Schwerkranke Münchnerin: "Jetzt sag ich leise Servus"
„Danke! Jetzt sag ich zum Abschied leise Servus. Unser Schriftwechsel hat mir Spaß gemacht. Alles Gute weiterhin.“ Dies war die letzte Mail von Helga Haberl an die AZ, abgeschickt am 25. April 2016, abends um 19.52 Uhr.
Einen Tag später, am 26. April, ließ sich die 80-jährige Münchnerin von der Schweizer Organisation „Dignitas“ in den Freitod begleiten – "endlich erlöst von jahrzehntelangen Schmerzen, Depressionen und Einsamkeit", wie sie in ihrer vorher in Auftrag gegebenen Todesanzeige formulierte.
Helga Haberl hat ihren Tod genau geplant: "Zu den Klängen von Mozarts Klarinettenkonzert und bei Kerzenlicht" wolle sie dahinscheiden, schrieb sie der AZ, das Glas Wasser trinken, in dem ein Schlaf- und Narkosemittel aufgelöst ist.
Das, was folgt, beschreibt „Dignitas“ in einer Broschüre so: "Anschließend schläft das Mitglied innerhalb von zwei bis fünf Minuten ein, fällt in ein tiefes Koma, und nach einiger Zeit wird die Atmung flacher und setzt schließlich aus. Dadurch tritt dann der Tod ein." Dies sei "absolut schmerz- und risikolos".
"Ich will, dass die Qualen endlich vorbei sind"
Der AZ hatte Helga Haberl im Februar und April geschrieben, weil sie über ein Detail in einem Artikel von 2015 nicht glücklich war. Damals berichteten wir über Haberls Kampf für ihren Freitod – und bezeichneten sie in der Vorzeile des Artikels als „erste Ehefrau des verstorbenen Mahag-Chefs Fritz Haberl“. „Ich bin seit 50 Jahren geschieden und lege keinen Wert darauf, nur als Ex-Frau von F. H. apostrophiert zu werden“, monierte sie.
Ihrem Ex-Mann, der 2012 nach einem Zusammenbruch unter der Dusche mit 79 Jahren starb, machte Helga Haberl bis zuletzt schwere Vorwürfe: Es sei eine „Ehehölle“ gewesen, und Fritz Haberl habe 1960 den schweren Autounfall verschuldet, der sie ins Koma brachte, eine zeitweise Querschnittslähmung verursachte und an dessen Spätfolgen sie bis zu ihrem Tod litt.
„Ich will, dass die Qualen endlich vorbei sind“, antwortete Helga Haberl, deren Tochter Andrea mit 28 Jahren bei einem Autounfall starb, 2015 dem „Stern“ – und hielt ein Plädoyer für einen selbstbestimmten, würdevollen Tod. „Ich kann nur hoffen, dass dies Menschen lesen, die die Möglichkeit und das Verständnis haben, die bestehenden Gesetze in diese Richtung zu verändern.“
"Da muss jeder klein beigeben"
Nach dem Artikel in der AZ und im „Stern“ bekam sie viele Briefe: „Das Echo war überwältigend. Ich habe es kaum geschafft, alles auch höflich zu beantworten.“ Vor allem gläubige Menschen hätten versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. „Diesem Wunsch würde ich sicher Folge leisten, wenn auch nur ein Mensch in der Lage wäre, mir bloß eine Stunde am Tag all meine Beschwerden abzunehmen. Da muss aber jeder dann klein beigeben!“, schrieb Haberl. „Das verstehen auch diejenigen, die mich lieben und nicht schon verlieren möchten!“
Wenn die AZ über ihren baldigen Tod schreibe, dann sei doch ihr soziales Engagement viel erwähnenswerter als ihr erster Ehemann, bat Haberl, die in der Tat viel bewegt hat.
1980 übernahm sie eine Patenschaft für eine Familie in der verarmten Volksrepublik Polen, machte dies publik und vermittelte – „in mühevoller Handarbeit ohne Computer“ – über 5000 Patenschaften. „Und es ist mir heute, über 30 Jahre später, noch immer eine große Freude, wenn mich jemand anruft, um mir zu erzählen, dass diese Patenschaft zu Freundschaft geführt hat, man sich gegenseitig besucht und nahe gekommen ist“, schwärmte Haberl in einer Mail.
Sie hat zugehört – und sie hat Trost gespendet
Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 habe sie täglich Unterschriften gegen die Atomkraft gesammelt. „Leider brachte auch ein Interview mit Franz Josef Strauß nicht den erwünschten Erfolg – erst musste Fukushima passieren.“
Nächste Station im Leben des ehemaligen Fotomodells war der „Telefonische Notdienst der Suchthilfe“. 15 Jahre lang hörte Helga Haberl Menschen zu, spendete Trost und vermittelte professionelle Hilfe – mit einem hohen Wiedererkennungswert durch ihre tiefe, charakteristische Stimme.
Auch bei der Stiftung „Pfennigparade“ war Haberl ehrenamtlich tätig, arbeitete bei einer Familie mit behinderten Kindern. Dies gab sie jedoch nach einem Jahr auf, „weil ich durch meine schweren Depressionen den Kindern nicht die Fröhlichkeit mitgeben konnte, die man einfach braucht“.
„Ich hoffe sehr, dass wir bald wieder voneinander hören“, schrieb ich Helga Haberl in einer der letzten Mails. Ihre Antwort: „Nicht hören, aber sehen – bei den Familienanzeigen. Wenn Sie einen Nachruf in der AZ bringen, dann bitte einen fairen. Vielleicht kann ich den ja sogar ,von drüben’ lesen.“