Schießlers Tagebuch: "A beispielhafte Wiesn"

Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer - und er kellnert auf dem Oktoberfest. Auf abendzeitung.de schreibt er ein Wiesn-Tagebuch. Teil 3: Die Freude von und mit behinderten Kindern auf der Wiesn.
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Maßkrüge und Kirchtürme: Rainer Maria Schießler
az Maßkrüge und Kirchtürme: Rainer Maria Schießler

Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer - und er kellnert auf dem Oktoberfest. Auf abendzeitung.de schreibt er ein Wiesn-Tagebuch. Teil 3: Die Freude von und mit behinderten Kindern auf der Wiesn.

Sie könnten eigentlich eine ganz normale Familie sein, so wie sie in unseren Biergarten kommen: Eltern, zwei jugendliche Kinder, Großeltern und noch eine befreundete Familie. Etwas ist aber ganz anders: Die Kinder, ein Bub und ein Mädchen, ca. 15 Jahre alt, schick und in eine einfache, schöne Tracht gekleidet, sind beide schwerstbehindert und werden im Rollstuhl gefahren. Der Junge kann ihn kurzzeitig verlassen und auf der Bank Platz nehmen, das Mädchen aber nicht. Von Anfang an aber geht von dieser Familie nichts Trauriges, sondern ein ganz besonderer Charme, ein Großmut, eine Lebensfreude aus, die einfach seinesgleichen sucht. Mit einer so überzeugenden Normalität gehen sie alle miteinander um, dass ich nur noch Bauklötze staunen kann.

Als man von der Wirtsbudenstraße das Klingen eines Pferdefuhrwerks hören kann, springt das Mädchen der Nachbarsfamilie plötzlich auf, schnappt sich den Rollstuhl mit ihrer behinderten Freundin und schiebt sie vorsichtig auf die Straße hinaus. Die wiederum ist jetzt so voller Vorfreude, dass sie ungehemmt in ein lautes Juchzen und Lachen ausbricht.

Noch eine Stunde vor dieser Begegnung studierte ich einen exzellenten Artikel über das Problem der Spätabtreibungen in Deutschland. Dabei werden Kinder, deren schwere Behinderung bereits im Mutterleib festgestellt wird, noch im 6. oder 7. Monat getötet. Die betroffenen und heillos überforderten Eltern werden meistens mit der niederschmetternden Diagnose der Behinderung des eigenen Kindes nicht fertig und entschließen sich sehr schnell für diesen Schritt. Hauptsache der Schrecken ist weg. Oftmals aber kommt er später wieder in Form von schweren psychischen Störungen, vor allem bei den Müttern, die dann auch noch bitter allein gelassen werden.

Hier bietet mir meine Wiesn ein gelungenes Kontrastprogramm. Da haben junge Eltern und ihr Umfeld, Großeltern und Freunde, alle zusammen Ja gesagt und glücklichen Menschen das Leben und viel, viel Freude geschenkt. Ich möchte vor solchen Lebensbeispielen einfach nur den Hut ziehen, möchte diesen Menschen sagen, wie groß mein Respekt und meine Achtung vor ihrer Lebensleistung ist. Aber ich glaube, sie wissen das auch sehr gut, neben den vielen mühsamen Stunden und Tagen, die ihnen ihre mutige Entscheidung, Ja zu den Kindern gesagt zu haben, auch sicherlich schon gebracht hat.

Und schon rauschen die beiden Mädels wieder zurück in den Biergarten, beide hellauf lachend, das behinderte Mädchen glänzt noch mehr vor all der Lebensfreude, die ihr da durch Menschen zuteil geworden ist. Ich setze mich in meinen Service und schau ihnen noch etwas zu und Freude mich ganz still leise mit diesen glücklichen Menschen.

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