotzdem viel allein.“
Markus K. (45) am Gärtnerplatz. Obwohl er Vater so vieler Kinder ist, sagt er: „Ich bin trotzdem viel allein.“ © Daniel von Loeper

Markus ist 22-facher Vater - und er kennt alle seine Kinder. Zwei Babys sind zudem noch unterwegs. Die ungewöhnliche Geschichte eines ungewöhnlichen Münchner Vaters.

München - Markus K. (45) ist 1,94 Meter groß, schlank und dunkelhaarig. Er trägt Brille. Er spricht bedächtig und leise. Oft faltet er die Hände über seiner Anzughose, in der ein weißes Hemd steckt. Dann macht er Pausen. Denkt nach vor dem nächsten Satz. Markus K. ist schwul. Er hat noch nie mit einer Frau geschlafen.

Aber seit neun Jahren zeugt er Kinder, als Samenspender. Er hat 22 Söhne und Töchter. Mit 17 lesbischen Frauen. Zwölf Kinder leben in München, eins in der Toskana, eins in Wien, sechs in deutschen Kleinstädten. Zwei sind noch unterwegs, sie kommen im Sommer zur Welt. In der AZ erzählt er seine Geschichte: Alles begann mit diesem Zettel an der Wand. Ich wünsche mir ein Kind, stand da. Wer kann mir helfen und spendet seinen Samen?

Das war, naja, wie mein Erweckungserlebnis. Ich war damals ganz neu in München, 1994. 28 Jahre alt und aus dem Priesterseminar geflogen, weil ich homosexuell bin. Jemand hat mich hingehängt, ich weiß bis heute nicht, wer. Die Kirche hat mir nicht einmal erlaubt, zu unterrichten. Sechs Jahre Theologiestudium, das Latinum, Graecum, Hebraicum, alles für die Katz. Mein Leben war am Tiefpunkt.

Die Frau war Lesbe. Eine, die von Samenbanken kein Sperma bekommt, weil sie nicht hetero und nicht verheiratet ist. Sie war ganz schön schräg drauf, sie trug ihr erstes Menstruationsblut in einem Amulett um den Hals, solche Sachen. Mein Sperma habe ich ihr trotzdem gegeben. Gottseidank hat es nicht geklappt. Sie ist nicht schwanger geworden.

Wenn eine Frau sich ein Kind wünscht und keins bekommt, ist das ein großer Schmerz. Ich stelle ihn mir so verzweifelt vor wie den Schmerz, jemanden zu lieben und nicht wieder geliebt zu werden. Niemand soll so ein Leid spüren, finde ich. Wenn ich mit so wenig Einsatz so viel helfen kann, dann tue ich das eben. Dann spende ich eben meinen Samen. 

Ich bin in die Versicherungsbranche reingerutscht. Total überqualifiziert, aber ich verdiene jetzt gutes Geld. 2003 sah ich eine Anzeige, ein lesbisches Paar suchte einen Samenspender. Ich traf beide Frauen im Café Glück. Ich hatte ein gutes Gefühl. Dort würde ein Kind gut aufgehoben sein. Schon nach dem zweiten Versuch hat es funktioniert. Neun Monate später kam mein erster Sohn, zur Welt. Er ist jetzt neun und lebt in München.

Im Grunde geht es ganz einfach. Die Frau kommt zu mir nach Hause, wenn sie mag, auch mit ihrer Partnerin. Ich übergebe mein Sperma in einem Becher. Dann zieht sich die Frau in ein Zimmer meiner Wohnung zurück. Sie zieht den Samen in einer Plastikspritze aus der Apotheke auf, ohne Nadel natürlich, und führt sich mein Sperma selbst ein. Manche machen einen Kopfstand danach. Andere legen sich einfach hin und schlafen ein.

Ich habe meine Daten auf einer Internetseite für private Samenspender eingegeben. Der Spender macht dort Angaben zum Wohnort, Alter, Größe, Bildungshintergrund und zu seiner sexuellen Orientierung. Daraus ergibt sich auch, ob Sex gewünscht wird. Ich könnte mit keiner Frau schlafen, auch nicht für den guten Zweck. Damals gab es auf diesen Seiten noch nicht viele Spender, schon deshalb bekam ich schnell Anfragen.

