Russische Deserteure in München: "Einfach nur leben!"

In Russland hätte ihnen gedroht, in der Ukraine kämpfen zu müssen. Deshalb sind Dmitri, Denis und Andrey nach Deutschland geflohen. Wie es ihnen hier geht und welche Perspektive sie haben.
Heidi Geyer |
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Von links: Andrey, Dmitri und Denis sind vor der Einberufung aus Russland geflohen.
Von links: Andrey, Dmitri und Denis sind vor der Einberufung aus Russland geflohen. © Geyer

München - Auf den ersten Blick wirkt es so, als wären sie ganz normale Gäste in einem Café im Gärtnerplatzviertel. Piercings, Bomberjacke und goldene Hipsterbrille – kein Mensch würde darauf kommen, dass Dmitri Peruvshin (41), sein Partner Denis Shershnev (38) und ihr Freund Andrey Frolov (35) russische Deserteure sind.

So sehen die russischen Deserteure den Angriffskrieg von Putin

"Der Angriff auf die Ukraine am 24. Februar war der schlimmste Moment unseres Lebens", erzählt Dmitri im Gespräch mit der AZ. Für ihn wie auch für Andrey und Denis sind Putins Motive so, wie sie viele Menschen in Deutschland beurteilen: wahnsinnig.

Noch am selben Abend haben Dmitri und Andrey in Moskau auf dem Puschkinplatz protestiert. Ohne Denis, weil Andrey einen Hund hat. "Das Risiko, verhaftet zu werden, war ziemlich hoch." Einer sollte sich um das Tier kümmern können, sofern die beiden Männer Probleme bekommen sollten. Genau das sei auch passiert, aber noch vergleichsweise glimpflich ausgegangen: Sechs Stunden im Polizeirevier und eine Geldstrafe in Höhe von circa 350 Euro haben die beiden bekommen.

Homosexualität ist in Russland ein Tabu

Schon vor dem Ukrainekrieg haben die drei oft protestiert, erzählen sie. Gegen Putin, für ihre Rechte und ihre Freiheit. Für die drei ist es auch eine ganz persönliche Angelegenheit: Dmitri, Denis und Andrey sind homosexuell. "Das ist eh schon schwer in Russland", sagt Andrey. Er stammt aus einer kleinen Stadt nahe der chinesischen Grenze.

Es sei einfach eine Sache, die nicht ausgesprochen werde. Ein halbwegs normales Leben könne man führen. Wobei er einschränkt: "Es verblüfft mich schon, dass ich hier in München Paare ganz offen auf der Straße sehe."

Russische Männer fliehen vor Mobilmachung nach München

Auch nach Kriegsbeginn haben die drei Männer noch Hoffnung gehabt, dass sich in Russland etwas würde ändern können. Wachsam seien sie aber immer gewesen, etwa, als es Gerüchte gab, dass Putin zum symbolträchtigen 9. Mai eine Mobilmachung von russischen Männern für die "Spezialoperation", wie er den Krieg nennt, plane. Die sei zwar nicht gekommen, Dmitri sei aber panisch geworden. "In dem Moment habe ich entschieden, dass ich bei einer Mobilmachung mein Land verlassen werde", sagt Andrey.

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Denis hat den fatalen Brief vom Militär sogar schon bekommen: Man wolle seine Informationen erneuern, hieß es darin. Da war für die drei Russen klar, dass sie ihr Heimatland verlassen werden. "Bevor ich an die Front geschickt worden wäre, wäre ich lieber ins Gefängnis gegangen", sagt Dmitri, Denis und Andrey stimmen ihm zu. Schon früh haben sie sich um Schengen-Visa gekümmert, um im Notfall flüchten zu können.

"Russland ist ein totalitärer Staat"

"Lieber Volksaufstand in Moskau als Dolce Vita im Westen" titelte das Magazin "Cicero" Ende September und kritisierte, dass potenzielle Deserteure lieber in Russland bleiben und dort für einen Umbruch sorgen sollten. Die drei Männer nehmen solche Vorwürfe relativ gelassen. Weil sie glauben, dass es unrealistisch ist: "Russland ist ein totalitärer Staat", sagt Dmitri. "Man kommt ja schon ins Gefängnis, wenn man nur den Angriff in der Ukraine als Krieg bezeichnet", sagt Andrey.

Wie die Stimmung im Land gegenüber Putin ist, können die drei kaum beurteilen. Schließlich haben alle Menschen Angst, das Falsche zu sagen und Konsequenzen zu spüren.

