Riten und Bräuche in Bayern: Die Münchner Orakelnächte beginnen
München - Das Orakel, vom lateinischen oraculum (,Götterspruch, Sprechstätte‘) bezeichnet eine mit Hilfe eines Rituals oder eines Mediums gewonnene transzendente Offenbarung, die der Beantwortung von Zukunfts- oder Entscheidungsfragen dient.“ So steht es im Internetlexikon Wikipedia.
Am 30. November geht's los
Eine besonders günstige Zeit, um etwas über die eigene Zukunft zu erfahren, steht uns also bevor, denn mit dem Andreastag am Mittwoch, 30. November, beginnen die sogenannten Orakelnächte.
Mystik-Experte Christopher Weidner (49, „Die Stadtspürer“, www.mystisches-muenchen.de) arbeitet seit vielen Jahren als Gästeführer in seiner Heimatstadt München sowie als Reiseleiter zu den mystischsten Plätzen Europas.
Der Mystik-Experte Christopher Weidner (49, „Die Stadtspürer“).
Er erklärt die Orakelnächte, die auf diesen zwei Seiten vorgestellt werden, so: „Vielfach sind Orakel an bestimmte Zeiten, Tag und Stunden gebunden, in denen sie eine besondere Wirkung entfalten können. Man glaubte, dass zu diesen Zeiten die Mächte des Schicksals besonders aktiv seien und sich leichter in die Karten schauen lassen. Vor allem Zeiten des Beginns und des Übergangs wurden für Orakel benutzt wie die Sonnenwenden und die Tagundnachtgleichen.“
Diese Tage zählen zu den Orakelnächten

Die Heilige Barbara an der Ecke Wein-/Liebfrauenstraße (links) und die schöne Statue des Heiligen Andreas im Alten Peter.
30. November, Andreas-Tag: Welcher Apfel ist der richtige?
Der heilige Andreas, der erste aller Apostel, gilt als Schutzherr der Liebenden und Eheleute. Mit seinem Tag beginnt eine geheimnisvolle Zeit, die für Zauber und Weissagung besonders offen ist: Was man in der Andreasnacht, der Nacht auf den Andreastag, träumt, wird in Erfüllung gehen. Wer an diesem Tag etwas über den oder die Zukünftige/n herausfinden will, soll nach Zeichen Ausschau halten. Es wird empfohlen ins Wasser zu blicken oder die Buchstaben des Alphabets mit Kreide an die Tür zu zeichnen: Man greife mit verbundenen Augen danach – der getroffene Buchstabe ist der Anfangsbuchstabe des künftigen Geliebten.
Die Form einer Apfelschale, die als Ganzes geschält wird und dann über die Schulter hinter sich geworfen wird, soll ebenfalls den ersten Buchstaben des Namens verraten. Ein anderes Apfelorakel ist ebenfalls überliefert: Man nimmt drei Äpfel und schreibt auf jeden den Namen eines Liebesanwärters. Dann legt man sie in der Nacht auf den Andreastag unters Kopfkissen und schläft darüber. Am Morgen, aber noch im Dunkeln lange man nach einem dieser Äpfel und beiße hinein – dieser Apfel trägt den Namen des Richtigen.

So schön können die Barbarazweige aussehen: Blüten an einer Japanischen Zierkirsche. Foto: dpa
4. Dezember, Barbara-Tag: Der blühende Zweig bringt die Wahrheit ans Licht.
Der Legende nach war die heilige Barbara einst die schöne Tochter des Dioscorus, die von ihrem Vater aus Eifersucht in einen hohen Turm eingeschlossen wurde. Als sie sich dann zum Christentum bekehrte, folterte ihr Vater sie und brachte sie um. Seither gilt sie als Symbol der Standhaftigkeit im Glauben. In unseren Breiten vermischte sich die Gestalt der Märtyrerin mit den drei Saligen Fräulein, die wiederum eine Erinnerung an die heilige Dreiheit der Großen Mutter vergangener heidnischer Kulte sein könnten. So erklärt es sich vielleicht, dass gerade an diesem Tag Fruchtbarkeits- und Liebeszauber gewirkt wurden.
Eine besondere Form des Orakels wird mit dem Schneiden der so genannten Barbarazweige verbunden. Es werden Zweige von Kirschen, Forsythien oder Birken an diesem Tag geschnitten und in Wasser gestellt. Manchmal wird für jedes Mitglied eines Haushalts ein Zweig aufgestellt. Der Zweig desjenigen, der zuerst aufblüht, hat das meiste Glück im kommenden Jahr zu erwarten. Unglück soll es hingegen mit sich bringen, wenn der Zweig nicht bis zum Weihnachtstage Blüten trägt. Andere nutzen die Zweige als Orakel, indem sie für eine Frage und deren mögliche Antworten je einen Zweig aufstellen. Der Zweig, der dann zuerst aufgeht, enthält die Wahrheit. Wasser- und Erde-Orakel haben am Barbaratag darüber hinaus die besten Voraussetzungen.

