Ruhe sanft, kleine Aster!
Lyric-Obduktion: Gottfried Benns Gedichte im Electro-Sound-Bett
Gottfried Benn hat sich an Deutschland abgearbeitet. Und Deutschland hat sich an ihm abgearbeitet. 1912 veröffentlichte der damalige Assistenzarzt der Pathologie seinen Morgue-Zyklus: Eine Sammlung, die den expressionistischen Gestus mit der schockierenden Härte der Todesbeschreibung verband. „Morgue & More“ (assembleArt Verlag) heißt das Lyrik-Album, das heute und morgen in München präsentiert wird. Der Untertitel: „Benns Lyrik trifft elektronische Musik“.
Künstler wie der Schauspieler Stefan Hunstein, der Münchner Lyriker Albert Ostermaier, der Kabarettist Werner Schneyder oder der Autor Friedrich Ani haben Benns Gedichte eingesprochen. Danach wurden die Sprechstücke von den Musikern des assembleART mit elektronischen Sounds unterlegt. Die Kälte von „Kleine Aster“, der Reflexion über den „ersoffenen Bierfahrer“ auf dem Tisch der Pathologie, schwingt in den Samples der Streicherakkorden aus. „Aus Fernen aus Reichen“ ist der Gegenpol – Benns berührende Jenseitshoffnung: Hier ist der Tod nicht die Verwesung, sondern ein Übergang in den Unbekannten Raum. Die Akkorde einer elektronischen Orgel deuten den Raum hinter diesem Text mit soul-sakralen Schwingungen aus. Musik ist Verstärker des natürlichen Sprachrhythmus von Benns Gedichten.
Benn, den sein Expressionismus kurz für den Nationalsozialismus das Wort ergreifen ließ, der 1938 allerdings aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde und Schreibverbot erhielt, wuchs nach der Phase der Irrung zu einem Künstler, der sich in seine Wort einschloss, um in der Syntax seiner Gedanken Restsinn zu suchen und manchmal sogar zu finden.
Christian Jooß
Cafe GAP, Goethestraße 34, Montag, 20 Uhr.Seidlvilla, Niklaiplatz 1b, Dienstag, 19.30 Uhr, Eintritt zu beiden Veranstaltungen 7, ermäßigt 5 Euro.
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