In ihren Familien erleben sie es unterschiedlich: Andrey hat zu seiner Mutter seit Februar keinen Kontakt mehr, weil sie den Krieg und Putin unterstützt. Er hätte ihr das nie zugetraut und ist furchtbar enttäuscht. Dmitri hört sowas auch von seinem Stiefvater. Dass viele Menschen ein hartes Leben in Russland führen, mache sie verwundbar für einen vermeintlich starken Mann, meint Andrey. Jetzt komme der Krieg aber durch jede Haustür: "Das könnte einiges verändern."

BAMF: Flüchtige Russen dürfen Asyl beantragen

Mit dem Münchner Dokumentarfilmer Stefan Eberlein hat Dmitri schon öfter bei Filmprojekten zusammengearbeitet, er hat die drei auch anfangs aufgenommen. Inzwischen ist Andrey bei einer befreundeten Familie untergebracht. "Wir sind sehr dankbar für die Hilfe, die wir hier bekommen und wurden auch noch nie angefeindet", sagt Andrey.

Alle drei dürfen nach Rückfrage der AZ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asyl beantragen und erhalten zunächst Schutz. "Diejenigen, die in die Armee eingezogen werden sollen und den Kriegsdienst verweigern, können Asyl beantragen", sagt Sprecher Stefan von Borstel.

Nur wollen Dmitri, Denis und Andrey eigentlich gar kein Asyl beantragen. "Es dauert in Deutschland einfach so lange und wir wollen unabhängig vom Staat sein", sagt Andrey. Er hat auch schon mehrere Jahre in Shanghai und Peking gelebt und weiß, dass seine Ausbildung am Arbeitsmarkt gefragt ist. Derzeit hat der Grafikdesigner zwei Jobangebote in Deutschland. Mit einer Anwältin klären die drei Männer, wie es für sie weitergehen kann.

In Moskau hat Denis in einem sehr guten Restaurant gearbeitet. Er könnte gleich morgen bei einer bekannten bayerischen Traditionswirtschaft als Koch anfangen. Er wird jedoch heute vorerst nach Armenien gehen, weil sein Visum ausläuft. Doch er möchte wieder zurückkehren, wenn er hier arbeiten darf.

Flucht aus Russland: "Es hat sich nicht mehr wie Heimat angefühlt"

Dmitris Visum ist noch bis Dezember gültig, allerdings hat er noch keine Perspektive für eine Festanstellung, mit der er vermutlich auch bleiben dürfte. Und freiberuflich, wie in der Branche üblich, sei es schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen.

Denis fühlt sich nicht als Flüchtling: "Ich kann gar nicht sagen, warum. Ich will einfach nur mein Leben leben." Er habe sich von Putins Russland schon vorher entfremdet: "Es hat sich nicht mehr wie Heimat angefühlt."

Andrey ging es anders, weil er sich nach langer Zeit in China erst wieder eingelebt hatte. Dmitri vermisst sein Sommerhaus: "Ich bin einfach ein Mensch, der sehr gerne zu Hause ist." Seine Mutter sei sehr traurig und aufgewühlt gewesen, als sie von der Flucht hörte. Sie habe ihn aber letztlich unterstützt.

In diesem Moment sieht man Dmitri an, dass es ihn schmerzt, darüber zu reden. Im Gespräche wirken die drei Männer jedoch erstaunlich abgeklärt dafür, dass sie ihr Heimatland hinter sich gelassen haben und in eine unbestimmte Zukunft blicken.

Warum sie nicht zerbrechen angesichts der Situation? "Wir brauchen eine Lösung", sagt Andrey schlicht dazu. Es sei wohl auch eine Eigenschaft vieler Russen: "Das Leben ist dort hart." Dmitri sieht das auch so, man müsse eben immer weitermachen. Zu hadern, sei nicht hilfreich.

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2 Kommentare
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  • Himbeergselchts am 10.11.2022 18:40 Uhr / Bewertung:

    Völlig in Ordnung, den Männern Zuflucht zu gewähren.
    Aber warum fällt ihnen erst so spät ein, dass sie in Russland als Homosexuelle verfolgt sind und warum empfanden sie den Krieg nicht bereits im Februar als übles Verbrechen?
    Und warum Deutschland? Finnland, Litauen, Polen, Rumänien, Tschechien kamen nicht in Betracht?

  • Sarkast am 10.11.2022 17:18 Uhr / Bewertung:

    Diese vollbärtigen Glatzköpfe können in Russland genauso leben wie hier.
    Bloß hier gibt es mehr Geld ohne zu arbeiten...

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