"Schuss nicht gehört": Warum Verdi nicht zum Protest gegen die Sicherheitskonferenz in München aufrufen sollte

München - Als Leser der Abendzeitung wissen Sie womöglich, dass ich gewöhnlich im Kulturteil über Giuseppe Verdi schreibe und nicht über die gleichnamige Gewerkschaft, deren (zahlendes) Mitglied ich bin. Vorige Woche bekam ich eine Mail des Bezirksvorstands München, die mich zur Teilnahme an der Anti-Siko-Demo am kommenden Samstag aufrief.
Die Begründung: Bei der Münchner Sicherheitskonferenz gehe es "nie um Sicherheit, sondern immer um die Machtinteressen der Nato und ihrer Mitgliedstaaten". Kritik übt der Aufruf vor allem an der "größten Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg" durch die Bundesregierung.

Über die Gründe der Ampel, eine sicherheitspolitische Kehrtwende zu vollziehen, stand in der Mail – natürlich – nichts. Und darüber wundere ich mich auch nicht, denn der Verfasser der Mail kandidiert für eine Partei, von der ich nicht wusste, dass es sie überhaupt noch gibt: die DKP. Geht man auf die Webseite der Anti-Siko-Demo, findet man die Testimonials ehrlicher Pazifisten wie Konstantin Wecker und Ecco Meinecke. Sevim Dagdelen von der neuen Wagenknecht-Liste ist natürlich auch dabei. Und – da wird's dann für mich schwieriger – auch Reiner Braun, der bei anderer Gelegenheit mit Schwurblern und Verschwörungsheinis wie Ken Jebsen auftritt.

Die Anti-Sicherheitskonferenz-Demo in München, Verdi und die DKP: Eine kritische Analyse
Ja, ich weiß. Pazifismus hat es im Moment schwer. Aber zu einer halbwegs ernsthaften Friedensbewegtheit würde es gehören, nach fast zwei Jahren Ukraine-Krieg (und seiner Vorgeschichte) auch einmal den gegenwärtig gefährlichsten Kriegstreiber und Aggressor zu erwähnen: Und das ist nicht die Nato, sondern das von Wladimir Putin diktatorisch regierte Russland.
Auf diesem Auge sind die Siko-Gegner traditionell blind. Die Proteste gegen die Siko sind fest in der Hand der Linkspartei und der Wagenknecht-Liste. Diese Leute würden um des lieben Friedens willen gerne die Ukraine Russland zum Fraß vorwerfen.Wenn die westliche Waffenhilfe endet, wären weitere Kriegsverbrechen wie in Butscha und Mariupol die Folge. Ich kann Pazifisten, die der demokratischen Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung verweigern wollen, nicht ernst nehmen. Grabesruhe in Kyiv, Odessa und Lemberg wäre kein Frieden.
Ich habe mich bei Verdi über diesen Aufruf beschwert. Dabei hörte ich, dass man dort mit diesem Aufruf auch nicht glücklich sei. Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Natürlich war diese Gewerkschaft auch beim Lichtermeer auf der Theresienwiese vertreten. Eine Mail des Münchner Bezirksvorstands hat mich dazu aber nicht erreicht. Der Kampf gegen die Nato ist Altlinken eben wichtiger als das Eintreten für Demokratie und gegen Rechts, wo es ganz ähnliche Sympathien für Russland gibt. Manche Leute haben den Schuss echt nicht gehört.