Schwule Szene in München verschwindet immer mehr

München - München ist bunt und in der Müllerstraße geht’s am buntesten zu. Nur treiben’s mittlerweile die Feiernden im Glockenbachviertel ziemlich bunt und die Schwulen verschwinden mehr und mehr. Um das Jahr 2000 herum gab es in München sechs rein schwule Diskotheken, sechs Saunen und 60 Bars, Cafés, Restaurants und Kneipen – die meisten im Glockenbachviertel.
Heute kann man die schwulen Lokalitäten im Viertel an zwei Händen abzählen. Die AZ hat mit dem neuen Geschäftsführer vom Sub sowie mit Gastronomen über die Veränderungen in der schwulen Szene gesprochen.
AZ: Herr Kundrath, um Sie herum schließen die Schwulenlokale und im Sub Café boomt es. Warum?
KAI KUNDRATH: Das stimmt, die Szene ist in einer Krise, viele kommerzielle Lokale haben geschlossen. Im Sub haben wir heute ein schönes Café und bedeutend mehr Platz als früher. Bei uns treffen sich viele Gruppen der LSBTI-Community (Lesbisch-Schwul-Bi-Trans-Inter) und unsere Veranstaltungen, Beratungs- und Gruppenangebote tragen auch zur Attraktivität bei.
Sie sind seit fünf Jahren beim Sub, haben vorher die Prävention gemacht. Wie lange kennen Sie den Verein schon?
Ich bin erst seit dem Umzug in die neuen Räume dabei. Das alte Sub-Zentrum habe ich nicht gekannt. Das hat mich nie angesprochen. Das Café war dunkel und wenig einladend für mich. Heute ist das anders.
Gastronomen werfen dem Sub vor, durch die günstigen Preise eine Mitschuld am Sterben der schwulen Szene zu haben.
Unsere Preise sind seit über 30 Jahren günstiger, weil wir auch finanziell schwächer Gestellten die Möglichkeit geben möchten, auszugehen. Deshalb stirbt die Szene nicht. Die hat sich – vor allem durch das Internetdating – verändert. Um 1990 rum gab es über 50 Kneipen für Schwule, überall im Viertel verteilt. Das waren Schutzräume, in denen man(n) sich zum Kennenlernen und Sex getroffen hat und in die meist nur Männer Zutritt hatten. Heute passiert das über Apps. Die schwule Szene hat das Internet dafür viel früher genutzt als die Heteros. Jetzt muss die Szene umdenken, um weiterhin attraktiv zu sein.
In welchen Läden haben ausschließlich Männer Zutritt?
Im Camp in der Reisingerstraße gibt’s noch einen Darkroom, dann die Sauna der Deutschen Eiche und der Ochsengarten. Wobei der Ochsengarten am Donnerstag einen SM-Stammtisch hat, zu dem Frauen kommen dürfen. Besonders für ältere Schwule, die die Szene mit aufgebaut haben, ist das irritierend.
Warum läuft’s in der Sauna weiter so gut?
Die Sauna ist noch ein explizit sexueller Ort, jedoch muss man auch hier schauen, dass man den Gästen heute mehr bietet: ansprechende Räumlichkeiten mit verschiedenen Wellness-Bereichen, Massage, gutes Essen und Getränke – das alles gibt es in der Eiche. In eine dunkle Kneipe mit Guckfenster und Klingel an der Tür wollen heute immer weniger. Die Wirte müssen sich neue Strategien überlegen.
Stören sich die Jüngeren in der Szene womöglich gar nicht daran, dass diese schwulen Wohnzimmer immer mehr verschwinden?
Es sind eher die Älteren, ja. Die Jüngeren kennen es oft nicht anders. Viele Lokale geben sich ja "gay-friendly". Da kann jeder hin und das Publikum ist gemischt. Der Bau war früher nur für Männer, dann haben sie renoviert, ein paar hohe Fenster reingemacht und waren plötzlich gay-friendly. Da frage ich mich schon, warum nicht hetero-friendly.
Welche schwulen Bars laufen denn noch?
Die, in denen es lustig zugeht. Wie die Prosecco Bar in der Theklastraße oder das Rendezvous in der Müllerstraße. Aber auch das Nil – es müssen mehr soziale Begegnungsgründe geboten werden als Kennenlernen oder Sex. Das sieht man in Berlin mit vielen Quizshows, Schlager-Nackt-Partys und Charity-Events.
Gibt’s auch einen Ort nur für lesbische Frauen?
Bei den Kneipen sieht es schlecht aus. Es gibt aber noch zum Beispiel die She-la Party, die für Lesben und Freunde veranstaltet wird. Und LeTra, die Lesbenberatungsstelle, hat auch einen Barabend.
Dürfen Heteros ins Sub?
Klar, die sind auch mal im Café. Aber bei uns treffen sich generell viele Menschen und Gruppen aus der LGBTI-Community (Lesbisch-Schwul-Bi-Trans-Inter). Wir sind insgesamt offen.
In München hat man das Gefühl, Schwule hätten keine Probleme.
Jeder Schwule hat in irgendeiner Form Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen gemacht. Auch dafür sind wir im Sub da.
Aber politisch ist fast alles erreicht.
