Schuldneratlas 2017: Es bröckelt in der Mittelschicht - jeder elfte Münchner überschuldet

München geht es gut. Natürlich geht es München gut – selbst die nicht so erfreulichen Nachrichten zu dieser Stadt sind im Vergleich zu fast allen anderen Städten auf dem Planeten im Grunde Luxusprobleme.
Deutschlandweit lag die Überschuldungsquote – also der Anteil der überschuldeten Personen an der gesamten Bevölkerung – im Jahr 2017 bei 10,4 Prozent. In München waren es nur 8,92 Prozent.
Doch auch ein Luxusproblem kann immer massiver werden – und dann ist es durchaus schneller, als man "Penthouse Garden Suite" sagen kann, ein echtes Problem: Die Zahl der Überschuldungsfälle ist im vergangenen Jahr deutschlandweit um 0,9 Prozent gestiegen. In München ist sie ebenfalls gestiegen: um 4,6 Prozent.
Überschuldung steigt an - in der Mittelschicht
Beinahe jeder elfte Münchner ist aktuell überschuldet. Und das heißt nicht: verschuldet. Das sind auch Menschen, die einen Hauskredit abzahlen. Auch nicht arm – die Überschuldung ist beileibe kein Problem der sogenannten Unterschicht.
Sondern: nicht mehr in der Lage, mit den regelmäßigen Einnahmen die laufenden Kosten zu decken – und damit mittel- bis langfristig: bankrott.
Als "Warnsignal" bezeichnet Sozialreferentin Dorothee Schiwy diesen Anstieg, "ein Warnsignal, das wir sehr besorgt zur Kenntnis nehmen". Denn der Anstieg geschieht nicht dort, wo wir die Unterschicht verorten, also Armut als elementares Problem wahrgenommen wird. Er geschieht in der Mittelschicht.
Zum Stichtag 1. Oktober 2017 waren laut dem Schuldneratlas der Creditreform insgesamt 109 739 erwachsene Menschen als überschuldet eingestuft. Das sind 4.785 mehr als im Jahr davor. Natürlich gibt es die Schuldenproblematik weiterhin in den altbekannten Stadtteilen: Am höchsten sind die Überschuldunsquoten in Berg am Laim (11,8 Prozent), Milbertshofen (11,73), Feldmoching-Hasenbergl (10,95) und Schwanthalerhöhe (10,91) sowie Ramersdorf-Perlach (10,78).
Aber fast alle neuen Überschuldungsfälle – nämlich 5.300 – stammen aus der "Mitte der Gesellschaft", wie es im Atlas heißt. Moment: 5.300? Das sind doch mehr Fälle als der gesamte Anstieg? Ja, sind es: Weil die Zahl der Überschuldungsfälle aus den "gehobeneren Schichten" gesunken ist (minus 300), wie auch die Fallzahl in den "unteren Schichten" (minus 200).
Schuldneratlas: Es gibt mehr Gründe für Überschuldung
Und die beiden Stadtviertel, in denen die Überschuldungsquote sich in den vergangenen Jahren am deutlichsten verschärft hat: Altstadt-Lehel und Obergiesing-Fasangarten. Dort stieg die Quote um 0,78 Prozentpunkte beziehungsweise 0,67. Zwar ist die Altstadt nicht so dicht bevölkert, so dass eine geringe Änderung sehr stark ins Gewicht fällt.
<img alt= (Auf das Bild klicken für größere Ansicht).
Die Ursachen dafür benennt der Schuldneratlas so: Zu den "eher klassischen Überschuldungsauslösern wie Arbeitslosigkeit und Einkommensarmut" seien in den vergangenen Jahren vermehrt Überschuldung aufgrund von Krankheit oder Trennung vom Partner gekommen – vor allem alleinerziehende Frauen haben ein großes Überschuldungsrisiko –, außerdem Probleme mit der Haushaltsbudgetplanung.
"Das Hemd wird einfach sehr knapp, auch für Leute, die voll im Job stehen", sagt Klaus Hofmeister, Leiter der Schuldnerberatung der Stadt München.
Allein 2017 hat die Langzeitschuldnerberatung 600 neue Fälle aufgenommen. Es gibt eine deutliche Zunahme von Fällen, in denen Münchner oder Münchnerinnen bereits stark und mehrfach überschuldet sind. Am stärksten überschuldet ist die Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen (11,09 Prozent) – was in Zukunft prekär wird, da sie eher nicht aus eigener Kraft eine Altersvorsorge anlegen können. Und es steigt die Zahl der Menschen mit sogenannten harten Überschuldungsmerkmalen (68 369; 2016: 64 636) – die zum Beispiel schon Antrag auf Privatinsolvenz gestellt haben, und sicherlich nicht so leicht aus den Schuldensituation herauskommen werden.
Und das klingt doch alles schon nicht mehr so sehr nach Luxusproblemen.