Rentenbeiträge: Sturm gegen Sparpaket
„Eine Gesellschaft, die niedrige Geburten beklagt, spart ausgerechnet am Elterngeld“: Die Verbände der Wohlfahrtspflege wollen, dass nicht bei den Armen gespart wird – sondern bei den Reichen.
MÜNCHEN Auf die Bankenkrise folgte die Wirtschaftskrise – folgt jetzt die soziale Krise? Münchens Wohlfahrtsverbände laufen Sturm gegen das Berliner Sparpaket, das die Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose streichen will, den Zuschuss zu den Heizkosten und das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger. Das hält Karin Majewski für besonders zynisch. Eine Gesellschaft, die niedrige Geburtenraten beklagt, so die Sprecherin der ARGE, spare ausgerechnet am Elterngeld.
In München sind 63179 Menschen arbeitslos, 16052 haben seit über einem Jahr keinen Job mehr gehabt. 17500 leben von Sozialhilfe. „Die Zeche der Krise zahlen die Langzeitarbeitslosen“, sagt WeißerRabe-Chefin Johanna Schilling. Psychische und chronische Erkrankungen sowie mangelnde Qualifikation seien die häufigsten Gründe dafür, dass Menschen lange Zeit ohne Arbeit sind. Finanzieller Druck von oben schüre nur Ängste und bringe da gar nichts, so Schilling. „Politiker kennen die reale Welt der Arbeitslosen einfach nicht.“
Tom Engelmann wohnt im Hasenbergl und lebt seit 2008 von 359 Euro Hartz IV. Ohne den Miet- und Heizkostenzuschuss von 332 Euro könnte sich der 44-Jährige die 53 Quadratmeter große Wohnung seiner Oma nicht leisten. Nach Abzug aller Fixkosten bleiben Tom knapp 250 Euro im Monat zum Leben übrig. „Das ist schon hart an der Grenze“, sagt der gelernte Dachdecker. Besonders zum Monatsende werde das Geld sehr knapp. Die Verführung, sich wieder auf illegale Art und Weise Geld zu beschaffen, sei dann groß. Am meisten spart er an der Kleidung und Möbeln. Eine neue Hose einmal im Jahr, im Sofa klafft ein riesiges Loch – anders ginge es nicht. Den ganzen Winter über hat er nur ein Zimmer beheizt. Tom arbeitet nebenbei noch für 1,50 Euro die Stunde bei der Con-job GmbH. Das gebe ihm eine Struktur im Alltag und hole ihn von der Straße weg. Er hat Angst, dass Menschen wie er durch den Geldknebel aus Berlin wieder kriminell werden – und „Blödsinn machen“.
Johanna Schilling nennt die Sparpolitik der Bundesregierung „absurd und völlig unintelligent“. Sie fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und die Wieder-Abschaffung der Abgeltungssteuer. Das würde 48 Milliarden in die leeren Kassen bringen – ohne die Ärmsten der Ärmsten zu belasten.
Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege setzen sich für die schwachen, benachteiligten und ausgegrenzten Menschen der Stadt ein. „Wir haben von OB Ude das Versprechen bekommen, dass im Sozialbereich zuletzt gespart werde“, sagt Karin Majewski.
Vor zwei Wochen erst hat Ude von einem Bündnis aus 52 Organisationen das Siegel Soziale Stadt verliehen bekommen. Die Verbände plädieren dafür, dass sich München als Optionskommune bewirbt und die alleinige Verantwortung für Langzeitarbeitslose übernimmt. Am Dienstag berät der Sozialausschuss darüber.Sylvia Petersen
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