Schießlers Tagebuch: "Die Horror-Wiesn und ein versöhnliches Ende"
Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer - und er kellnert auf dem Oktoberfest. Auf abendzeitung.de schreibt er ein Wiesn-Tagebuch. Teil 12: das versöhnliche Ende nach dem Horror.
Mir fehlen einfach die Begriffe, mit denen ich beschreiben könnte, was da am vorletzten Tag der Wiesn bei uns los war. Schon um 8 Uhr belagerten hunderte meist junge Menschen und – darunter sehr viele Italiener - unseren Biergarten und warteten bzw. drängten zu den Eingängen. In wenigen Minuten waren die verfügbaren Plätze im Zelt besetzt, so dass die übrigen Menschenmassen dann eben im Biergarten Platz nahmen mussten. Die Temperaturen waren eisig kalt, immer wieder regnete es dazwischen, es war kein Platz mehr frei und immer mehr Menschen drängten herein.
Die Ursachen für das, was dann folgte, sind zahlreich: das miese Wetter, keinen Platz im Zelt gefunden zu haben, die in meinen Augen doch sehr zweifelhafte Werbung bei unseren italienischen Gästen, mit der Wiesn ein „Bierfest“ anstatt eines gepflegten Volksfestes zu besuchen – all das machte diesen Tag zum „Wiesn-Horror-Tag“. Nahezu 12 Stunden bis zum Schankschluss war unser Biergarten von grölenden, lärmenden, regelrecht schreienden und so den Wetterkapriolen trotzenden Horden ausgesetzt, die die Wiesn jetzt zu dem machten, als was sie viele immer wieder spöttisch bezeichnen: ein Sauffest, auch „intersuff 2008“ genannt. „I have never seen so many drunken poeple on one place!” sagte ein älterer Herr aus Australien, der mit seiner Gemahlin das Oktoberfest besuchen wollte und sehr schnell wieder abzog. Ich konnte es ihm nicht verdenken.
Am Ende des Tages waren wir – auch absolute Bedienungsprofis –total am Ende mit unseren Kräften. Wir konnten es selbst einfach nicht verstehen, wie man bei diesen Temperaturen und dem Wetter im Garten sitzen bleiben will. Das kann doch nicht unser Oktoberfest sein, denke ich mir andauernd und als jemand das Wort „animalisch“ verwendete für das, was er hier erlebt, dachte ich mir, das sei ungerecht und eher eine Beleidigung für die Tierwelt.
Aber die Wiesn wäre nicht die Wiesn, würde sie nicht jeden Tag eine neue Chance bieten. So wie sie sie am nächsten frisch geputzt wie am ersten Tag dem Besucher erscheint, so trifft man sie am letzten Tag bei herrlichstem Wiesnwetter wieder an. Das war dann wieder unsere Wiesn, so wie sie sein soll: Familien und Freunde, die heraus kommen, um gepflegt Mittag zu essen, das Bier zu genießen und nicht wie vortags zu vernichten und einfach eine Stück Lebensfreude genießen wollen. Zwar war auch dieser Tag noch stressig für uns, unglaublich viel Arbeit, aber das Wissen, das es der letzte Tag großer Anstrengung ist, verleiht immer wieder neue Kraft.
Abends, kurz vor Schluss, trifft sich der harte Kern unserer Wiesnfreunde, die sehr bewusst ein paar ruhige Stunden auf diesem größten Volksfest der Welt genießen wollen und sie zu beschließen. Endlich kann auch ich erschöpft aber zufrieden einen großen (ersten) Schluck Wiesnbier kosten. Ich bin dankbar, dass alles gut gegangen ist, dass die Gesundheit mitgespielt hat, kein Unfall passiert ist und ich vielen wertvollen Menschen begegnet.
Nach der Wiesn ist immer vor der Wiesn. Jetzt braucht es zuerst ein paar Tage Pause, um den Kopf frei zu kriegen, dann aber spielt man schon wieder mental mit der nächsten Wiesn und ihren Herausforderungen und Erlebnissen.
Ich danke allen, die mir auch dieses Jahr wieder geholfen haben, den Herausforderungen meinen Mann stehen zu können und neue unvergessliche Erlebnisse machen zu dürfen. Es ist und bleibt für mich als Priester immer wieder eine grandiose Sache, für 2 Wochen in den Lebens- und Arbeitsalltag so vieler fleißiger und aufrichtiger Menschen eintauchen zu dürfen, die hier auf der Wiesn leben und arbeiten!
In diesem Sinne Vergelt´s Gott und hoffentlich bis zur nächsten Wiesn!
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