Die Hebamme meines ersten Kindes wurde die Mutter meines vierten Kindes. Es sprach sich schnell herum in der Szene, dass ich unkompliziert helfe, dass die Befruchtung schnell klappt mit meinem Sperma. Und dass ich kein Geld nehme. 2006 wurden fünf Frauen eines Lesben-Stammtischs gleichzeitig schwanger von mir. Die Chefin dieses Vereins fand das nicht so toll. Es gibt Lesbenpaare, bei denen beide Frauen Kinder von mir haben. In einer Partnerschaft leben drei meiner Kinder als Geschwister zusammen, naja, eigentlich sind sie Halbgeschwister.

Mein Vater war Mesner in einer niederbayerischen Kleinstadt, meine Mutter Pfarrersköchin. Als das erste Kind da war, habe ich eine Foto-Collage gebastelt und gesagt: Schau, Mama, jetzt bist du Oma. Bloß dass dein Enkel eben zwei Mütter hat. Sie hat das nicht groß kommentiert, bei uns wurde nie so viel gesprochen zu Hause. Nur beim zwölften Kind hat sie mal gesagt: Bub, jetzt könntest aber mal aufhören.

Ich finde, Kinder haben das Recht, ihre leiblichen Eltern zu kennen. Bei der Geburt lasse ich mich deshalb als leiblicher Vater eintragen. Acht Wochen danach gebe ich sie zur Adoption frei, an die Co-Mutter. Das gibt ihr die Rechte einer Mutter und schützt mich vor Unterhaltspflichten. Ich hätte vielleicht mehr Vatergefühle, wenn ich meine Kinder mit jemandem gezeugt hätte, den ich liebe. Aber ich halte Kontakt. Mit fünf Familien treffe ich mich alle vier Wochen. Andere sehe ich nur ein Mal im Jahr. Ich versuche, zu jedem Kindergeburtstag da zu sein. Jede Woche bin ich so zwei Mal für meine Kinder unterwegs. Wir essen Kuchen, malen was zusammen, spielen Karten. Mama, Mami und Papa. Die Kinder freuen sich, so hat ihr Papa ein Gesicht.

Trotzdem bin ich viel allein. Mit einer Beziehung ist so ein Leben nicht vereinbar. Mein letzter Partner war nicht sehr begeistert, ständig mit anderen Frauen zu tun zu haben oder Kindergeburtstage zu feiern. Ich bin seit einigen Jahren Single, das macht ziemlich einsam.

Meinen letzten Geburtstag habe ich mit 13 meiner Kinder gefeiert, und deren Müttern, die kennen sich fast alle. Das kleinste Kind war knapp zwei, das größte neun. Ein Moment war ein wenig seltsam. Als einer meiner Fünfjährigen mich fragte, Papa, von wie vielen Kindern hier bist du eigentlich der Papa? Und ich sagte, schau, von fast allen. Da hat er mich ganz still angeschaut. Ich weiß nicht, was in dem Moment in seinem Kopf los war.

Was die Kinder fühlen werden, wenn sie in die Pubertät kommen, darüber habe ich nie nachgedacht. Vielleicht kommen Vorwürfe. Vielleicht die Frage, Papa, warum hast du mich zur Adoption gegeben. Warum lebe ich nicht bei dir. Warum hast du so viele Kinder. Keine Ahnung, was ich dann antworte. Dass ich ihrer Mutter ein Wunschkind schenken wollte, vielleicht.

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus Helfenwollen, Fortpflanzungstrieb, Einsamsein und leiser Rache an der Kirche. Priester darf ich als schwuler Mann nicht sein, aber ich kann mich vermehren, so oft ich will. Wenn die zwei Babys, die noch unterwegs sind, geboren sind, habe ich zwölf Mädchen und zwölf Buben. Das ist ausgewogen, eine gute Zahl. Fünf Frauen habe ich noch Kinder versprochen. Danach höre ich auf, es ist dann auch genug.

 

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