S-Bahn-Schläger Markus: Jetzt spricht die Mutter

Wie ist es, wenn der eigene Sohn einen Menschen erschlagen hat? - Wie Markus S. damals am 12. September auf dem S-Bahnhof Solln. Er und sein Komplize sitzen in U-Haft, warten auf den Prozess. Die Mutter von Markus sagt: "Wir wissen nicht, was da schief gelaufen ist."
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Sabine S. im Interview mit "Report München"
BR/Report München 2 Sabine S. im Interview mit "Report München"
Markus S. (18)
az 2 Markus S. (18)

MÜNCHEN - Wie ist es, wenn der eigene Sohn einen Menschen erschlagen hat? - Wie Markus S. damals am 12. September auf dem S-Bahnhof Solln. Er und sein Komplize sitzen in U-Haft, warten auf den Prozess. Die Mutter von Markus sagt: "Wir wissen nicht, was da schief gelaufen ist."

Der Bub sitzt auf der Couch und spielt Gitarre. Er zeigt, was er geübt hat und schaut nach seinem Privatkonzert zufrieden in die Kamera. Wenn Sabine S. dieses Video von ihrem Sohn anschaut, dann hängt sie förmlich an den Augen des Kindes. Sie will nicht in ihren Kopf kriegen, dass ihr Markus ein Totschläger geworden ist. Dass er den 50-jährigen Dominik Brunner so stark mit Schlägen und Tritten traktiert hat, dass der Mann daran gestorben ist.

„Ich kann es mir nach wie vor nicht vorstellen, aber es ist passiert“, sagt Sabine S. leise. Nach langem Zögern ist sie von sich aus an die Öffentlichkeit gegangen und hat in der Sendung „Report München“ ein Interview gegeben. Sie will ihre Ohnmacht ausdrücken, sie will, das die Leute wissen, dass ihr Markus ein ganz normaler Junge gewesen ist.

„Für uns ist es unvorstellbar, dass er zu so was fähig war.“ Sabine S. versteht nicht, was in ihrem Sohn vorging. wann sie hätte anders reagieren müssen. „Wir wissen nicht, was da schief gelaufen ist. Weil es war wirklich, bis er 15 war, ungefähr 14, 15, war eigentlich alles ganz normal.“ Anders als sein Mittäter Sebastian L., der Scheidungskind war und dessen Mutter seit Jahren in einem Pflegeheim lebt, der seinen Vater verlor und früh in den Drogensumpf rutschte, wuchs Markus in einer gutbürgerlichen Familie auf, in einer Doppelhaushälfte in Johanneskirchen. Markus ist das zweitälteste von vier Kindern.

In der Schule ist er mittelmäßig. Nach der Grundschule darf er nur auf die Hauptschule. „Das war tragisch, denn von der gesamten Klasse haben es nur zwei Schüler nicht geschafft, auf eine höhere Schule zu gehen“, erzählt die Mutter. „Das hat zum Selbstbewusstsein auch nicht gerade positiv beigetragen“. Ohne Abschluss geht Markus von der Schule ab, später macht er den Hauptschulabschluss aber nach. Meistens hängt er im Zamilapark herum, bei den Skatern.

Sie klingt hilflos

Doch dort sind Markus und seine Freunde Außenseiter. Ein Skater erzählt dem ARD-Magazin: „Die waren einfach nicht aufgeräumt, sie hatten viel zu viel Freizeit und kein Ziel. Sie hatten nichts zu tun und haben halt ihren Tag gefüllt mit irgendwelchen sinnlosen Sachen.“ Dort, so glaubt Sabine S., sei er in falsche Gesellschaft geraten. Hilflos klingt sie, als sie erzählt, wie sie ihre Söhne gebeten hat, nicht mehr in den Park zu gehen. „Weil wir halt wirklich schon ganz schlechte Sachen gehört haben, und auch dass da bestimmte Personen sich aufhalten, die Drogen an den Mann bringen wollen. Aber dann haben sie auch gesagt, ja wo sollen wir denn sonst hin?“ Drogen und Alkohol gehören da schon zu Markus’ Alltag. Einziges Vorbild für Markus ist sein älterer Bruder – doch der ist bereits kriminell geworden, er sitzt wegen Drogenhandels.

Wie wenig Sabine S. von ihrem Sohn wusste, wird ihr erst nach der Tat klar. Im Internet brüstete sich Markus als harter Kerl, gab an mit seinem vierwöchigen „Urlaub“ in Stadelheim wegen Raubes. In seinem Zimmer werden Songtexte und Zeichnungen von Markus gefunden, die einen verzweifelten Jugendlichen zeigen. „Zügel deine Wut“, schrieb er. „Was ist der Sinn meines Lebens, ich finde ihn nicht. Ich hab' kein Vertrauen, bin deswegen unberechenbar. Mein Leben ist am Ende, es gibt jetzt keine Wende, ich muss jetzt alles beenden, am besten mein Leben.“

Der Psychiater Norbert Nedopil von der Uniklinik München sagt dazu: „Wer als Außenseiter Depressionen hat und ein Mann ist, lebt gefährlich. Die meisten Männer begehen dann Selbstmord oder machen einen Selbstmordversuch“. Viele, vor allem Männer, würden aber auch aggressiv. „Aggression ist häufig bei Jugendlichen ein Zeichen von Depression.“

"Er hat alles in sich reingefressen"

Sabine S. machen die Worte ihre Sohnes nachdenklich, aber auch ein bisschen wütend. „Weil er sich uns nicht offenbart hat, weil er ja nicht drüber gesprochen hat, sondern das alles in sich reingefressen hat.“ Auch Markus' Mittäter Sebastian öffnet sich niemandem. Nach dem Tod seines Vaters hat er psychische Probleme. In der Jugendpension Wohnhilfe e.V., in der er drei Monate lebt, kommt niemand an ihn ran. „Sebastian war ein junger Mann, der sehr schüchtern wirkte, sehr introvertiert, mitunter traurig, als würde er unter einer enormen Last leiden“, sagt sein damaliger Betreuer Ludwig Lugmeier. Sebastian trinkt und kifft weiter. „Das war so seine Scheinwelt, in die er sich geflüchtet hat.“

Am 12. September lassen Markus und Sebastian ihre Wut an einem unbescholtenen Mann aus. Dominik Brunner bezahlt mit dem Leben. „Es tut mir wirklich total leid, dass das so ausgegangen ist“, sagt Sabine S. Dennoch bleibt die vierfache Mutter ratlos zurück. Fragt sie sich oft, was sie falsch gemacht hat? „Ja sicher, das fragt man sich schon oft. Aber uns fällt nichts ein. Wir würden es wahrscheinlich wieder so machen.“ Was Markus über seine ungeheuerliche Tat denkt, ist sein Geheimnis. Markus Kraus, der Leiter des Mordkommissariats, sagt dazu: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es so, dass keiner der Täter irgendwelche Angaben gemacht hat, aber auch nicht irgendwie die Tat bereut oder bedauert hätte.“

Tina Angerer

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