Die schwimmenden Häuschen, die Kinder in Fürstenfeldbruck fürs Lichterschwemmen gebastelt haben. Foto: Carmen Voxbrunner
13. Dezember, Lucien-Tag: Dessen Licht am längsten brennt, dem wird ein Wunsch in Erfüllung gehen.
Der Tag der heiligen Lucia ist einer Frau gewidmet, die als Märtyrerin starb, weil sie keusch leben wollte und als Christin denunziert wurde. Doch ihr Name ist weit aussagekräftiger als die Legende der Heiligen: Er bedeutet so viel wie die, die dem Licht verbunden ist. Bis zur Gregorianischen Kalenderreform Ende des 16. Jahrhunderts fiel die Wintersonnenwende – der kürzeste Tag im Jahr und die längste Nacht – auf den 13. Dezember. Bis heute hat er den Charakter der Wiedergeburt des Lichtes beibehalten. Vor allem in Schweden wird dieser Tag mit Lichterriten begangen. Lucia ist eine lichtertragenden Gabenbringerin. Das älteste Mädchen einer Familie tritt am Lucienmorgen in einem weißen Kleid auf, den Kopf mit einem Kranz aus Preiselbeeren geschmückt, in den brennende Kerzen gesteckt sind.
Feuer- und Licht-Orakel sind besonders geeignet an diesem Tag. In einigen Gegenden wird das Lichterschwemmen praktiziert: Kerzen werden auf kleine Brettchen gestellt, in Papierschiffchen und manchmal auch in eigens angefertigte Papierhäuschen gesetzt und dann auf einem fließenden Gewässer ausgesetzt. Dessen Licht am längsten brennt, dem wird ein Wunsch in Erfüllung gehen. Seit 1949 bauen die Fürstenfeldbrucker Kinder jedes Jahr Häuser aus Pappe, Holz, Schaumstoff und Transparentpapier. Nach dem Luciengottesdienst vor der Wallfahrtskirche St. Leonhard werden die Häuschen in einer Prozession zum Amperufer getragen und der Strömung übergeben.

Die Wahrheit liegt im Knödel: So sagt es ein alter Brauch zum Thomastag. Foto: imago
21. Dezember, Thomastag: Die Glückszahl liegt im Knödel.
Um den 21. Dezember findet die Wintersonnenwende statt. Es ist die längste Nacht des Jahres und der kürzeste Tag. Doch zugleich werden von jetzt an die Tage wieder länger und die Sonne wird jeden Tag ein Stückchen höher über den Horizont steigen. Der dem Apostel Thomas geweihte Tag ist daher ein wichtiger Wendetag des Jahres und damit prädestiniert für Orakel aller Art. Wer sich in der Nacht auf den Thomastag verkehrt herum ins Bett legt, also mit dem Kopf ans Fußende, der wird davon träumen, was in der Zukunft geschehen wird. In Knödel, die am Thomastag gekocht werden, steckt man Zettel mit Zahlen: Der Knödel, der beim Kochen als erster an die Oberfläche des Wassers aufsteigt, enthält die Glückszahl des kommenden Jahres.
Auch wenn Liebesorakel deutlich überwiegen, sind die Orakel an diesem Tag zu allen Lebensbereichen nützlich. Daher können auch Orakel aller Art stattfinden. Außerdem streut man am Thomastag Gerstenkörner in einen Blumentopf mit guter, gehaltvoller Erde und stellt ihn in die warme Stube. Nach Weihnachten kann man von der Gerste ablesen, wie das Wetter für die nächsten zwölf Monate wird. Jeder Tag nach Weihnachten entspricht einem Monat im Jahr. So kann man später dann Feuchtigkeit, Trockenheit, starkes Wachstum oder frühes Gilben an der Gerste ablesen.
Das sind die Orakel-Arten
Es gibt drei Kategorien von Orakeln: den Omen oder Vorzeichen, den eidetischen Orakeln oder Bilder-Orakeln und den Visionsorakeln.
Omen oder Vorzeichen: Dazu gehören die meisten traditionellen Volksorakel, mit denen versucht wurde, ein Blick in die Zukunft zu erhaschen. Alltägliche Vorkommnisse werden als Vorzeichen für Künftiges gedeutet, wenn zum Beispiel aus dem Knistern des Feuers eine Aussage über das Wetter am nächsten Tag getroffen wird. Vor allem an ganz bestimmten Tagen, den Schicksals- oder Orakeltagen gelten solche Omen als besonders aussagekräftig. Aber auch die beliebten Entscheidungsorakel wie das Zupfen von Blütenblättern („Sie liebt mich . . . sie liebt mich nicht“) und das Münzwerfen gehören dazu.
Eidetische Orakel oder Bilder-Orakel: Sie arbeiten mit vorgegebenen Bildern zum Beispiel auf Karten oder in Büchern, die zufällig zu einer Fragestellung aufgegriffen und dann im Sinne der Frage gedeutet werden. Hierbei ist die Intuition des Orakelstellers gefragt, denn es bedarf oft einer kreativen Auseinandersetzung mit den Symbolen und ihren Bedeutungen, bis eine passende Antwort gefunden wird. Im Gegensatz zu den einfachen Omen beeindrucken Bilderorakel nachhaltiger, weil sie unsere Vorstellungskraft anregen und und mit unseren inneren Ressourcen in Berührung bringen. Viele beliebte Orakeltechniken gehören dazu, wie Lesen aus dem Kaffeesatz, Bleigießen, aber auch die Stichomantie, das Deuten zufällig ausgewählter Zitate. Auch Astrologie basiert zu einem großen Teil auf dieser Form der Orakelkunst.
Visionsorakel: Sie intensivieren die Kommunikation mit unserem Unbewussten, in dem sie noch stärker das Bewusstsein in den Hintergrund rücken. Oft spielen tranceartige Zustände eine Rolle, die durch das Starren auf einen Gegenstand wie eine Glaskugel, eine Wasseroberfläche, magische Spiegel oder das Feuer im Kamin hervorgerufen werden. Oft werden diese Zustände durch den Einsatz von Rauchwerk oder Musik gefördert. In diesem Zustand können wir voll und ganz aus unserem inneren Wissen schöpfen. Antworten werden häufig als besonders intensiv erlebt.
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