S-Bahn-Mord: Polizei ermittelt nicht wegen unterlassener Hilfeleistung
MÜNCHEN - Die Münchner Polizei ermittelt derzeit nicht wegen unterlassener Hilfeleistung im Zusammenhang mit dem S-Bahn-Mord in Solln. Die Zeugen sollen zunächst das Erlebte schildern, wie ein Polizeisprecherin jetzt mitteilte
Zwei junge Männer prügelten ihr Opfer am helllichten Tag auf einem Bahnsteig zu Tode – doch trotz ausdrücklicher Aufforderung soll keiner der Zeugen eingegriffen haben. Vier Tage nach der tödlichen Attacke auf einen Geschäftsmann in München will sich die Polizei nicht auf solche Spekulationen über angeblich feige Beobachter einlassen. Derzeit werde nicht wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt, sagte eine Polizeisprecherin am Mittwoch und bestätigte damit Berichte der „Süddeutschen Zeitung“.
„Wir wollen jetzt erst einmal die Zeugen hören, die uns die Geschichte so erzählen, wie sie sie erlebt haben. Das kann man nicht einfach so sagen, dass jemand nicht geholfen hätte.“
Medienberichten zufolge wurden während der Attacke am vergangenen Samstag mehrere Zeugen vergeblich aufgefordert, einzugreifen und zu helfen. Bereits am vergangenen Montag hatte die Polizei von 15 Zeugen am Tatort gesprochen. Ein 16 Jahre alter französischer Austauschschüler bestätigte dem Online-Dienst „bild.de“, dass Passanten untätig zugesehen hätten.
Zwei 17 und 18 Jahre alte Jugendliche hatten am Samstag auf dem Münchner S-Bahnhof Solln einen 50 Jahre alten Geschäftsmann zu Tode geprügelt. Der Mann hatte eine Gruppe von Kindern vor den Schlägern beschützen wollen. Die beiden mutmaßlichen Täter und ein weiterer 17- Jähriger, der kurz vor der Attacke mit einer anderen S-Bahn davongefahren war, die Kinder aber ebenfalls angegriffen hatte, waren der Polizei bekannt. Alle drei waren bereits mehrfach wegen Straftaten wie Diebstahl oder Drogenbesitz aktenkundig geworden.
Berichten der „Bild“-Zeitung vom Mittwoch zufolge sollen die beiden 17-Jährigen nur sechs Tage vor dem tödlichen Angriff brutal auf einen Rentner losgegangen sein und versucht haben, ihn auszurauben. Erst am 7. September seien die beiden festgenommen, später aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft war für einen Kommentar zu den Berichten zunächst nicht zu erreichen.
Am Mittwoch beherrschte die Zeitungen vor allem die Diskussion um Beobachter, die den Kindern und später dem 50-Jährigen nicht geholfen haben sollen. Laut „Süddeutscher Zeitung“ erzählten die Kinder einer Passantin, dass sie nicht nur um Hilfe gerufen, sondern gezielt Passanten angesprochen hätten, mit der Bitte einzugreifen. Doch mehrere Personen seien weitergegangen, berichtete die Frau.
Staatsanwalt Laurent Lafleur sagte der Zeitung zum Verhalten der Passanten, die Staatsanwaltschaft sei wie auch in anderen Fällen angehalten, nur eine „rechtliche Bewertung“ vorzunehmen. Eine „moralische Bewertung“ sei eine ganz andere Sache.
Auch die politische Diskussion um Konsequenzen aus dem Vorfall dauerte am Mittwoch an. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler forderte in der „Bild“-Zeitung Schutzpersonal für jeden S-Bahn-Wagen. Zur Finanzierung schlug er vor, einen Sicherheitsaufschlag von zehn Cent pro Fahrschein einzuführen. Die bayerische Rechtspolitikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nannte am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur eine stärkere Polizeipräsenz als das wirkungsvollste Mittel gegen Jugendgewalt. Sie widersprach zugleich den Forderungen des bayerischen Koalitionspartners CSU nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts.
Am Mittwochabend sollte der mutige Einsatz des Ermordeten mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Nähe des Tatorts am S- Bahnhof gewürdigt werden. Die Andacht solle dazu ermutigen, auch künftig mit Zivilcourage für den Schutz anderer Menschen einzustehen, betonten evangelische und katholische Kirche.