Rot-Grün in München: Das müde Bündnis

Nirgendwo regieren SPD und Grüne länger zusammen als in München. Doch das einst erfolgreiche Team wirkt verbraucht. Hinter dem Hygiene-Skandal zeigen sich die wunden Punkte
von  Abendzeitung
Christian Ude und Hep Monatzeder
Christian Ude und Hep Monatzeder © az

Nirgendwo regieren SPD und Grüne länger zusammen als in München. Doch das einst erfolgreiche Team wirkt verbraucht. Hinter dem Hygiene-Skandal zeigen sich die wunden Punkte

„15 Jahre sind genug, das hat man an Helmut Kohl gesehen“, meinte einst OB Christian Ude – bevor er sich 2008 in höchster Not zum eigenen Nachfolger machte. Aus der greifbaren Angst, die SPD werde ohne ihn die Macht im Rathaus verlieren.

Jetzt regiert er schon im 18. Jahr, Rot-Grün ist mit 20 Jahren das dienstälteste Bündnis in Deutschland, Ude und sein grüner Bürgermeister Hep Monatzeder regieren länger als alle Kohls und Stoibers. Doch das Bündnis ist müde, die SPD wirkt blutleer und es kracht schon seit der Rathauswahl 2008 zwischen den Bündnispartnern an allen Ecken und Enden.

Davon profitiert vor allem einer: Josef „Seppi“ Schmid, potenzieller OB-Kandidat der CSU. Er macht sich im bürgerlichen Lager immer breiter und kuschelt ungeniert mit den Grünen. In der SPD geht deshalb die Furcht um: Regiert nach der Rathaus-Wahl 2014 womöglich Seppi mit Schwarz-Grün?

Was ist da los? Der aktuelle Hygiene-Skandal lässt einen offenen Blick auf die rot-grünen Wunden zu. Ude, so scheint es, ist nur noch die strahlende Fassade, dahinter bröckelt es. Der Städtetag ist ihm lieber geworden als Münchner Klein-Klein.

„Wenn Ude weg ist, hat die SPD niemanden mehr“, sagen auch Grüne. Und Seppi Schmid lästert: „Es gibt Anzeichen der Endzeit von Rot-Grün.“

Ist es wirklich so schlimm? Die AZ listet zehn Brennpunkte auf.

Die Zerstrittenen

Nach außen spielen sie mühsam eine harmonische Ehe, die dann funktioniert, wenn sie den Haushalt beschließen. Doch intern kracht es seit der Stadtratswahl 2008 immer häufiger: Das Bundeswehrgelöbnis auf dem Marienplatz, der Nicht-Rauswurf des Neonazi-Stadtrats, Heizstrahler, Umweltzone, Olympische Winterspiele, S-Bahn-Stammstrecke, dritte Startbahn, 46 Millionen fürs Klimaschutzprogramm, Boote auf der Isar, Radlkampagne oder beim Verkehrsmanagement: Es gibt niemanden mehr, der zwischen den beiden Fraktionen vermitteln kann. Bis 2008 war da noch eine SPD-Stadträtin Constanze-Lindner-Schädlich, die immer wieder die Wogen glätten konnte.

Die Umgangsformen

Der Ton ist rauher geworden. Selbst in Stadtratssitzungen bellt SPD-Fraktionschef Alexander Reissl die Grünen an. Er und Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker können gar nicht miteinander. „Da kommen ich-bezogene Menschen und erklären uns die Welt“, ärgert sich ein roter Stadtrat über die neuen Grünen. Die Grünen seien ein „schwieriger Partner geworden, weil sie kein Verständnis für Selbstdisziplin aufbringen“. Da konterte zuletzt Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker: „Die SPD hat größte Schwierigkeiten, inhaltliche Positionen zu finden, weil die Fraktion gegensätzliche Strömungen hat.“ Die Grünen geben schon lange viel mehr thematisch den Takt an. Das ärgert die Genossen. Aber sie können dem nichts entgegensetzen. Da sind in der SPD zu viele zu sehr mit Pöstchen und ihrer Karriere beschäftigt.

Die Großprojekte

Ob neue Messe oder Flughafen: Für die Großprojekte brauchte die SPD immer die Stimmen der CSU, weil die Grünen dagegen waren. Aktuell ist es der Streit um die dritte Startbahn. Die SPD ist dafür, die Grünen sind dagegen. Aber der Bau verzögert sich ohnehin. Und im übrigen soll der Flughafen den Bau selbst bezahlen. Der Streit um die zweite S-Bahnstammstrecke statt eines S-Bahn-Südrings wurde mühsamst beigelegt. Die baut ja auch das Land.