Diese Gleichstellungsdebatte ist unmöglich. Es geht nicht darum, dass alle Homosexuellen Kinder adoptieren wollen, sondern dass wir schlicht die gleichen Rechte wollen. Auf dem Amt muss man sich jedes Mal outen, weil man eben "verpartnert" statt "verheiratet" ankreuzt. Die junge Generation ruht sich darauf aus, was die Älteren erkämpft haben. Dabei ist es wichtig, weiterzukämpfen.
Das sagen Münchens Gastronomen aus der schwulen Szene:
Dietmar Holzapfel von der Deutschen Eiche: "Szene war ein Schutzraum"
Dietmar Holzapfel auf der Dachterrasse seiner Deutschen Eiche. Foto: Petra Schramek
"Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, wo 'Szene' auch ein Stück 'Schutzraum' bedeutete - bei uns war der Blick hinein durch schöne Glasfenster verhindert, anderenorts gab’s Einlassklingeln. Das ist zum Glück heute nicht mehr nötig. LGBT-Klientel und Heteros durchmischen sich. Dennoch hören wir von den Gästen, vor allem von den Touristen, in der Szene sei immer weniger los. Stimmt, das betrifft aber nicht nur München. Einerseits kann man das Internet als Schuldigen benennen, andererseits sehe ich Folgendes: Im neuen Stadtführer der Stadt findet man kaum Hinweise auf unsere Szene. Ein anderes Problem sind die Billig-Angebote der subventionierten Institutionen: Die Leute gehen nun mal dahin, wo sie fürs Bier halt weniger zahlen müssen. Tageweise hatte das sogar einmal ein Wirte-Kollege in der Thalkirchner Straße probiert (und ist dennoch eingegangen, weil an den anderen Tagen die Gäste fehlten). Die 'Deutsche Eiche' kann Ausfälle durch Hotel und Sauna kompensieren, aber viele kleine Betriebe gehen an den Dumping-Preisen kaputt. Man muss wissen, dass sich zum Beispiel Sub, Aidshilfe etc. zum Teil durch Eigenprofite finanzieren müssen." Das äußerte Dietmar Holzapfel im Schwulen-Magazin Leo über sein schwules München.
Andy Neumann, Mitarbeiter im Ochsengarten: "Hier darf jeder seinen Fetisch leben"
Im Ochsengarten können die Männer in Leder oder leicht bekleidet feiern – hier wird jeder Mann so toleriert, wie er ist. Andy Neumann arbeitet seit sieben Jahren dort. Foto: Katharina Alt/privat
"Grundsätzlich finde ich es cool, dass sich die Gesellschaft verändert. Aber das zerstört die schwule Szene. Der Ochsengarten bleibt ein Rückzugsort, an dem Männer unter sich sein können. Hier darf jeder seinen Fetisch leben. Da steht auch schon mal ein Nackter an der Bar. Wenn wir feiern gehen, dann ist’s auch normal, dass viele den Oberkörper frei haben. Trotzdem sind donnerstags seit zwei Jahren und bei ausgewählten anderen Terminen im Ochsengarten auch Frauen toleriert. Damals hat ein SM-Stammtisch gefragt, ob sie sich bei uns treffen dürfen und da sind Frauen dabei. Wir kämpfen im Ochsengarten wie so viele andere Lokale auch mit der sich verändernden Ausgehkultur der Szene. Immer wieder gibt es deshalb Gerüchte in der Szene, dass wir schließen werden. Aber Totgesagte leben länger."
Wolfgang Neuherz (r.) und sein Mann Engelbert vom Edelheiss: „Ein Verein wie das Sub ist wichtig“
Wolfgang Neuherz (rechts) und sein Mann Engelbert Neuherz betreiben das Edelheiss. Foto: privat
"Zum 20-jährigen Jubiläum bekommen wir im Edelheiss neue Fenster, Türen und eine neue Fassade. Die Gäste kommen über eine Baustelle zu uns, aber sie kommen immer noch. Am Wochenende dürfen am Abend nur Männer kommen. Die sind dankbar, dass sie unter sich feiern können. Ich bin damals noch ganz anders weggegangen. Jetzt läuft das Kennenlernen oft über das Internet. Uns gibt’s immer noch, weil wir ein gutes Stammpublikum haben und die Abgestürzten bei uns nicht reinkommen. Ein Verein wie das Sub ist aber wichtig für die Stadt, weil hier auch Menschen ausgehen können, die nicht so viel Geld haben. Und später am Abend kommen sie dann gerne zu uns", so Wolfgang Neuherz (55).
Hier feiert die Szene
Mittwoch ab 23 Uhr: Garry Klein im Harry Klein (Sonnenstraße 8), jeden Mittwoch feinster Technosound.
Donnerstag ab 21 Uhr: Karaoke im Rendezvous (Müllerstr. 54) mit 5.000 Songs.
Freitag ab 23 Uhr: Luxuspop-Party im Jack Rabbit (Schwanthalerstr. 2), jeden Freitag eine andere Motto-Party mit "Winnie & Mutti" oder im Ochsengarten (Müllerstr. 47), der ältesten Bar für Jeans-, Leder-, Uniform- und Gummi-Kerle.
Samstag: Bartour durch die Szene, entlang der Müllerstraße, zum Beispiel: Sub, Prosecco, Nil, Edelheiss, Rendezvous, Kraftwerk, Camp und Ochsengarten und ab 23 Uhr: NY.Club on Tour (High Jinks, Elisenstr.3), die besten DJs aus Rio de Janeiro, Barcelona, London, Tel Aviv und Berlin.
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