Reportage: Schwul und HIV-positiv in München - Immer noch ein Stigma

Homosexuelle Männer haben mit anderen Vorurteilen zu kämpfen als Frauen – besonders, wenn sie positiv sind.
Bernhard Lackner |
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Ralf ist von den "Münchner Positiven" und geht offen mit seiner Erkrankung um.
Daniel von Loeper Ralf ist von den "Münchner Positiven" und geht offen mit seiner Erkrankung um.

München - Bei Schwulen sind viele Deutsche in ihrem Denken noch nicht so weit, wie sie es 2018 sein sollten. Küssende Männer empfinden vier von zehn Deutschen als unangenehm (siehe unten). Und Einzelne steigern sich regelrecht in einen Hass hinein, der unerklärbar scheint, wenn man sich vor Augen hält, dass sich einfach nur zwei Männer gern haben. 

Der Münchner Stephan Pflaum erzählt in der AZ, wie er von einem homophoben Kollegen aus seinem Job gemobbt wurde. Drei andere Münchner sprechen über ihr Leben mit HIV und weshalb sie sogar ungeschützten Sex haben können. Weil die Vorbehalte gegen HIV-infizierte aber groß sind und die Krankheit stigmatisiert, hat sich nur einer der Männer fotografieren lassen.

HIV-positiv: Dank Therapie nicht ansteckend

Noch immer gibt es viele Vorurteile zum Thema HIV. Diese Münchner wollen das ändern.

Ralf ist ein direkter Typ: "Hast du gewusst, dass HIV-Positive, die sich in Therapie befinden, nicht ansteckend sind? Nein? Genau da liegt das Problem", sagt er gleich zu Beginn des Gesprächs – und ist sofort im Thema.

Ralf hat eine Botschaft. Und er weiß, wovon er spricht: Mit 35 Jahren bekam der heute 55-Jährige die HIV-Diagnose. Für ihn damals ein Schock. "Ich hatte seinerzeit 13 Kilo weniger auf den Rippen und war so schwach, dass ich teilweise nicht einmal mehr meine Haustüre mit einer Hand aufsperren konnte", erzählt er. "Mein Arzt meinte damals: ‘Weißt du, was du jetzt machst: nichts. Du bekommst Tabletten von mir und in zwei Monaten bist du wieder auf den Beinen.’ Heute fühle ich mich fitter als je zuvor."

Zusammen mit fünf Bekannten gehört Ralf zur Kerngruppe der "Münchner Positiven". Sie setzen sich für die Belange von HIV-positiven Männern und Frauen ein.

Einer davon ist Manfred (51). Er lebt seit 26 Jahren mit der Diagnose HIV. "Damals dachte ich noch, es sei wie eine Schwerbehinderung", sagt er. "Dabei führe ich heute ein ganz normales Leben wie jeder andere auch. Häufig vergesse ich, dass ich positiv bin. Auch die Tabletten am Abend gehören für mich zum normalen Tagesablauf wie das Zähneputzen."

Alles also halb so wild? Nicht ganz. Vor allem im Job ist der Umgang mit der HIV-Infektion nicht immer leicht. "Dort wissen nur bestimmte Leute von meiner Krankheit", sagt Manfred. "Meine direkte Chefin, mit der ich schon seit 20 Jahren zusammenarbeite, ist eingeweiht. Sie hält mir den Rücken frei, wenn es hart auf hart kommt."

Krebspatienten bekommen Mitleid, HIV-Patienten werden ausgegrenzt

Oliver (48), selbst seit 17 Jahren HIV-positiv und ebenfalls Teil der Kerngruppe, geht es ähnlich: "Meine Kollegen wissen nichts von der Krankheit. Ich werde in der Arbeit häufiger mal gefragt, warum ich denn so oft zum Arzt muss." Auch im Privatleben ist es für Oliver nicht immer leicht. "Viele potenzielle Partner reagieren sehr negativ, wenn ich ihnen von der Krankheit erzähle. Da ist noch vieles nicht angekommen."

Genau dort wollen die "Münchner Positiven" ansetzen. Noch immer kursieren viele Vorurteile rund um das Immunschwäche-Virus. Diese sollen endlich ausgeräumt werden. Vor allem die Methode "Schutz durch Therapie" will die Gruppe bekannter machen. Sie beruht darauf, dass HIV-positive Männer und Frauen, die sich in einer funktionierenden Therapie befinden, nach einem halben Jahr nicht mehr infektiös sind. Die Medikamente verhindern im Körper eines HIV-positiven Menschen die Vermehrung des Virus’. Nach einiger Zeit ist bei einer gut wirksamen Therapie im Blut kein HIV mehr nachweisbar. Man spricht dann von einer "Viruslast unter der Nachweisgrenze".

Wie mehrere Studien unabhängig voneinander bestätigen, kann das Virus dann selbst bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr nicht mehr übertragen werden.

