Schießerei von Unterföhring: Jetzt spricht Polizist Kilian I. vor Gericht
Zweiter Verhandlungstag im Hochsicherheitssaal der JVA Stadelheim: Nachdem am Dienstag das verstörende Überwachungsvideo abgespielt wurde, das zeigt, wie Alexander B. einer Polizistin in den Kopf schoss, sagte nun deren Kollege aus.
München - Es waren 23 Sekunden, die ein Leben zerstörten: Am 13. Juni 2017 sollte eine zu Hilfe gerufene Polizeistreife den S-Bahn-Randalierer Alexander B. kontrollieren. Zunächst verlief die Überprüfung routinemäßig, doch dann stieß B. plötzlich einen der Polizisten zu Boden und schaffte es irgendwie, ihm die Dienstwaffe aus dem Halfter zu reißen. Sekundenlang standen sich Alexander B. (38) und die damals 26-jährige Jessica L. gegenüber, beide die Pistole im Anschlag. Dann drückte B. ab - und schoss der jungen Polizistin in den Kopf.
"Der hat deine Waffe!" - So erlebte Polizist Kilian I. die Schießerei
Am heutigen Mittwoch (11.04.) sagte nun Jessica L.s Kollege Kilian I. als Zeuge vor Gericht aus. Er schilderte, wie er die 23-Horror-Sekunden von Unterföhring erlebte.
Gegen kurz nach 08:00 Uhr an jenem Dienstag erhielten die beiden Polizisten den Funkspruch der Leitstelle, der sie zur S-Bahn-Station Unterföhring beorderte. "Der Einsatzgrund hörte sich banal an. Wir gingen von einem Sitzplatzstreit im Pendlerverkehr aus", erklärt I. vor Gericht. Immer wieder stockt seine Stimme, oft muss er bei der Erinnerung an das Erlebte tief durchatmen.
Vor Ort angekommen stellte sich die Situation für I. und seine Partnerin weiterhin völlig ungefährlich dar. Der spätere Täter habe "fast schon gleichgültig" gewirkt. Doch dann, als die nächste S-Bahn in Richtung Flughafen einfuhr, rastete der Mann plötzlich völlig aus. Er stieß Kilian I. mit einem "heftigen Stoß aus dem Nichts" zu Boden und stürzte sich anschließend auf den völlig überrumpelten Polizisten. Unmittelbar darauf ruft Jessica L. ihrem Kollegen zu: "Der will deine Waffe" und kurz darauf "der hat deine Waffe!".
"Da wird einem klar: jetzt ist alles ausgeschöpft"
Für einen Augenblick scheint die Zeit stillzustehen. Vor Gericht sagt I.: "Das ist ein Moment, da wird einem klar, jetzt ist alles ausgeschöpft." Er hastet in Deckung, damit er nicht im Schussfeld seiner Kollegin steht, die blitzschnell ihre eigene Dienstwaffe gezogen hat. Dann fallen auch schon Schüsse und er sieht die Kollegin zu Boden stürzen. Während der Täter flüchtet rennt Kilian I. zu Jessica B., zieht sein Hemd aus und versucht damit die Blutung am Kopf zu stillen. "Man kann sich nicht vorstellen, wie hilflos man sich in so einer Situation fühlt", versucht I. seine Verzweiflung in Worte zu fassen.
Sechs Wochen war I. nach der Tat krankgeschrieben, nahm psychologische Hilfe in Anspruch. Er machte sich einen Plan, um Stück für Stück wieder in den Alltag zurückzufinden, sich seinen Ängsten zu stellen: Das erste Mal S-Bahn-Fahren nach der Schießerei, die Rückkehr in den Streifenwagen. Inzwischen ist Kilian I. tatsächlich wieder im Streifendienst ("ich tue das gerne"), vergessen oder verdrängen kann er jenen 13 Juni aber nicht.
Verteidigung und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass Alexander B. an einer paranoiden Schizophrenie leidet, in deren Folge er nicht schuldfähig ist (hier nachlesen, was das bedeutet). Sollte das Gericht sich dieser Einschätzung nach dem auf acht Prozesstage angesetzten Verfahren anschließen, so würde B. nicht wegen der Anklagepunkte gefährliche und schwere Körperverletzung sowie versuchter Mord verurteilt werden, sondern in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden.
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