Sarrazin kommt nach München - Integriert samma!

Thilo Sarrazin tritt am Mittwoch in München auf. Den Provokateur und seine umstrittenen Sprüche wollen auch an der Isar viele hören. Dabei sind die zahlreichen Münchner mit ausländischen Wurzeln ein Musterbeispiel für gelungene Integration
von  Abendzeitung
Hülya Ördek-Wallner
Hülya Ördek-Wallner © Gregor Feindt

MÜNCHEN - Thilo Sarrazin tritt am Mittwoch in München auf. Den Provokateur und seine umstrittenen Sprüche wollen auch an der Isar viele hören. Dabei sind die zahlreichen Münchner mit ausländischen Wurzeln ein Musterbeispiel für gelungene Integration

Einen solchen Ansturm kennt das Literaturhaus bei seinen Lesungen sonst nicht. Einen solchen Gegenwind auch nicht. Wegen der großen Nachfrage hat das Literaturhaus für den Auftritt vom Provokateur Thilo Sarrazin die Reithalle angemietet – nach wenigen Tagen war ausverkauft – 750 Karten.

Der Auftritt Sarrazin hatte schon vor Wochen für Aufregung gesorgt. Sarrazin wollte sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ präsentieren, Gabor Steingart, Chefredakteur des „Handelsblatts“, sollte ihm Fragen stellen. Erst nach Kritik des Grünen-Stadtrats Florian Roth und des Ausländerbeirats wurden jetzt die „Experten“ erweitert: Armin Nassehi, deutscher Soziologie-Professor der LMU mit iranischen Wurzeln, sitzt ebenfalls auf dem Podium, Steingart darf sich voll auf die Debatte konzentrieren, die Moderation übernimmt der BR-Radiojournalist Achim Bogdahn. Eine Protestdemo von Münchner Antifaschisten ist angemeldet – das KVR rechnet mit etwa 50 Leuten.

Der Ausländerbeirat wollte Sarrazin unbedingt einen Experten aus der Stadt entgegenstellen. „Denn in München läuft vieles besser“, sagt dessen Vizechef Asgar Can. In der Tat belegen die Zahlen, dass München im Vergleich mit anderen deutschen Städten die weltoffensten Migranten hat, die überdurchschnittlich gut gebildet und sehr gut integriert sind.

Das Heidelberger Sinus-Institut hat das Leben von Migranten in Deutschland untersucht. Rund ein Drittel der Münchner hat Migrationshintergrund: Dazu zählen alle mit ausländischen Wurzeln, ob mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Die Wissenschaftler fragten Werte, Bildung und Lebensstil ab und teilten die Migranten in fünf sogenannte Milieus ein.

Die „multikulturellen Performer“

Das ist ein „junges, leistungsorientiertes Milieu, das sich mit dem westlichen Lebensstil identifiziert und nach beruflichem Erfolg strebt“, so die Forscher. München liegt ganz vorne, was diesen Anteil der Migranten angeht. Bei uns sind es 19,6 Prozent, in Regensburg 17,2, bundesweit nur 13 Prozent.

Die „intellektuellen Kosmopoliten“

In keiner anderen deutschen Stadt leben so viele (15,3 Prozent, bundesweit sind es nur 11). Das ist ein „aufgeklärtes Bildungsmilieu mit einer weltoffen-toleranten Grundhaltung.“ 41 Prozent in davon sind Akademiker.

München hat auch die meisten (14,2 Prozent) aus dem „statusorientieren Milieu“. Dazu zählen die, die aus kleinen Verhältnissen kommen und für sich und ihre Kinder etwas Besseres erreichen wollen. Bundesweit liegt der Schnitt da bei 12 Prozent.

Unterrepräsentiert sind in München dagegen die Milieus, die die Sozialforscher als problematisch ansehen: Nur 12,5 Prozent gehören zu den „Hedonistisch-Subkulturellen“, zur „unangepassten zweiten Generation“, der die Forscher eine „Verweigerungshaltung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft“ zuschreiben. Bundesweit sind es 15 Prozent, in Berlin 20,2. Auch beim „traditionellen Arbeitermilieu“ und bei den „Religiös-Verwurzelten“ hat München den geringsten Anteil aller Städte.

Die AZ hat Migranten nach ihrem Leben in München und ihrer Meinung zu Sarrazin gefragt.

Simone Weissmann

Die 32-Jährige lebt seit 1996 in München – und liebt das Oktoberfest. Sie trinkt zwar keinen Alkohol, die Wiesn mag Simone Weissmann trotzdem. „Ich liebe es, hier Ente zu essen“, sagt sie. „Und einmal gehe ich mit brasilianischen Freundinnen her. Da ist was los.“ 1996 kam sie von Brasilien nach Deutschland, machte eine Lehre als Mundhygienikerin. „Mein Chef war der heutige Minister Wolfgang Heubisch.“

