Schüler nach der Flucht: Trauma im Klassenzimmer

Die Lehrer stehen im Umgang mit von der Flucht aus der Heimat belasteten Kindern vor einer schweren Aufgabe – und zum Großteil völlig alleine da. Der Berufsverband fordert Hilfe von der Regierung.
von  Linda Jessen
Flüchtlingskinder im Unterricht - für Lehrer eine besondere Herausforderung.
Flüchtlingskinder im Unterricht - für Lehrer eine besondere Herausforderung. © dpa

München - Die Sonne knallt ins Klassenzimmer, es ist heiß. Die Lehrerin zieht die Vorhänge zu um etwas Linderung zu verschaffen. Und plötzlich bekommt einer ihrer Schüler panische Angstzustände. Ein Trauma aus der Zeit zuhause im Krieg meldet sich.

In den Lehrerzimmern erzählen immer wieder Pädagogen von solchen Szenen, und von der Unsicherheit, wie sie reagieren sollen. "Ich kann schon helfen, aber ich bin oft nicht sicher, ob das, was ich mache, richtig ist", berichtet Birgit Dittmer-Glaubig. Sie ist Konrektorin an einer Mittelschule in Schwabing und ist täglich mit der Frage konfrontiert: Wie gehen wir mit den traumatisierten Kindern in unseren Klassenzimmern um?

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Seit September 2015 ist die Zahl der geflüchteten Kindern in den bayerischen Schulen von 17.200 auf 23.000 gestiegen. Bei rund 40 Prozent von ihnen gehe man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung aus, sagt Dittmer-Glaubig. Dem gegenüber stehen 800 Schulpsychologen im gesamten Freistaat, mit sechs Stunden pro Wochen.

Es gibt kein Einheitsrezept für Traumatherapie

Dittmer-Glaubig leitet im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) die Abteilung für Berufswissenschaft. An diesem Wochenende haben sich rund 30 Lehrer zu einem Seminar mit Prof. Dr. Willi Butollo zusammengefunden. In seinem Traumainstitut in München bietet der Experte für Klinische Psychologie Aus- und Fortbildungen zum Umgang mit traumatisierten Menschen an. "Natürlich gibt es keine Einwegvermittlung von Techniken zur Traumatherapie. Es ist vielmehr wichtig, gemeinsam Fragen zu erarbeiten und Hilfestellungen zu geben und vor allem Mut zu machen. Ziel ist es, die Lehrer zu desensibilisieren für die Angst vor dem traumatisierten Kind ubnd die Fähigkeit zu stärken, dan Kopf über Wasser zu halten."

"Das Vorgehen der Staatsregierung ist dillettantisch"

Die Lehrer organisieren sich also selbst. Schon seit November 2014 kommen ihnen zunehmend pensionierte Kollegen zur Hilfe – inzwischen geben rund 2.500 ehrenamtlich Nachhilfe. "Als Pädagogen fragen wir: Was können WIR tun", sagt Klaus Wenzel, Ehrenpräsident des BLLV. Doch in den Bemühungen fühlen sich die Lehrer von der Politik allein gelassen.

"Das Vorgehen der Staatsregierung ist dilletantisch", sagt Wenzel klipp und klar. Besonders für Ministerpräsident Seehofer findet er klare Worte: "Als er am 10. Mai gesagt hat, das Ende der Willkommenkultur sei notariell besiegelt, war das wie eine Ohrfeige für uns. Das ist nicht nur mangelnde Unterstützung, damit fällt er uns regelrecht in den Rücken."

Damit verweist er auf eine wichtige Forderung des BLLV, eine die obendrein kostenlos ist: Elementar ist nach Ansicht der Lehrer vor allem die gesellschaftliche Atmosphäre – und die christlich-soziale Nächstenliebe – zu fördern.

Positiv sieht Wenzel, dass im Nachtragshaushalt zusätzlich Geld für die Schulen locker gemacht wurde – rein formal stehe man also nicht so schlecht da. Denn nur mit guter Laune und frei von finanzieller Unterstützung kann die Aufgabe nicht bewältigt werden.

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Ein wesentliches Problem, so berichtet Birgit Dittmer-Glaubig, sei der Zeitmangel. Um dem entgegenzuwirken bräuchte es mehr Personal, in vielen Klassenzimmern müssten eigentlich zwei Lehrer anwesend sein. "Gerade in der Grundschuke bauen die Kinder ein Vertrauensverhältnis zum Klasslehrer auf. Bei Krankenstand oder Mutterschutz müssen sich aber plötzlich mehrere Lehrer abwechselnd um die Klasse kümmern. Das dann wirklich ist ein Problem", erklärt Dittmer-Glaubig.

Ratlos aber nicht allein: Die Lehrer und Lehrerinnen besprechen ihre Schwierigkeiten und erarbeiten gemeinsam Lösungen.

Und für die Lehrer, die in der Not versuchen, die Schwierigkeiten im Alltag allein zu lösen, fehlt die Supervision, die es in anderen sozialen Berufen teilweise schon verpflichtend gibt. "Als Schule haben wir auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrern", mahnt Dittmer-Glaubig.

Die Supervision findet auch Dr. Butollo wichtig. Er erklärt: "Fatal bei einem Trauma ist eine Spaltung im Umfeld. Es ist von großer Bedeutung, dass sich das Team, dass sich täglich um die Kinder kümmert, nicht spalten lässt. Dazu braucht es Supervision."

Die Lehrer holen sich jetzt aktiv die Hilfe. Klaus Wenzel sagt: "Wir gehen in Vorleistung. Wie wäre es, lieber Staat, wenn du dich jetzt auch beteiligst?"

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