Schlimme Münchner Baumbilanz: Das steckt hinter dem Kahlschlag

Privatleute fällen mehr Bäume, als sie nachpflanzen. Mehr als 1.300 Bäume sind im vergangenen Jahr der Stadt verloren gegangen. Das ist vor allem in Zeiten der Klimakrise ein Problem.
Irene Kleber |
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In München ist im vergangenen Jahr sehr oft die Kettensäge angelegt worden. Die Stadt hat so viele Bäume verloren.
In München ist im vergangenen Jahr sehr oft die Kettensäge angelegt worden. Die Stadt hat so viele Bäume verloren. © IMAGO/CHROMORANGE

München - Und wieder ist es passiert – obwohl Wissenschaftler mahnen, dass München dringend deutlich mehr Grün braucht, um in Zukunft nicht in immer heißeren Sommern zu ersticken: München hat im letzten Jahr erneut mehr Bäume gefällt als Ersatzbäume nachgepflanzt – und damit 1.348 Bäume verloren. Das geht aus der Baumbilanz der Baumschutzbehörde hervor, die die Stadt jetzt veröffentlicht hat.

Christian Hierneis: "Wir wissen es doch, wir brauchen mehr Bäume"

Das sind insgesamt zwar etwas kleinere Zahlen als im Jahr davor, wo das Minus für ganz München noch bei rund 2.000 Bäumen gelegen hatte. "Aber es ist immer noch viel zu viel Kahlschlag in der Stadt", entrüstet sich Christian Hierneis (Grüne), der Vorsitzende des Münchner Bund Naturschutz. "Wir wissen es doch, wir brauchen mehr Bäume, nicht weniger, damit es in künftigen Sommern Kühlung für die Stadt geben kann."

Münchner Baumbilanz: Private Bauherren verantworten großen Kahlschlag

Für das dicke Minus ist nicht die Stadt München selbst verantwortlich, die auf ihren eigenen Flächen wie in Parks oder auf Straßenbegleitgrün sogar mehr nachgepflanzt als gefällt hat.

So schaut die städtische Baumbilanz in den verschiedenen Stadtbezirken aus. Besonders in Trudering-Riem wurden deutlich mehr Bäume von privaten Bauherren gefällt, als nachgepflanzt wurden.
So schaut die städtische Baumbilanz in den verschiedenen Stadtbezirken aus. Besonders in Trudering-Riem wurden deutlich mehr Bäume von privaten Bauherren gefällt, als nachgepflanzt wurden. © anf

Den großen Kahlschlag verantworten laut der Bilanz private Grundbesitzer und Bauherren, die Fällungen vor allem für Neubauten veranlasst haben. Sie hatten sich im vergangenen Jahr Fällgenehmigungen für 5.236 Eschen-, Linden oder Ahornbäume besorgt, aber nur 3.728 Bäume als Ersatzpflanzen nachgepflanzt – macht ein "privates" Baumminus von 1.508 Bäumen.

Kritik: Investoren in München können sich mit 800 Euro freikaufen

Das liegt "oftmals daran, dass bei der Bebauung eines Grundstücks in aller Regel nicht genug Platz für die erforderlichen Ersatzpflanzungen bleibt, was dann zu entsprechenden Ausgleichszahlungen führt", erklärt die Stadt.

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Gerade das ärgert die Naturschützer. "Es kann nicht sein, dass Investoren sich von Nachpflanzungen einfach mit lächerlichen 800 Euro pro Baum freikaufen können", erklärt Christian Hierneis. "Wer das als Bauherr so macht, tut das zwar nach der jetzigen Rechtslage legal, aber er stellt sich für seine Gewinnmaximierung über das Allgemeinwohl."

In Trudering-Riem sind die meisten Bäume verschwunden

Deshalb müssten sich dringend die gesetzlichen Vorgaben ändern, "in der Baumschutzverordnung der Stadt, aber auch am besten in der bayerischen Bauordnung und im Baugesetzbuch des Bundes".

Die meisten Bäume sind zwar in den äußeren Stadtvierteln verschwunden (in Trudering-Riem beispielsweise sind es minus 195, in Aubing-Lochhausen-Langwied minus 106). Mehr gefällt als nachgepflanzt wurde aber auch in der Innenstadt: In Haidhausen fehlen acht Bäume, in Sendling elf und in Schwabing-West sechs Bäume im Vergleich zum Jahr davor. Die Auswirkungen, so Hierneis, "sind dort aber ähnlich, weil es in diesen dichten Vierteln ohnehin schon nicht mehr viele Bäume gibt".

Klimakrise: Nachpflanzungen sind keine schnelle Lösung

Und auch die ÖDP schäumt. Tobias Ruff, Fraktionsvorsitzender: "Diese Statistik ist für den Klima- und Umweltschutz eine einzige Katastrophe." Sie zeige, dass die Stadtentwicklung in die "absolut falsche" Richtung laufe. "Jeder Baum, der in der am stärksten versiegelten Stadt Deutschland gefällt wird, führt uns einen Schritt weiter in die Klimakatastrophe", so Ruff.

Ein weiteres Problem: Jungpflanzen brauchen Zeit, bis sie CO2 aus der Atmosphäre binden können. In der Regel braucht ein Baum zirka zehn Jahre, bis seine Klimabilanz positiv ist. Nachpflanzungen sind also keine schnelle Lösung.

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  • MucPeter am 04.07.2023 17:31 Uhr / Bewertung:

    Eigentlich braucht es das Freikaufen nicht mal - denn solange die Nachpflanzungen keiner wirklich langfristig im Auge behält werden dünne Bäumchen gepflanzt und nach wenigen Jahren, bevor hier die Fällungen wieder genehmigt werden müssten, entfernt - und kein Hahn der Stadtverwaltung kräht danach. Leider ist diese Statik nicht das Geld wert, die sie zur Erstellung gekostet hat. Denn weder werden solche Kurznachpflanzungen erfasst, noch fließen die 100derte von Bäume im Münchner Westen ein, die 2022 im Bereich der U-Bahn Verlängerung gefällt wurden. Dann aber immer scheinheilig nach Klimaverbesserung zu rufen entspricht nur einem Alibi-Nachruf der Stadträte

  • Radl Rainer am 04.07.2023 13:45 Uhr / Bewertung:

    In Leipzig gibt es seit mehr als 20 Jahren ein großangelegtes kommunales Baumpflanzprojekt "Baumstarke Stadt", dass auch Spenden von Privatpersonen und Unternehmen entgegennimmt und dann damit Bäume kauft, pflanzt und pflegt. Auch gibt es mit "Leipzig pflanz" einen Verein, der dies auch mit Unterstützung der Stadt tut - zudem auch Sträucher und andere Grünpflanzen setzt.

  • Max Merkel am 04.07.2023 07:33 Uhr / Bewertung:

    In München gilt: "Baurecht vor Baumrecht". Da gehört von den Behörden viel mehr Druck mit empfindlichen Geldstrafen ausgeübt. Aber die Strafen sind so gering daß es jeder Bauherr in Kauf nimmt und einfach alles abholzt. Da gibt es viele alte Häuser mit einem wunderbaren alten Baumbestand doch die gierigen jungen Erben mit ihren Architekten machen alles kaputt.

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