Schießlers Wiesn-Tagebuch: "Das Handy-Oktoberfest"

Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer - und er kellnert auf dem Oktoberfest. Auf abendzeitung.de schreibt er ein Wiesn-Tagebuch. Teil 10: Über die moderne Sucht.
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Maßkrüge und Kirchtürme: Rainer Maria Schießler
az Maßkrüge und Kirchtürme: Rainer Maria Schießler

Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer - und er kellnert auf dem Oktoberfest. Auf abendzeitung.de schreibt er ein Wiesn-Tagebuch. Teil 10: Über die moderne Sucht.

„Vorsicht! Vorsicht! Bitte Platz machen!“ Unzählige Male rufe ich so in die Menge an einem gut besuchten Tag in unserem Biergarten. Das Problem sind aber nicht die 12 oder 14 Maß, die eine Bedienung gerade schleppt, oder die 15 Hendl auf dem „Schlitten“ (= Tablett), sondern vielmehr das Schleich- bzw. Kriechtempo, mit dem man sich dann ständig fortbewegen muss, weil die Leute im Servicegang herumstehen oder so dahinschlendern. Da kann es schon mal passieren, dass wenn man jemanden etwas leicht anrempelt, der dann auch bewusst zurück kickt, bis er plötzlich erkennt, wen er da gerade getroffen hat. Das ist ihm dann meistens peinlich. Wir Bedienungen sind nämlich nicht nur schnell unterwegs, weil wir wichtig sein wollen, sondern damit auch wirklich jeder Gast sehr schnell heiß (das Essen) bzw. kalt (das Bier) sein bestelltes „Manna“ bekommt, und weil das ganze Zeug sehr, sehr schwer werden kann mit der Zeit.

Sind jetzt nun mal viele Leute da, gut dann kommt es eben zu Staus im „Verkehrsleitsystem“ des Biergartens. Aber diese könnten zumindest teilweise vermieden werden, wenn da jeder mithelfen würde und sich gegen eine ganz bestimmte, moderne „Wiesnsucht“ stemmen würde: die Handysucht! Langsam schleichend, nicht auf den Weg schauend, alles um sich herum vergessend tippelt da der Gast vor Dir her und tippt geruhsam seine SMS in sein Handy! Stell Dir vor, Du gehst so über den Mittleren Ring! Das ist der sichere Tod!

So weit ist es noch nicht in unserem Garten, aber trotzdem unglaublich lästig und eine Behinderung der ganz besonderen Art. Ohne dahin zu schauen, weiß ich ganz genau, was man da so alles in sein Wundergerät eintippt: „Wo bist Du? Welches Zelt? Welcher Eingang? Kannst Du mich reinbringen?“ usw. usw..

Ja, ja das Handy. Man kann sich eigentlich gar nicht mehr ausdenken, wie man sich früher auf der Wiesn ohne dieses Sprechgerät der Moderne über-haupt noch zurechtgefunden hat. Da hat man sich fest vereinbart, z.B. beim Wiesntreffpunkt bei der U-Bahn oder bei der Bavaria, und im Biergarten hat man sich einfach zu gewunken. Heute gehen sich die Suchenden telefonierend entgegen! Ein ganz neues Pfandfindertum ist das.

Kein Wunder also, dass Handys sicherlich zu den häufigsten Fundgegenständen auf der Wiesn gehören dürften. Eines entdeckte neulich ein neuer Gast in meinem Service mal im halbvollen Bierkrug des Vorgängers, bzw. „–sitzers“. Ob es den Biertauchgang aus elektronischer Sicht heil überstanden hat, weiß ich jetzt nicht. Zumindest wollte der Gast es auf alle Fälle mal im Fundbüro abgeben. Der alte Besitzer kann es dort vielleicht sogar am Geruch als sein Eigentum identifizieren. Welches Handy riecht auch schon so intensiv nach Bier?

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