S-Bahn: Einsturzgefahr für die Frauenkirche?

MÜNCHEN - Wenn der Tunnel für die zweite Stammstrecke kommt, könnte die Frauenkirche schwere Schäden davontragen. Das befürchtet ein Experte. Er hat eine ganz eigene Alternative für die Auslastung im S-Bahn-Verkehr.
Die Bilder vom eingestürzten Kölner Stadtarchiv gingen um die Welt. Nichts als Schutt, wo einst ein großes Gebäude stand. Kann sich ein solches Unglück wiederholen, wenn in München die zweite Stammstrecke entsteht? Um diese Frage ging es jetzt bei einem Fachgespräch, zu dem der grüne Landtagsabgeordnete Martin Runge eingeladen hatte.
Es ist erneut die Münchner Frauenkirche, um die man sich Sorgen macht. Bereits vor einigen Jahren war darüber diskutiert worden, ob der Tunnel-Bau die Statik des Bauwerks gefährden würde. Jetzt meldete sich der Architekt und Stadtplaner Jürgen Rauch zu Wort: "Es wäre sicher nicht verkehrt, einen gewissen Respekt-Abstand vom Gebäude zu halten." Als optimal bezeichnete er, wenn die Baumaßnahme genau so viele Meter Abstand vom Dom halte, wie sie auch in die Tiefe geht. Sprich: 40 Meter. Nach aktuellen Planungen werde stellenweise aber ein deutlich geringerer Puffer eingehalten - vor allem in der Nähe des Chores, wo die Trasse in gerade Mal zehn Metern Entfernung verlaufen würde.
Der Dom war im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden und teils mit leichten Bauteilen wieder aufgebaut worden, erklärte Ingenieur Rauch. "Da muss man schon damit rechnen, dass das Gebäude empfindlich reagiert."
Südring könnte schon 2015 in Betrieb gehen
Für ihn gibt es ohnehin eine viel einfachere Lösung als die Zweite Stammstrecke, um die Kapazität der S-Bahn zu erhöhen. Jürgen Rauch, der auch am U-Bahnhof Dülferstraße mitwirkte, hat untersucht, welchen Effekt eine ausgetüftelte "Fahrgastleitung" in München hätte. Das Prinzip ist simpel: Die Fahrgäste sollen dazu gebracht werden, in Waggons einzusteigen, in denen noch Platz ist - zum Beispiel mit Hilfe automatischer Anzeigetafeln. Der Haltezeitpunkt der Züge könnte dadurch stark verkürzt werden. "Damit könnte ein Drittel mehr Kapazität erreicht werden." Rauch spricht von 40 Zügen pro Richtung und Stunde.
Südring oder Zweite Stammstrecke - sind nicht beide überflüssig, wenn Rauchs Rechnung stimmt? Der Landtagsabgeordnete Martin Runge widerspricht: "Selbstverständlich wollen wir damit den Südring nicht begraben. Er dient auch der Erschließung anderer Stadtteile!" Außerdem sei er ein wichtiger Puffer, wenn es auf der Stammstrecke zu einem Störfall käme. "Bei dieser Forderung bleiben wir." Martin Vieregg von der Verkehrsberatungsgesellschaft Vieregg/Rössler geht davon aus, dass ein Teilausbau des Südrings schon Ende 2015 in Betrieb gehen könnte - wenn im Herbst eine politische Entscheidung fällt. Wenn.
Zu Beginn der Planung war das Erzbistum vehment gegen den Tunnel in unmittelbarer Nähe des auf Eichenpfählen ruhenden Doms, setzte alle Hebel in Bewegung und ließ Untersuchungen machen. „Der Tunnel ist jetzt nicht mehr so nah beim Dom geplant“, sagte gestern beschwichtigend Domdekan Lorenz Wolf zur AZ. Die nächste Stelle sei 15 Meter entfernt, 40 Meter tief, und der Dom sei „sehr standfest“. Wolf: „Es ist nicht zu befürchten, dass sich wie in Köln Sandlöcher oder Luftlöcher bilden.“ Man sei aber auch vor nichts sicher. Und: „Dass der Dom einstürzt, halte ich für sehr unwahrschienlich.“
Julia Lenders, wbo