Update

"Rote Linie überschritten": Debatte um Kinderlesung mit Drag Queens in München

Transsexualität in der Kinderlesung: Eine von der Münchner Stadtbibliothek geplante Veranstaltung für Kids ab vier Jahren stößt bei CSU und OB Dieter Reiter auf heftigen Widerstand und entfacht eine Diskussion darüber, inwieweit die Zielgruppe richtig gewählt ist.
von  Guido Verstegen
Posierte beim CSD noch freudig mit einer Drag Queen und Rosa Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl (r.): Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.
Posierte beim CSD noch freudig mit einer Drag Queen und Rosa Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl (r.): Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. © imago

München - Angekündigt ist die Veranstaltung der Münchner Stadtbibliothek als "Bilderbuchkino" und  "Lesung für die ganze Familie". Bei CSU-Stadtrat Hans Theiss und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) stößt sie jedoch auf heftige Kritik. Grüne und Linke verteidigen die Lesung der Drag Queens.

Transsexuelle in Kinderlesung: CSU-Stadtrat findet das unangemessen

Was steckt dahinter? Die Lesung ist für den 13. Juni (16 Uhr) unter dem Motto "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt" in der Stadtbibliothek in Bogenhausen vorgesehen und richtet sich an Kinder ab vier Jahren.

"Drag Queen 'Vicky Voyage' mit Drag King 'Eric BigClit' und die trans* Jungautorin Julana Gleisenberg nehmen euch mit in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten!", heißt es in der entsprechenden Ankündigung auf der Website der Stadtbibliothek.

CSU-Stadtrat Hans Theiss gefällt die Idee ganz und gar nicht. "Sexualkunde durch Drag Queens für 4-jährige Kinder – ist das wirklich Euer Ernst?“, schreibt der LGBTIQ*-Sprecher seiner Fraktion bei Twitter.

Anzeige für den Anbieter X über den Consent-Anbieter verweigert

Im Juli vergangenen Jahres präsentierte die Stadtratsfraktion CSU/Freie Wähler ein Positionspapier zu verschiedenen Bereichen der LGBTIQ*-Politik, darin spricht sich die Fraktion einstimmig für etliche Verbesserungen für die queere Community aus. So müssten in der Familienpolitik bürokratische Hürden abgebaut und damit auch Regenbogenfamilien gestärkt werden.

Hans Theiss: "Hier wird eine rote Linie überschritten"

Dr. Hans Theiss ist seit 2018 stellvertretender Vorsitzender der CSU Stadtratsfraktion.
Dr. Hans Theiss ist seit 2018 stellvertretender Vorsitzender der CSU Stadtratsfraktion. © privat

"Jeder soll seine Sexualität ausleben, wie er möchte – das steht außer Frage. Aber wenn man Protagonisten mit dem Namen 'Eric BigClit' (Eric Große Klitoris, d. Red.) zu einer Kinderlesung einlädt, begibt man sich als Veranstalter auf ganz dünnes Eis", sagt der Mediziner und Familienvater im Gespräch mit der AZ.

Der 45-Jährige fügt hinzu: "Hier wird eine rote Linie überschritten, wenn klar sexualisierte Themen bei Vierjährigen platziert werden."

Wichtig sei ihm eine "altersadäquate Herangehensweise", man müsse da einfach "mit viel Fingerspitzengefühl " vorgehen: "Schauen Sie doch mal, in welchen Outfits die Protagonisten dort auftreten, ist das altersgerecht? Wenn mich meine siebenjährige Tochter fragt, warum die 'Drei Fragezeichen' alles Jungs sind, dann spielt sich das auf der richtigen Ebene ab – aber so?"

Vicky Voyage: "Uns geht es nicht um Sexualität, sondern um Identität und Diversität"

Drag Queen "Vicky Voyage" veranstaltet die Kinderlesung "in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek", er tritt regelmäßig in München auf.

Anzeige für den Anbieter Facebook Beitrag über den Consent-Anbieter verweigert

"Uns geht es nicht um Sexualität, sondern um Identität und Diversität. Es geht darum, dass jedes Kind so sein soll, wie es sein möchte", wird Voyage in der "Bild" zitiert.

Transsexualität in Kinderlesung: Hitzige Diskussionen in den Sozialen Medien

"Das eigentlich Bittere daran ist, dass das Ganze auch in der LGBTIQ*-Community gar nicht gut ankommt, weil die Problematik auch in deren Augen so nicht richtig platziert ist", berichtet Theiss der AZ von entsprechenden Reaktionen aus seinem Umfeld.

