Schrauben sind hier Frauensache

Hat irgendjemand angenommen, Reparatur und Instandhaltung von S-Bahnen sei Männersache? Mitnichten. In der AZ erzählen zwei Frauen von ihren Schlosser- und Mechaniker-Jobs
MÜNCHEN Wer sorgt eigentlich Tag für Tag bei der S-Bahn dafür, dass alles in Bewegung bleibt? Wer wartet die Züge, wechselt kaputte Scheiben und Sitze aus, dreht die riesigen Räder ab, wenn sie ungleichmäßig abgenutzt sind?
Klare Antwort: Es sind nicht nur Männer.
Stellvertretend für ihre starken Geschlechtsgenossinnen zeigen Anja Selle (40) und Christina Reingen (30) Tag für Tag, was Frauen drauf haben. Als Maschinenbau-Schlosser und als Industriemechaniker, Fachrichtung Betriebstechnik. Ihr Arbeitsplatz: die S-Bahn-Werkstatt in Steinhausen.
Seit 1993 ist Anja Selle, alleinerziehende Mutter zweier Söhne (6 und 7), in Steinhausen beschäftigt.
Sie beseitigt an der Unterflur-Radsatz-Drehmaschine Unebenheiten an den Rädern, untersucht die Radsatzwellen per Ultraschall auf Risse, repariert und stellt ein, baut Gepäckgitter um – „alles, was so anfällt”, erklärt die Powerfrau. „Wenn was zu schrauben ist, ist das meine Sache. Wenn was zu schwer ist, muss ein Mann ran.”
Meist wissen die Kollegen schon, wann und wo sie anpacken müssen – manche muss Anja Selle aber auch erst fragen: „Hilfst du mir mal?” Dass ihr dabei kein Zacken aus der Krone bricht, spricht für ihr solides Selbstbewusstsein. Und dass ihr Arbeitgeber enorm flexible Arbeitszeiten ermöglicht, macht ihr Leben leichter.
„Ich wollte schon immer was mit meinen Händen machen und rumschrauben”, sagt Industriemechanikerin Christina „Chris” Reingen.
Sie hat in Steinhausen ihre Ausbildung abgeschlossen und wartet und tauscht jetzt Zug-Kupplungen, Scheiben oder Achsen. Wenn’s richtig schwer wird und sie ordentlich zulangen muss, ist die 30-Jährige in ihrem Element: „Das ist ein gutes Training”, sagt sie und lacht. „Damit spart man sich das Fitness-Studio.”
In ihrem Team ist „Chris” integriert: „Wenn man sich bewährt und zeigt, dass man’s drauf hat, klappt das”, ist ihre Erfahrung. Und die Kommentare zu ihren Piercings und Tattoos? „Mal so, mal so – genauso wie außerhalb der Arbeit”, sagt die Handwerkerin. „Aber ich bin ja nicht auf den Mund gefallen.”