Schulden-Report: Hier wohnen Münchens Schuldner

Experten schlagen Alarm: Jeder zwölfte Erwachsene ist überschuldet – und die Altersarmut steigt. Warum Männer öfter betroffen sind als Frauen und in welchen Vierteln die Lage besonders kritisch ist.
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Im grünen Bereich: Die
Postleitzahl-Bereiche, in denen die Überschuldung vergleichsweise gering ist. Orange, Rot und Dunkelrot stehen für Stadtteile, in
denen besonders viele Menschen ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können.
Grafik: Creditreform SchuldnerAtlas 2015 Im grünen Bereich: Die Postleitzahl-Bereiche, in denen die Überschuldung vergleichsweise gering ist. Orange, Rot und Dunkelrot stehen für Stadtteile, in denen besonders viele Menschen ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können.

München - Die Konjunktur in Bayerns Hauptstadt brummt. Trotzdem wachsen immer mehr Münchnern ihre Schulden über den Kopf: Zum 1. Oktober 2015 konnten 100 054 volljährige Einwohner ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Das sind 5601 Personen oder 5,3 Prozent mehr als im Vorjahr – so viele wie seit 2008 nicht mehr.

Der Anteil der überschuldeten Menschen an der Gesamtbevölkerung ist laut „Schuldner-Atlas München 2015“ ebenfalls gestiegen: Waren 2014 noch 8,01 Prozent der Erwachsenen ernsthaft in den Miesen, sind es mittlerweile 8,33 Prozent.

„Das heißt: Jeder Zwölfte über 18 ist überschuldet“, sagt Philipp Ganzmüller vom Unternehmen Creditreform, das die Statistik erstellt hat. Und noch eine schlechte Nachricht: Altersarmut spielt in München eine immer größere Rolle.

Das Wichtigste im Überblick:

Wer ist betroffen?

Laut Erika Schilz von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Stadt haben in den neun Münchner Beratungsstellen im vergangenen Jahr 10 500 Menschen Hilfe gesucht.

Die meisten waren Singles – aber in 37 Prozent der Fälle waren Familien mit Kindern oder Alleinerziehende tief in die Schuldenfalle geraten. 57,6 Prozent der Klienten waren Männer.

Die durchschnittliche Schuldensumme der einzelnen Personen betrug 34 096 Euro. Jeder Ratsuchende hatte im Schnitt acht Gläubiger – und jeder zweite einen Ratenkredit.

Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Ja. Männer stecken im Durchschnitt doppelt so tief und doppelt so oft in der Kreide wie Frauen. Über die Gründe kann Philipp Ganzmüller nur spekulieren: „Männer gehen möglicherweise häufiger finanzielle Verpflichtungen ein und sind wagemutiger. Frauen handeln wohl eher überlegt.“

Tatsache ist jedoch: Während im Bundesgebiet die Zahl der überschuldeten Frauen zunimmt, werden in München die zahlungsunfähigen Männer mehr. Laut Schuldner-Atlas hat sich ihr Anteil an der erwachsenen Bevölkerung in immerhin 31 der 37 Postleitzahl-Bezirke erhöht.

Am stärksten ausgeprägt war diese Entwicklung in Thalkirchen (+ 1,31 Prozentpunkte auf 11,34 Prozent), in der Isarvorstadt (+ 1,17 Prozentpunkte auf 16,25 Prozent) und in Pasing (+ 0,97 Prozentpunkte auf 14,14 Prozent).

Am Hart, wo 17,42 Prozent der Männer überschuldet sind, stieg hingegen der Anteil der Frauen, die mehr als pleite sind, um 0,61 Prozentpunkte auf 8,77 Prozent.

Dasselbe Phänomen lässt sich unter anderem in der Isarvorstadt beobachten: Hier kämpfen 16,25 Prozent der Männer mit einer schweren finanziellen Krise und 4,86 Prozent der Frauen – das sind 0,59 Prozentpunkte mehr als noch im vergangenen Jahr.

Lesen Sie hier: Zahlen nach Stadtviertel: der Münchner Schulden-Atlas

Welche Gründe hat die Überschuldung?

„Meist ist es so, dass ausgeglichene Verhältnisse durch einen Schicksalsschlag – vorwerfbar oder nicht – in eine Schieflage geraten“, sagt Philipp Ganzmüller. Die sogenannten „Big 5“ der häufigsten Ursachen sind:

 - Arbeitslosigkeit

 - Trennung, Scheidung, Tod 

 - Erkrankung, Sucht, Unfall 

- unwirtschaftliche Haushaltsführung

- gescheiterte Selbstständigkeit.

Wie viele alte Menschen stecken in der Schuldenfalle?

„Altersarmut wird auch in München zunehmend zum Thema“, sagt Philipp Ganzmüller. „Die Rentenreformen führen schrittweise zu einer Absenkung des Rentenniveaus“, sagt der Creditreform-Gesellschafter. So lag die gesetzliche Rente für Neuzugänge laut DGB 2013 bei nur 827 Euro für Männer bzw. 685 Euro für Frauen. Ohne Zusatz-Vorsorge, Ersparnisse oder Einnahmen aus Immobilien sei damit eine Existenzsicherung in München nicht möglich, so die Experten.

Ein wichtiger Grund für dieses Missverhältnis: die hohen Münchner Mieten.

Um über die Runden zu kommen, haben 5,2 Prozent der Menschen über 65 Jahre Grundsicherung (420 Euro monatlich plus Miete und Heizung) beantragt – vor neun Jahren waren es erst 3,6 Prozent der Münchner Rentner.

Trotzdem versinken immer mehr Senioren im Schuldensumpf, vor allem, wenn sie noch einen Ratenkredit abbezahlen müssen. Beraterin Erika Schilz sagt: Während der Anteil der über 60 Jahre alten Hilfesuchenden im 1990 noch bei vier Prozent lag, gehört mittlerweile jeder achte Klient dieser Altersgruppe an.

Besonders stark zu spüren ist dieser Trend in der Ludwigsvorstadt, wo 15,5 Prozent aller 60- bis 69-Jährigen überschuldet sind. Es folgen die Isarvorstadt mit 14,02 und das Hasenbergl mit 12,64 Prozent.

Besserung ist nicht in Sicht. „Da die Einkommenserwartungen mit zunehmendem Alter eher zurückgehen dürften, werden die Betroffenen ihre Schulden im fortgeschrittenen Alter kaum mehr abbauen können“, heißt es im Bericht.

Wie ist die Lage in den einzelnen Vierteln?

In nahezu allen Stadtteilen hat sich laut Creditreform die private Überschuldung im Vergleich zum Vorjahr verschärft.

Die wenigsten Menschen mit extremen Finanzproblemen leben in Obermenzing (4,74 Prozent), Harlaching (5,54 Prozent) und Bogenhausen (5,58 Prozent).

Die meisten Pleitegeier kreisen über dem Hasenbergl (15,43 Prozent der Bewohner sind überschuldet, Berg am Laim (14,84 Prozent) und der Ludwigsvorstadt (13,31 Prozent).

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