Schwierige Tage für Obdachlose in München: "Der beste Schlafsack schützt nicht vorm Erfrieren"

500 bis 1.000 Obdachlose leben auf der Straße und schlafen trotz Dauerfrost draußen. Streetworker und Helfer machen sich große Sorgen und bitten: Wenn jemand akut in Lebensgefahr ist, rufen Sie die 110 oder 112.
von  Nina Job
Isomatten, dünne Matratzen und Decken: Trotz Eiseskälte wollen viele Obdachlose nicht in Schutzeinrichtungen, sondern nächtigen wie hier an der Theresienwiese, draußen.
Isomatten, dünne Matratzen und Decken: Trotz Eiseskälte wollen viele Obdachlose nicht in Schutzeinrichtungen, sondern nächtigen wie hier an der Theresienwiese, draußen. © imago images/Michael Eichhammer

München - Sie liegen in Hauseingängen und Unterführungen, vor Schaufenstern und unter Brücken. Sie schlafen auf Pappen und Plastiktüten, manche nur unter dünnen Decken. Einige suchen Wärme über den Abluftschächten der U-Bahn oder versuchen im Eingangsbereich von Banken unterzukommen – wenn sie dort nicht gezielt vertrieben werden mit extra angebrachten Zacken wie in einer Filiale der Stadtsparkasse am Max-Weber-Platz.

Obdachloser in der Altstadt gestorben

In diesen Wintertagen, in denen die Temperaturen schon im zweistelligen Minusbereich lagen, machen sich Streetworker und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen große Sorgen, dass obdachlose Menschen draußen erfrieren. Vor etwa zwei Wochen ist das offenbar bereits geschehen. In der Altstadt hat ein Streetworker einen wohnsitzlosen Mann tot aufgefunden, wie mehrere Münchner Helfer der AZ unabhängig voneinander berichtet haben.

Von der Klinik auf die Straße

Ein Sozialarbeiter hatte am Vortag noch einen Notarzt gerufen, weil es dem Mann augenscheinlich sehr schlecht ging. Er kam in eine Klinik, muss aber noch in derselben Nacht wieder zu seinem Schlafplatz im Freien zurückgekehrt sein. Die Helfer vermuten, dass er sich selbst entlassen hat. Am nächsten Tag, als der Streetworker wieder nach dem Mann schauen wollte, war er tot.

Gibt es eine Obduktion?

Gewissheit, ob er tatsächlich erfroren ist oder ob es eine andere Todesursache gibt, würde eine Obduktion bringen. Ob sie veranlasst wurde, wissen die Helfer nicht. "Das ist sehr tragisch, das beschäftigt auch die Streetworker total", sagt Jörn M. Scheuermann von der Arbeitsgemeinschaft Wohnungsnotfallhilfe München und Oberbayern.

"Niemand muss erfrieren!"

Tragisch auch deshalb, da es in München eigentlich ausreichend Übernachtungsangebote für Obdachlose, also Notquartiere, gebe. "Niemand muss erfrieren!", betont Scheuermann. Franz Herzog leitet die Teestube "komm" in der Zenettistraße, eine Obdachloseneinrichtung des evangelischen Hilfswerks. Hier können sich Männer und Frauen tagsüber aufhalten, bekommen Beratung und Unterstützung.

Drei Mal in der Woche sind die "komm"-Streetworker abwechselnd mit Helfern des Übernachtungsschutzes "Schiller 25" in der Stadt unterwegs. Die Helfer fahren mit einem Bus Plätze an, wo sich Obdachlose aufhalten.

450 Betten stehen bereit

"Unsere Mitarbeiter bieten an: 'Wir fahren euch in eine Unterkunft'", sagt Herzog. Plätze gebe es ausreichend, bestätigt er: Im Übernachtungsschutzprogramm auf dem ehemaligen Gelände der Bayernkaserne stünden 450 Betten bereit. Frei sei immer etwas. Doch oft bekämen die Helfer zur Antwort: "Ne, ich bleib' lieber draußen."

"Auch der beste Schlafsack ist kein Schutz gegen Erfrieren"

"Zwingen können wir sie nicht, in den Wärmebus zu steigen", sagt Herzog. Und so würden die Helfer dann manchmal einen Notschlafsack da lassen – obwohl sie die Menschen eigentlich dazu bringen wollen, in der Eiseskälte nicht draußen zu bleiben. "Aber auch der beste Schlafsack ist kein Schutz gegen Erfrieren", sagt Herzog.

Hunde sind meist nicht erlaubt

Gründe dafür, warum Obdachlose nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft übernachten, hört man von verschiedenen Seiten viele. Unter Deutschsprechenden hält sich hartnäckig das Gerücht, dass man dort beklaut werden würde. Zudem dürfen Hunde meist nicht mit.

Viele ertragen Mitbewohner nicht

Andreea Garlonta von der "Schiller 25" nennt noch einen weiteren Grund: "Wenn Menschen länger als drei Monate auf der Straße leben, sind sie oft nicht mehr in der Lage, mit elf anderen ein Zimmer zu teilen. Sie empfinden das als zu viel, zu stressig, zu bedrückend."

Alkoholabhängige spüren die Kälte kaum

Laut Jörn Scheuermann gibt es aktuell etwa "500 bis 1.000 Obdachlose, die jegliches Angebot ausschlagen". Eine hohe Zahl habe europäischen Migrationshintergrund. Manch einem ist wohl auch nicht klar, wie gefährlich die Kälte werden kann. Unter den Obdachlosen sind psychisch Kranke, die Situationen nicht richtig einschätzen können.

Alkoholabhängige, sagt Jörn Scheuermann, würden die Kälte gar nicht so spüren. Jemanden gegen seinen Willen mitzunehmen, um sein Leben zu retten, "kann in letzter Instanz nur ein Polizist entscheiden", sagt Scheuermann. Dies geschehe nur bei akuter Selbstgefährdung.

Obdachlose an mehr Orten dulden

Franz Herzog von der Teestube "komm" wünscht sich, dass Münchner in den sehr kalten Nächten Obdachlose auch mal an Orten dulden, wo sie als störend empfunden werden. Und er hofft, dass Passanten, Jogger, Gassigeher den Mut finden, Hilfe zu holen, wenn sie den Eindruck haben, dass sich ein Obdachloser in einer lebensbedrohlichen Lage befindet. "Bitte rufen Sie in solchen Fällen die 110 oder 112. Wenn es eine akute Selbstgefährdung ist, geht es ums nackte Überleben."

Nöte, Sorgen, Krisen: Hier gibt es Unterstützung

Für Menschen in schwierigen Lebenssituationen ist Weihnachten oft eine belastende Zeit. Diese Anlaufstellen der Diakonie sind geöffnet:

  • Bahnhofsmission, Gleis 11 im Hauptbahnhof 089 594576, immer geöffnet.
  • Frauenobdach KARLA 51, Karlstraße 51, 089 5491510 Haus und Schutzraum sind immer für Beratung und Übernachtung offen.
  • Schiller 25 Migrationsberatung Wohnungsloser, Destouchesstr. 89, 089 36006260, Beratung: 9-12 Uhr, Mo, Di, Do 13-17 Uhr, feiertags zu.
  • Übernachtungsschutz Bayernkaserne, Helene-Wessel-Bogen 27, 089 14 33 22 485, rund um die Uhr an allen Tagen geöffnet. Außerhalb der Bürozeiten gibt es Übernachtungsscheine in der Teestube "komm".
  • Teestube "komm", Zenettistr. 32, 089 771084, Heiligabend, Silvester: 11-15 Uhr, sonst immer 14-20 Uhr.
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