Mit ihr und München, sagt sie, „war es Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte nie Probleme, weil ich Ausländerin bin oder weil ich schwarz bin.“ Zu Sarrazin möchte sie sagen: „Ich habe noch nie einen Pfennig vom deutschen Staat genommen, ich habe immer gearbeitet.“ Erst in ihrem Beruf bei einem Zahnarzt, inzwischen hat sie sich mit einer Eventagentur selbständig gemacht. Probleme hatte sie nur mit der Sprache. „Ich habe viel gearbeitet und hatte keine Zeit für eine Sprachenschule. Ich mache heute noch Fehler.“

Vor acht Jahren lernte sie ihren Mann kennen, einen deutschen Arzt. Ihr ältester Sohn ist vier, die Zwillinge sind eineinhalb. Die Kinder lernen portugiesisch und deutsch und sollen mal eine internationale Schule besuchen. „Mein Mann hat auch Familie in den USA. Die Kinder wachsen mit verschiedenen Sprachen und Kulturen auf.“ Für Weissmann ist Deutschland zur Heimat geworden „Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, in Brasilien zu leben. Ich trage nicht nur Dirndl, ich fühl mich auch so.“

Hülya Ördek-Wallner

Die 39-Jährige ist Rechtsanwältin und mit einem Bayern verheiratet. Ihr Vater kam Ende der 60er aus der Türkei, um als Spritzlackierer beim Hubschrauberhersteller MBB zu arbeiten, die Mutter arbeitete als Reinigungskraft. „Damals gab es keine Sprachkurse, keine Hilfe“, sagt Hülya Ördek-Wallner. Einige Jahre war sie als Kind bei Verwandten in der Türkei, die Eltern schufteten in Deutschland. Als sie acht war, kam sie wieder nach Bayern – und verstand anfangs kein Wort.

Die Lehrerin empfahl Hülya nicht fürs Gymnasium. „Mein Vater war es, der aufs Gymnasium bestand. Er wollte, dass seine Kinder bessere Chancen haben als er. Ohne sein Drängen wäre ich keine Rechtsanwältin. Bessere Bildungsschancen wären auch heute wichtig für die Integration.“ Mit ihrem bayerischen Mann Hubert hat Ördek-Wallner eine Kanzlei mit Schwerpunkt Arbeitsrecht für Arbeitnehmer. „Meine Mutter liebt meinen Mann heiß und innig. Die Familien sind sich als Menschen begegnet, nicht als Deutsche und Türken.“

Seit Jahren hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit. „Ich wollte hier wählen. Ich kann mir aus der deutschen und der türkischen Kultur das Beste raussuchen.“ Sie ist Muslimin, gehört zu den liberalen Aleviten und ist für strikte Trennung von Religion und Staat. „Sarrazins Thesen ärgern mich maßlos. Ich möchte nicht mit Islamisten und Kriminellen in einen Topf geworfen werden“, sagt sie. „Jugendkriminalität zum Beispiel ist ein soziales Problem, keines, dass nur mit Migrationshintergrund zu tun hat. Sarrazin vermengt und verkürzt, wie es ihm passt.“

Ruhi Cavusoglu

Der 21-Jährige übernimmt die zwei Lebensmittelgeschäfte seines Vaters. Er ist zwar in der Türkei geboren. „Aber nur, weil ich eine Frühgeburt bin, meine Eltern waren grade in der Türkei im Urlaub.“ Ruhi Cavusoglu ist selbst nur sehr selten in der Türkei. Die meiste Zeit verbringt er im Geschäft. Zwei Lebensmittelläden in der Goethestraße wird er von seinem Vater übernehmen. Der Opa war aus der Türkei nach München gekommen, hatte als Schneider gearbeitet und später ein Elektronik-Geschäft aufgebaut. „Mit der Kundschaft spreche ich viel Türkisch, aber privat meistens Deutsch", sagt Ruhi. „Sogar mit meiner Verlobten, obwohl sie auch Türkin ist.“

Seine Lederhosen zieht er nur selten an, wenn eben Wiesnzeit ist. Er fühlt sich als Türke und Münchner gleichzeitig. „Ich bin Türke, aber ich weiß, wie man sich in Deutschland benimmt.“ In der Türkei möchte er nicht leben. „Und in Berlin auch nicht. Das wär genauso ein Schmarrn, das wäre mir zu türkisch da.“ Er ist in Berlin gewesen und vermutet, dass da die Leute sind, die Sarrazin wirklich meint. „Ich habe da Türken gesehen, die den ganzen Tag nur rumhängen. Jetzt kriegen sie fünf Euro mehr. Ich arbeite 16 Stunden am Tag, und das mit Leidenschaft.“

Dass seine Familie sich alles selbst erarbeitet hat, das ist ihm wichtig. „Sarrazin will nur Ärger machen, mit mir hat das Gerede nichts zu tun. Einer meiner besten Freunde, auch mit türkischen Eltern, ist deutscher Polizist.“ Ruhi hatte auch schon mal eine deutsche Freundin. „Jetzt heirate ich eine Türkin, ganz einfach, weil es die Richtige ist.“ Zeynep trägt Kopftuch. „Das macht sie, weil sie es möchte. Von mir aus muss sie nicht, von ihrer Familie her auch nicht. Sie macht die Sachen, die sie für richtig hält. So wie ich auch.“

Tina Angerer

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