Schwule erzählen: Im falschen Land geboren

MÜNCHEN - Sie werden verspottet, verprügelt, verhaftet, hingerichtet: Homosexuelle und Transgender, die das große Pech hatten, im falschen Land geboren worden zu sein. In der Ukraine zum Beispiel, wo Rechtsradikale gerade erst Jagd auf die Teilnehmer der Christopher-Street-Day-Parade machten.
In Uganda und 75 anderen Nationen, wo sie mit langen Gefängnisstrafen rechnen müssen. Oder in einem der sieben Länder (darunter Somalia und der Iran), in denen Homosexuelle hingerichtet werden. Die Veranstalter des diesjährigen CSD in München wollen mit dem Motto „Fight for global rights – Solidarität kennt keine Grenzen“ auf diese Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen.
In der AZ lesen Sie ab heute die Geschichten von Schwulen und Lesben, die in ihrer Heimat angefeindet wurden, ihre Sexualität verheimlichen oder gar fliehen mussten. Die Namen einiger Protagonisten haben wir aus gegebenem Anlass geändert.
Lesen Sie hier die Geschichte von Yassin. Der 27-Jährige kommt aus Nigeria. Homosexualität wird dort bestraft
Mädchen haben Yassin H. (27) nie interessiert. „Ich stand schon als Junge auf Typen, hatte nie eine Freundin und auch nie Lust auf Frauen. Aber ich habe erst mit 15 erfahren, dass es einen Begriff für dieses Gefühl gibt: Homosexualität.“ Einen Begriff, mit dem man in der Heimat des Studenten besser nicht in Verbindung gebracht wird. Er stammt aus Nigeria. Homosexualität wird dort hart bestraft. Jahrelang hat Yassin seine Sexualität deshalb verheimlicht. „Mich zu outen, kam nicht in Frage“, sagt er.
Im muslimischen Norden des Landes droht Schwulen und Lesben die Steinigung, weil dort zu Beginn des neuen Jahrtausends die Scharia als geltendes Recht eingeführt wurde. Yassin erzählt von einem homosexuellen Paar, das auf diese Weise hingerichtet werden sollte. „Aber der öffentliche und internationale Druck war so groß, dass das Urteil nicht vollstreckt wurde. Was aus den beiden geworden ist, weiß ich nicht.“ Auch bei Amnesty International kennt man solche Fälle.
Im christlichen Süden Nigerias ist Homosexualität ebenfalls verboten – allerdings sieht das Gesetz dort „nur“ eine Gefängnisstrafe von 14Jahren vor. Ein Gesetz übrigens, das die Nigerianer den englischen Kolonialherren verdanken, die diesen Teil „Britisch-Westafrikas“ erst 1960 in die Unabhängigkeit entließen. „Das Bittere daran ist: Die Briten haben ihre Gesetze längst geändert. Aber wir halten weiter daran fest“, sagt Yassin H. Sie seien sogar noch verschärft worden: „Erst im November 2011 ist ein neues Gesetz auf dem Weg gebracht worden, das es ermöglicht, auch Organisationen zu bestrafen, die sich für Homosexuelle einsetzen.“
Yassins Familie lebt im südnigerianischen Lagos, der größten Stadt des Landes. Sie gehört zur Mittelschicht. Der Vater war Geschäftsmann und ist heute in Rente. Die Mutter kümmerte sich um die Kinder, bis sie vor zehn Jahren starb. Yassin ist das jüngste von sieben Geschwistern, alle haben studiert. Eine aufgeklärte Familie. Möchte man meinen.
Doch Yassin hat auch seinen Angehörigen nie die Wahrheit über sich erzählt. „Homosexualität wird in Nigeria als etwas Westliches betrachtet, als etwas, das nicht Teil der afrikanischen Kultur ist“, erklärt er. „Die Menschen sind alle sehr konservativ – egal, ob Christen oder Muslime.“ Die meisten hielten Schwulsein einfach für eine „schlechte Angewohnheit, die man sich abgewöhnen kann wie Fingernägelkauen. Würde ich mich outen, hieße es, ich sei dazu eben zu schwach.“
Ein anderer Student, der es gewagt habe, sich öffentlich zu seiner Sexualität zu bekennen, habe am Ende um Asyl in Großbritannien bitten müssen. „Er hat sich in einer TV-Show geoutet. Daraufhin wurde die Sendung eingestellt, der Student wurde exmatrikuliert und ist ins Ausland geflohen.“ Denn immer wieder würden in Nigeria Schwule und Lesben auf der Straße angegriffen und zusammengeschlagen.
Jahrelang hieß Yassins Devise deshalb: Bloß nicht auffallen. ]Er sprach nie über Homosexuelle oder gleichgeschlechtliche Liebe und versuchte, keinesfalls feminin zu wirken. Wenn seine Brüder fragten, warum er sich nie mit Mädchen treffe, sagte Yassin: „Keine Zeit. Ich muss studieren.“ Eine Alibi-Freundin, wie sie viele nigerianische Schwule haben, wollte er nicht – und auch keinen heimlichen Geliebten. „Ich wollte kein falsches Leben führen, und meinen Freund ständig als meinen Kumpel vorstellen.“ Sich via Internet zum schnellen Sex im Verborgenen verabreden, war ebenfalls nicht Yassins Ding. Er blieb allein und stürzte sich erst in sein Germanistik-Studium und dann in die Arbeit als Bibliotheks-Leiter am Goethe-Institut.
2007 bewarb er sich für einen Deutschkurs im Ausland – und landete in Köln. „Das Schwulenviertel dort war ein Kulturschock für mich.“ Er lächelt. „Ich hatte dort die beste Zeit meines Lebens.“
Doch nach ein paar Wochen musste Yassin zurück nach Nigeria. 2010 bewarb er sich erneut für einen Aufenthalt in Deutschland. Er wollte in München seinen Master in Deutsch als Fremdsprache machen. „Das war der einzige Weg, rauszukommen aus meinem Land. Ich habe das Stipendium bekommen – zum Glück.“ Seine Freunde hier waren die ersten, denen sich der junge Mann anvertraute. „Alle haben sehr positiv reagiert.“
Mittlerweile spricht Yassin fließend Deutsch und fühlt sich in München sehr wohl. „Ich würde so gerne hierbleiben“, sagt er.
Doch wenn er im September sein Studium beendet, läuft auch sein Visum aus. „Für eine Verlängerung bräuchte ich entweder eine Bürgschaft, ein Sperrkonto mit 7000 Euro oder eine Stelle – als Deutschlehrer, in der Verwaltung oder als Dolmetscher zum Beispiel. Noch habe ich nichts davon.“
Eine eingetragene Partnerschaft wäre ebenfalls eine Lösung, aber Yassin tut sich schwer, den Richtigen zu finden. Er liest lieber Romane, als sich in den Szene-Clubs herumzutreiben – und wenn, steht er als schwuler Schwarzer vor einem besonderen Problem: „Viele hier haben Angst, dass man als afrikanischer Homosexueller in Deutschland nur einen Mann sucht, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.“
Doch eine Scheinehe käme für Yassin genau so wenig in Frage wie ein heimlicher Geliebter oder eine Alibi-Freundin. „Das wäre einfach nicht mein Ding.“ Der 27-Jährige wartet lieber auf ein kleines Wunder