Die Personalien

Parteibuchbesetzungen – wie 2004 bei den städtischen Kliniken – sind keine rot-grüne Erfindung. Aber das Spiel wird munter betrieben. Daneben ist eklatant, wie wenig Führungskräfte aufgebaut werden. Dazu gehört auch, dass OB Ude oft eine unglückliche Hand in Personalfragen hatte. Die Spitze ist, dass er immer noch keinen tauglichen Kronprinzen vorzeigen kann, sonst hätte er 2008 nicht entgegen allen Beteuerungen noch mal kandidieren müssen. Die mangelnde Personalplanung reicht bis auf die Referentenbank. Da wurde jetzt SPD-Stadträtin Brigitte Meier zur Sozialreferentin gewählt, der man vor ein paar Jahren nicht zutraute, wenigstens das Jugendamt zu leiten. Da wäre fast die Wahl des Schulreferenten ein Desaster geworden, weil die SPD trotz jahrelanger Bedenkzeit keinen Kandidaten hatte und mehr durch Zufall Rainer Schweppe auftauchte. 2007 wäre fast die Wahl der Planungsreferentin schief gegangen.

Die Großmarkthalle

Die millionenteure Großsanierung der Markthallen ist der große Zankapfel. Da geht es knallhart zur Sache. Dabei streiten nicht nur die Fraktionen, sondern auch die Referentenbank. Das Projekt kann zwischen 100 und 200 Millionen Euro kosten. Die Grünen stehen hinter ihrer Kommunalreferentin Gabriele Friderich. Die SPD wirft ihr vor, das Problem zu spät erkannt zu haben. Die SPD denkt wie ihr Kämmerer Ernst Wolowicz: Erst muss ein Gesamtkonzept mit allen Zahlen und Fakten auf den Tisch. Und außerdem sollen die Steuerzahler dafür nicht gerade stehen müssen.

Der Verkehr

Da sind sich Koalitionäre oft nicht grün. Der Elan der frühen Jahre ist erlahmt. Inzwischen wird auch von den Grünen die Untertunnelung des Mittleren Rings gelobt. Die SPD traut sich an das Verkehrsthema nicht so richtig ran, was die Grünen ärgert. Denn um den Schadstoffgehalt in der Luft zu verbessern, wollen die Grünen auch den Verkehr beschränken. Fatal ist, dass der Radlclown zum aktuellen Signal der Verkehrspolitik geworden ist. Die SPD hat der Grünen-Radl-Kampagne auch nur widerwillig zugestimmt. Und dann mussten gerade erst aus dem neuen Plan zum Verkehrsmanagement unsinnige Ideen wie MVV-Neubürger-Infos in mehreren Sprachen und für sozial bedürftige Münchner herausgestrichen werden. Worauf die Münchner warten: Wann die nächsten Tunnel kommen. Immerhin sollen jetzt nach jahrzehntelangen Rufen der Autofahrer grüne Wellen erforscht werden.

Die Umwelt

Mit einem ehrgeizigen Ziel haben sich SPD und Grüne europaweit an die Öko-Spitze gesetzt: Die Stadtwerke sollen bis 2025 soviel grünen Strom produzieren, dass sie den gesamten Münchner Strombedarf decken können. Doch es gibt auch Zoff: Die Grünen wollen mit Fahrverboten in der Umweltzone schneller vorankommen. Denn die Gerichte und die EU drängen die Stadt, zügig zu handeln, und die Schonzeiten laufen aus. München muss also schneller werden. Doch die SPD bremst. Da gibt es große Interessenkollisionen. Aber die Luft muss eben besser werden. Erst kürzlich hat die SPD eine Vorlage zum Klimaschutz aus dem Verkehr gezogen, die ein Volumen von 56 Millionen Euro hatte: Darin steckten zu viele neue Posten. Die mussten gestrichen werden.

Olympische Spiele

Macht München sich mit der Bewerbung lächerlich? In den Winterspielen 2018 steckt viel Zündstoff. Nicht nur in Garmisch und in Oberammergau, wo die Bewerbungsgesellschaft größte Probleme hat. Die SPD ist mehrheitlich für Olympia, die Grünen sind gespalten. Nur mühsam konnten die Rathaus-Grünen eine schwere „Koalitionskrise mit nicht absehbaren Folgen“ (Ude) verhindern, weil sie im Stadtrat nicht dagegen stimmen mussten. Doch der Druck der Gegner ist gewaltig.

Kinderbetreuung

Sie bauen viel – aber den jungen Familien in München ist das immer noch zu wenig. München feiert seit fast zehn Jahren immer neue Geburtenrekorde. Doch die finanzielle Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer noch schwer, weil es im teuren München vor allem an Krippenplätzen für bis zu Dreijährige fehlt.

Schwarz-Grün

Sie turteln ungeniert – und da werden die Genossen rasend: die jungen Grünen und der schwarze Fraktionschef Seppi Schmid. „Der ruft uns dauernd an“, erzählt die Stadtvorsitzende Hanna Sammüller. Alt-Grüne wie Hep Monatzeder oder Sigi Benker sehen das sehr argwöhnisch. „Es werden immer mehr Punkte, bei denen wir mit den Grünen eine Übereinstimmung haben“, sagt Schmid: „Da merkt man, wie sich die Lager aufweichen.“ Schmid hat sich schon lange aufgemacht, die CSU grün zu färben. Und junge Grüne sind immer öfter eher liberal und konservativ statt links. Seppi Schmid genießt das: „Das sind die ersten Anzeichen der Endzeit von Rot-Grün.“

Willi Bock

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