Bereits vor zehn Jahren hat die Schweizer EKAF (Eidgenössische Kommission für Aidsfragen) erstmals Ergebnisse veröffentlicht, dass HIV-Positive in Therapie nicht ansteckend sind. Die erhoffte Revolution blieb indes aus. Obwohl bis heute kein einziger Ansteckungsfall bekannt ist, ist "Schutz durch Therapie" noch immer äußerst umstritten – vor allem aber weiß kaum jemand davon. Am Samstag wollen die "Münchner Positiven" beim Christopher Street Day mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken.

"Sozial waren wir noch nie eine Gefahr. Seit einem Jahrzehnt ist bekannt, dass wir es auch beim Sex nicht sind", meint Ralf. Er wünscht sich ein gesellschaftliches Umdenken im Hinblick auf das Thema HIV. "Wenn ich jemandem sage, ich hätte Krebs, werde ich bemitleidet. Wenn ich sage, ich habe HIV, heißt es: 'Du Sau'", sagt er. "Das soll sich ändern."

AZ-Hintergrund: HIV – Die Zahlen

Laut einer aktuellen Studie des Robert-Koch-Institutes lebten 2016 in Deutschland mehr als 88.400 HIV-positive Menschen, über 12.000 davon in Bayern. Mit einer Quote von 80 Prozent sind vor allem Männer vom HI-Virus betroffen.

2016 infizierten sich in Bayern schätzungsweise 390 Menschen neu mit dem Immunschwäche-Virus. Mit 69 Prozent stellen homosexuelle Männer die größte Gruppe unter den Neuinfizierten dar, gefolgt von heterosexuellen Personen (23 Prozent) und Menschen, die intravenös Drogen konsumieren (acht Prozent).


Diskriminierung im Beruf: "Ich hasse es, wenn du von deinem Mann erzählst"

Ein Kollege mobbt Stephan Pflaum aus seinem Job – die Chefin will nicht helfen.

Die Medienbranche ist nicht nur kreativ, sondern auch liberal und offen. So hatte es sich Stephan Pflaum (43) gedacht, als er vor zehn Jahren als Projektleiter in einer TV-Produktionsfirma anfing zu arbeiten. Doch es gab diesen einen Kollegen, ebenfalls ein Projektleiter, der ihn ständig bloßstellte, ihm ständig Sprüche reindrückte und gegen ihn hetzte, wann immer er Gelegenheit dazu fand. Und er fand viele Gelegenheiten.

Stephan Pflaum ist keiner, der sich so etwas gefallen lässt. Also nahm er den Kollegen zur Seite und fragte ihn, was eigentlich sein Problem mit ihm sei. "Ich hasse es, wenn du von deinem Wochenende erzählst und was du mit deinem Mann gemacht hast. Eine Ehe zwischen Mann und Mann ist nicht natürlich, das gibt es nicht", hat ihm der Kollege geantwortet, erzählt Stephan Pflaum.

Besagte Ehe ist eine Lebenspartnerschaft, die Pflaum 2005 eingegangen ist. Vier Jahre waren er und sein Mann da ein Paar, sie sind noch zusammen und werden im September nochmals heiraten. Denn seit einem Jahr gibt es die Ehe für alle – auch wenn der Ex-Kollege noch so ätzt.

Mobbing bis an den Rand einer Depression

"Bislang war alles in meinem Leben und meiner Karriere glatt verlaufen. Homophobie im Job kannte ich nicht", sagt Pflaum. "Ich hätte das auch niemals gedacht. Schwulsein ist doch heutzutage völlig normal."

Stephan Pflaum setzte die Situation zusehends zu. Er litt unter Schlaflosigkeit, Konzentrationsproblemen, zeigte Ansätze einer Depression. Seine Gedanken kreisten ständig um das eine Thema: "Wie kann ich es anders machen? Wie kann ich mich durchsetzen?" Er sprach seine Chefin auf den homophoben Kollegen an. Doch die sagte ihm nur, es sei eben in der Medienbranche so, dass man Ellenbogen haben müsse.

Nach einem halben Jahr hielt es Pflaum nicht mehr aus. Auch sein Mann litt unter der Situation und riet ihm, den Job zu kündigen – ein Befreiungsschlag für Pflaum. Als Projektleiter wechselte er an die LMU, wo für Fälle von Homophobie eine Universitätsfrauenbeauftragte zuständig ist. Stephan Pflaum musste sich noch nie mit ihr darüber unterhalten.

AZ-Hintergrund: So homophob sind die Deutschen

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in einer repräsentativen Umfrage 2017 die Einstellung der Deutschen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen untersucht. 

Dass homo- und bisexuelle Menschen nach wie vor von Diskriminierung betroffen sind, wird auch von der Mehrheit der Befragten (80,6 Prozent) so wahrgenommen. Allerdings: Wenn sich zwei Frauen in der Öffentlichkeit küssen, ist dies gut einem Viertel (27,5 Prozent) unangenehm. Handelt es sich um zwei Männer sind es sogar fast vier von zehn (38,4 Prozent). Zum Vergleich: Bei einem Mann-Frau-Paar wird dieselbe Situation nur von rund zehn Prozent als unangenehm bewertet.

Gut jeder zehnte Befragte hätte ein Problem mit einer lesbischen Arbeitskollegin oder einem schwulen Arbeitskollegen.

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