Schießlers Wiesn-Tagebuch: "Oktoberfest-Besuche"

Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer - und er kellnert auf dem Oktoberfest. Auf abendzeitung.de schreibt er ein Wiesn-Tagebuch. Teil 11: die verschiedenen Typen der Wiesn-Besucher.
Viele Leute kommen in diesen 16 Tagen zu mir in den Biergarten. Es sind Besuche, die nicht einfach gleichgestellt werden können. Jeder hat so seinen eigenen Charakter. Da sind die ganz normalen Routine-Besucher. Sie kommen eigentlich jedes Jahr, heuer manchmal sogar mehrmals in der Woche. Diese Menschen nehmen schlichtweg teil an meiner Arbeit, oder soll ich sogar „Mission“ sagen, die ich hier vollbringe? Bei dem teilweise miesen Wetter bekommen diese Besuche sogar noch einen dicken touch Solidaritätscharakter. Selbst wenns fröstelt, bestellen sie bei mir wenigstens ein Bier und ein Hendl, damit die Kasse nicht ganz leer einhergeht.
Dann sind da die neugierigen Besucher, die einfach nur mal sehen wollen, ob es wirklich stimmt, ja gar möglich ist, dass da ein leibhaftiger katholischer Pfarrer als Bedienung arbeitet. „Die Wiesn muss ja ganz schön langweilig sein, wenn die alle sie sehen wollen“, sagte mir letzte Woche noch eine meiner Mitarbeiterinnen in der Pfarrei. Ich frage mich, welches Kirchenbild haben wir eigentlich, wenn es so ungewöhnlich ist, dass ein katholischer Pfarrer körperlich arbeitet? Im Kommunismus der ehemaligen UDSSR mussten Bischöfe jahrelang in Steinbrüchen schuften. Für mich sind das ohnehin echte Heilige, um Welten mehr lebendiges Vorbild als so manche andere (lebende) Kirchenvertreter.
Kommen wir zu den Zufallsbesuchern, die mich erst am Service erkennen als den, von dem sie irgendwo gehört oder gelesen haben (dank der AZ zum Bei-spiel). Deren Überraschungsmoment ist immer sehr groß und freudig, drückt sich meistens in spontanem und großzügigem Trinkgeld aus und gerne stecke ich ihnen eine Visitenkarte von mir zu, „falls sie mich mal brauchen, wenn es nicht nur um ein Bier und ein Hendl gehen sollte!“ Heuer wurde sogar eine Hochzeit aus einer solchen Begegnung von letztem Jahr daraus.
Sehr häufig treffe ich ganz gezielt suchende Besucher. Sie wollen es nun wirklich genau wissen. Kann das echt sein, dass der da wirklich im Biergarten arbeitet und das auch noch 16 Tage lang? Viele von ihnen stecken mir dann ganz verstohlen einen Geldschein zu: „Wir wollen Sie nur unter-stützen, Herr Pfarrer!“ heißt es dann leise. Ich kann meine Freude über diese Geste, glaube ich, nicht immer so direkt zeigen, wie sie wirklich ist. Es bleibt einfach ein ganz stilles Gefühl, wenn einem im Leben gelingt, was man ausdrücken möchte.
Ein besonderes Highlight sind die Zufallsbesuche. Menschen, die mich gar nicht kennen, kommen mit mir ins Gespräch. Bald sind wir medias in res: Wie muss sich Kirche in Zukunft aufstellen? Es kann doch nicht sein, dass wir ständig beklagen, dass uns die Menschen davonlaufen, aber wir laufen ihnen nicht hinterher. Mit Kirchenglocken allein bringe ich doch heute niemanden mehr zu Gott! „Geht an die Hecken und Zäune!“, predigt uns Jesus Christus. Ich möchte es ihm gleich tun und so entstehen oft sehr leidenschaftliche Gespräche, meistens in der Mittagswiesn, wo es noch gemütlich zugeht. „Herr Pfarrer, Sie haben es geschafft, mich wieder für das ganze System zu interessieren.“ So ein Gast aus Bochum neulich. Ich könnt Halleluja singen vor Freude!
Gerade diese Besuche sind sehr wertvoll für mich, bestärken mich in meinem Engagement, geben mir Kraft und Rückhalt. Darum sei an dieser Stelle schon einmal ein ganz dickes Vergelt´s Gott gesagt allen, die gekommen sind!
Übrigens: Gestern war mein oberster Chef, der Herr Erzbischof von München und Freising da, gleich gegenüber im Augustinerzelt zu Besuch bei Bier und Hendl. Mich hat er aber nicht besucht. Verständlich, oder? Das hätte ja auch bedeuten können, dass er meinen Einsatz toleriert oder sogar honoriert, und das geht natürlich in den Augen der offiziellen Amtskirche überhaupt nicht. Schade, ich hätte ihn gerne einmal persönlich kennen gelernt.