„Schule vom Kind her denken“

Wie kann Lernen Spaß machen, welche modernen Konzepte gibt es? Die AZ hat sechs Experten zur Diskussion geladen
München - Die Schulen sind im Aufbruch – aber der Weg zu einem besseren Lernen ist noch weit. Darüber waren sich die Teilnehmer der AZ-Podiumsdiskussion zum Thema „Schule im Aufbruch“ einig. Aber das war’s schon mit den Gemeinsamkeiten. Wie weit soll dieser Aufbruch gehen, und wo führt er hin? Darüber gingen die Meinungen weit auseinander am Montagabend in der schicken Mensa des Maria-Theresia-Gymnasiums in Haidhausen.
Kultusminister Ludwig Spaenle verwies darauf, dass es durchaus Verbesserungen am bayerischen Schulsystem gebe; er sei keineswegs ein Gegner von Reformbemühungen. Klaus Wenzel erwiderte: „Ich sehe keinen Aufbruch in der Schulpolitik.“ Genau den aber bräuchte es, so der Präsident des Lehrerverbands, um die auseinanderdriftende Gesellschaft zu kitten.
Es gibt in Bayern Schulen, die sich auf den Weg machen und andere, moderne Lernformen abseits des alten Frontalunterrichts etablieren. Die innovativste dieser Schulen ist das Albrecht-Ernst-Gymnasium in Oettingen. Direktorin Claudia Langer erklärte: „Wir bieten offene Maßnahmen in offenen Räumen.“ Deutsch und Geografie wird in Oettingen vernetzt unterrichtet, wer Theodor Storm durchnimmt, lernt auch gleich etwas über Deiche. Die Schüler arbeiten viel in Projekten, oft fächerkombiniert, und deren Ergebnisse präsentieren sie dann vor der Klasse. Und Exen werden vorher angekündigt.
Warum Oettingen nicht Schule machen könne in Bayern, wollte AZ-Chefredakteur und Moderator Arno Makowsky von Spaenle wissen. Der verwies auf den „Werkzeugkasten mit reformpädagogischen Möglichkeiten“, der jedem Schulleiter zur Verfügung stehe. Ob er ihn verwendet, bleibt ihm überlassen. Ansonsten lobte der Minister: „Das Oettinger Konzept ist vorbildlich.“
Stadtschulrat Rainer Schweppe, seit 2010 in München im Amt, hat viele neue Ideen. Zum Beispiel für „Lernhäuser“, in denen je fünf Klassen einer Schule zusammengefasst werden. Sie bestehen aus einem Gemeinschaftsraum, einem dezentralen Lehrerzimmer und eigenem WC. „Familienatmoshpäre“ und Verantwortungsgefühl solle hier entstehen. Und den Unterricht könne man flexibler gestalten. Im 90-Minuten-Takt, statt in hektischen 45-Minuten-Einheiten – das ist Schweppe wichtig. Im neuen Truderinger Gymnasium seien solche Ideen schon Realität.
Klaus Wenzel geht das alles nicht weit genug – und vor allem zu langsam. Die Ausbildung der Lehrer, deren Aufgabe heute „Familien-ersetzend“ sei, gehöre dringend verbessert. Auch den frühen Übertritt ins Gymnasium nach der vierten Klasse kritisiert Wenzel. „Die Schüler empfinden das als zu früh.“ Sortiert werde in dem Alter nicht nach Leistung, sondern nach Elternhaus. Der einzig sinnvolle Zeitpunkt, Kinder auf weiterführende Schulen zu verteilen, sei nach der Pubertät.
Ludwig Spaenle hingegen verwies auf die Durchlässigkeit des Schulapparats, „mit Anschlussgarantie“. Eine Übertrittsempfehlung helfe gerade bildungsfernen Familien, die ihre Kinder sonst auf Hauptschulen schicken – weil sie nichts anderes kennen.
Felix Palm und Maria Obermeier, zwei Schüler des gastgebenden Maria-Theresia-Gymnasiums, hatten zum Erstaunen des Publikums nur wenig auszusetzen am Alltag zwischen Pult und Tafel. Sie finden: Nicht jeder muss aufs Gymnasium – und wer möchte, kann es auch später noch schaffen. Real- und Hauptschule sollten nicht gering geschätzt werden.
Bei der abschließenden Publikumsrunde ging es um überfrachtete Lehrpläne, um das alte „Druckmittel Ex“, um Stress schon für Grundschüler. An vielen Punkten zeigte sich, dass Spaenle und sein Ministerium schon einiges herumgeschraubt haben. In 11 von 25 Fächern wurde soeben der Stoff gekürzt, schon 2012 hat Spaenle den Schulleitern dringend empfohlen, Exen anzukündigen. Ein Flexibilisierungsjahr für Grundschüler? Auch das wird überlegt.
Alles gut also? Sicher nicht. Aber einem Satz von Schulleiterin Claudia Langer konnten alle zustimmen: „Wir sollten Schule vom Kind her denken.“