Rottweiler beißt Frau in Kopf

MÜNCHEN Die Wunden reißen jeden Tag wieder auf. Täglich öffnet der Arzt die Fäden am rechtem Oberarm von Nicole E. und spült die klaffenden Löcher in ihrem Bizeps aus; die Infektionsgefahr ist immer noch hoch. In diesen Momenten denkt die Giesingerin wieder an den Rottweiler. Sein Knurren. Ihre Schreie. Die Zähne in ihrem Fleisch. Es ist ein Mittwoch, als Nicole E. mit ihrem Chihuahua „Shelby“ (3) in der Stadelheimer Straße unterwegs ist. Hier geht die Computer-Expertin jeden Tag mit ihrem Hund Gassi.
Um 15 Uhr kommt ihr der Rottweiler (7) entgegen. Ohne Leine. Sein Herrchen läuft neben ihm her. Nicole E. nimmt Shelby vorsichtshalber auf den Arm. „Plötzlich drehte der Rottweiler völlig unerwartet durch“, sagt die 33-Jährige. „Er biss mich in den Oberarm und zerrte mich zu Boden.“ Nicole E. rollt sich auf dem Pflaster zusammen, der Kampfhund stürzt sich auf sie. Er will offenbar Shelby attackieren. Nicole E. ist dabei für ihn nur ein störendes Hindernis – das er beseitigen muss: „Meinen Hund schützte ich, indem ich über ihm lag.
Der Rottweiler biss mich daraufhin mehrmals in den Hinterkopf. Ich hatte furchtbare Angst.“ „Paco“, so der Name des Rottweilers, zerreißt den rechten Oberarm der Frau. Die Haut platzt auf, aus den Wunden wölbt sich der Muskel, Blut spritzt auf die Straße, auf Shelby, auf Nicole E.’s Gesicht und den Kampfhund. Der stemmt seine Zähne in ihren Hinterkopf und reißt ihr Haarbüschel aus. Nicole E. kann ihren Hund nicht mehr halten. Shelby flüchtet, kommt aber nicht weit.
Der Rottweiler setzt ihm nach, greift ihn mit seinem Maul: Shelbys Rippen brechen, Paco beißt ihm die Lunge durch und schüttelt ihn wild hin und her. Sekunden später liegt der Chihuahua am Boden – reglos. Pacos Halter habe tatenlos zugesehen, sagt Nicole E. „Erst als der Rottweiler von meinem Hund abgelassen hatte, griff er ein und leinte ihn an.“ Nicole E. kommt mit den Risswunden, Prellungen, Blutergüssen und unzähligen Kratzern ins Krankenhaus. Die Ärzte sagen, sie solle besser länger bleiben.
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Doch sie schleppt sich nach einigen Stunden wieder hinaus. Shelby liegt in der Tierklinik Oberhaching. Dort kämpft er drei Tage lang gegen den Tod. „Ich musste zu ihm“, sagt die Münchnerin. Der Chihuahua überlebt. Nicole E. leidet bis heute an Albträumen, nimmt mehrmals täglich Schmerztabletten. Sie ist für einen Monat krank geschrieben. Aus Angst vor dem Halter des Rottweilers möchte sie nicht, dass ein Foto von ihrem Gesicht in der AZ erscheint: „Der wohnt ja in meiner Straße.“
Sie will, dass der Kampfhund endlich an die Leine muss: „Er hätte auch ein Kind angreifen können.“ E. meldet die Attacke der Polizei und erstattet Anzeige wegen Körperverletzung. Die Beamten geben den Vorfall ans Kreisverwaltungsreferat (KVR) weiter. Der Rottweiler läuft in dieser Zeit frei herum – weiter ohne Leine. „Der war am Abend nach der Tat wieder auf der Straße“, sagt der Giesinger Dominikus H. der AZ. Er sehe den Hund jeden Tag im Viertel. H. sagt auch: „Der Rottweiler hat schon mehrere Hunde schwer angegriffen.“
Davon weiß das KVR: „2009 gab es eine Anzeige“, sagt Sprecher Klaus Kirchmann auf AZ-Anfrage. „Es gab damals aber keine Beweise dafür.“ Über den Angriff auf Nicole E. zeigt man sich entsetzt: „Der Vorfall ist aus Sicht des KVR so gravierend, dass als Sofortmaßnahme Leinenzwang und Maulkorbpflicht von uns erlassen wurden“, so Kirchmann. Der Halter habe eine Erlaubnis für den Kampfhund der Klasse 2 – und ein so genanntes „Negativzeugnis“ aus dem Jahr 2006 (siehe Kasten).