Es handle sich um "ein kindergerechtes Programm", man gehe "dabei mit Kindern und deren Eltern mithilfe von Büchern in den Austausch", betont hingegen Voyage.

Gespräch zwischen CSU und Stadtbibliothek am Montag

In der Ankündigung ist von unterschiedlichen Helden die Rede: "Jungs in Kleidern, Prinzessinnen mit ihrem eigenen Willen, den Farben Blau und Rosa, von Kaninchen und Füchsinnen, dem Entdecken der eigenen Freiheit und vielem mehr."

"Wäre es möglich, dass die CSU-Fraktion das Gespräch mit dem Leiter der Stadtbibliothek sucht?", fragt ein Mann in die Twitter-Runde. "Wir werden das Thema am kommenden Montag in der Fraktionssitzung besprechen", sagt Theiss der AZ dazu.

Nach Debatte um Transsexualität: Stadtbibliothek äußert sich

Die Münchner Stadtbibliothek wollte den ganzen Wirbel schon jetzt nicht unkommentiert lassen. In einer Stellungnahme hieß es: "Unser breit aufgestelltes Programm richtet sich an eine vielfältige Stadtgesellschaft. Daher haben wir auch Lesungen zum Thema Diversität im Programm."

Es handle sich um ein Angebot für Familien mit Kindern ab vier Jahren, denen altersgerechte Bücher vorgelesen werden. Gerade die Themen Rollenwechsel und Verkleidung würden Kinder in diesem Alter sehr beschäftigen. "Wir bedauern, dass die Künstler*innen-Namen der Beteiligten den Anschein erwecken, als würde ein Travestieprogramm für Erwachsene dargeboten. Dies war nie geplant", hieß es weiter seitens der Stadtbibliothek.

OB Reiter hat kein Verständnis für Kinderlesung von Drag Queens

Kritischer sieht die Veranstaltung Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Gegenüber der "Bild" sagte er: "Ich habe für diese Art Programm kein Verständnis und glaube nicht, dass das für 4-Jährige geeignet ist." Er selbst würde mit seinen Enkeln nicht zur Lesung gehen.

Die Münchner Grünen hingegen forderten Reiter auf, sich hinter die Stadtbibliothek zu stellen. "Dieses Projekt ist gelebte Diversität. Aber wenn es darum geht, sich für das bunte München zu positionieren, scheint zurückrudern leichter zu sein als dafür einzustehen", sagt die Vorsitzende Svenja Jarchow. Sie ergänzte in Richtung OB Reiter: "Vielfalt leben heißt auch Rückgrat zeigen!"

Linke verteidigen Lesung von Drag Queens für Kinder

Arne Brach, queerpolitischer Sprecher der Münchner Grünen, schlägt in dieselbe Kerbe: "Kindern zu zeigen, wie bunt und vielfältig die Welt ist und dass jedes Kind so sein darf, wie es der individuellen Persönlichkeit entspricht, ist wichtig. Das zu skandalisieren, ist niveaulos."

Der Sprecher für Queerpolitik im bayerischen Landesvorstand der Linke, Wolfgang Schulz, sieht das ähnlich: "Wenn eine Draglesung für Kinder bei CSU und sogar SPD so viel Staub aufwirbelt, zeigt das, dass wir noch lange nicht an dem Punkt sind, an dem queere Menschen sich entspannt zurücklehnen können im Wissen, dass sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind."

Es sei wichtig, dass Kinder möglichst früh die Vielfalt der Gesellschaft erleben könnten. Partei-Genossin Adelheid Rupp nahm den Münchner Oberbürgermeister ins Visier: "Niemand zwingt Dieter Reiter, mit seiner Enkelin die Lesung zu besuchen. Daher sei ihm angeraten, einen entspannten Umgang damit zu finden, anstatt reflexartig seine Intoleranz unter Beweis zu stellen."

Rosa Liste-Stadtrat: Debatte ist "rechte Strategie" gegen Transsexualität

Ähnlich sieht das Rosa Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl. Im Gespräch mit der AZ sagt er: "Diese ganze Aufregung entspricht der Realität überhaupt nicht. Es geht überhaupt nicht um Sexualität. Wenn es dem OB nicht gefällt, soll er halt nicht hingehen. Aber ich erwarte von meinem Oberbürgermeister schon, dass er in einer solchen Diskussion der Stadtbibliothek den Rücken stärkt."

Verlierer sei bei der ganzen Debatte mal wieder die queere Community, bedauert Niederbühl. Die Rede von Frühsexualisierung sei nur, weil es um Transsexualität geht, so der Rosa Liste-Stadtrat: "Es ist eine rechte Strategie, das bei Transsexuellen immer gleich zu entdecken."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.