Rektorin: „Lasst uns nicht allein!“

Die Brennpunkt-Schule an der Bernaysstraße fordert weitere Sozialpädagogen – die Hintergründe.
Eva von Steinburg |
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Die Sozialpädagoginnen Jaga Seibold, Katja von Tluck und Henriette Pack (v.l.) von der Münchner Mittelschule.
Eva von Steinburg Die Sozialpädagoginnen Jaga Seibold, Katja von Tluck und Henriette Pack (v.l.) von der Münchner Mittelschule.

Harthof - Seit fünf Jahren wächst die Zahl an Mittelschulen in München. Aktuell sind es 44 Schulen – mit insgesamt rund 12 000 Schülern. Schul-Insider behaupten, dass jede der 44 Mittelschulen – auf ihre Art – eine Brennpunkt-Schule ist.

Hinter diesem Begriff versteckt sich die Vermutung, dass die meisten Mittelschüler aus prekären Lebens-Verhältnissen kommen oder einen Migrationshintergrund haben: „Brennpunkt-Schulen kennen viele sozial- und kulturell bedingte Schwierigkeiten“, formulieren das Sozialpädagogen

Hier lernen 460 Schüler aus 27 Nationen

Mittelschulen gelten als Stiefkinder unter den Schultypen der Stadt. Am Harthof auch deshalb, weil immer wieder die Polizei gerufen werden muss, um Konfliktsituation zu besänftigen. „Häufig wird jedoch verkannt, wie viel Herz, Verstand und Wissen die Lehrer und Sozialpädagogen in diese Schulen stecken“, sagt Rektorin Marion Lein-Egger: Damit die Kinder die Schule „stark fürs Leben“ verlassen.

Marion Lein-Egger (55) leitet die Mittelschule an der Bernaysstraße im Münchner Norden. Diese Schule zeigt beispielhaft, wie um jedes Kind gerungen wird: „Wir kümmern uns darum, dass die Schüler sich gut verstehen. Sie lernen hier Strategien, um ihre Leben zu meistern“, sagt Schulleiterin Lein-Egger.

Sie hat die Erfahrung, dass „je enger und besser die Schüler bei ihr betreut werden, desto positiver entwickelt sich auch ihr Lebenslauf“.

Ihr Team wird von Freiwilligen vom „Verein Aktivsenioren Bayern“ unterstützt. Zehn Gehminuten von der U2-Haltestelle Harthof lernen 460 Schülerinnen und Schüler aus 27 Nationen.

Die meisten sind Jugendliche mit Migrationshintergrund (85 Prozent). Die Schüler sind oft in Deutschland geboren, sprechen und verstehen gut Deutsch, bei der Schriftsprache allerdings hapert es häufig. An der Bernaysstraße gibt es eine besondere Klasse: für Schüler mit schlechter Schulprognose. Das sind Kinder aus unsicheren Familienverhältnissen, die soziale und emotionale Probleme haben. Und für Schüler, die Schwierigkeiten mit dem Aufnehmen von Lernstoff haben.

Im Zimmer dieser „Sonderklasse“ stehen deshalb zwei Tische: Einer für den Lehrer, ein zweiter für zwei Sozialpädagogen. Sie kümmern sich im Unterricht um einzelne Kinder und „coachen“– außerhalb der Schulzeit – auch die Eltern. „Die Erfolge, die wir mit unserer Spezial-Klasse haben, sind frappierend“, sagt die Schulleiterin.

Dank der intensiven Betreuung festigt sich bei zahlreichen Kindern schon nach wenigen Monaten die persönliche Situation: Die Kinder werden motiviert, fangen an zu lernen, und finden in der Schule Halt.

„Wenn ich mehr Sozialarbeiter hätte, würden Stadt und Land später viel Geld sparen können“, sagt Marion Lein-Egger.

Ihre Forderung: „Eine volle Stelle pro Jahrgangsstufe sollte das Mindeste sein.“ Für die Bernaysschule bräuchte sie sechs Stellen – also drei Sozialarbeiter mehr! Sonst fühlt sich ihr Team allein gelassen – mit den immer größeren Anforderungen. Denn Schul-Sozialpädagogen von der Bernaysschule haben die gute Erfahrung gemacht, dass sie viele Probleme im Vorfeld abfangen können. „Spätere Jugendhilfe-Maßnahmen sind sehr bürokratisch und kostenaufwendig“, sind sie sich einig.

Ihre Strategie: Das Schul-Motto „Respekt, Zuverlässigkeit, Verantwortung“, täglich zusammen mit den Lehrern einfordern. Das Team bemüht sich um jedes einzelne Kind.

Unter den Sechs- und Siebtklässlern haben die Sozialpädagoginnen 14 Streitschlichter ausgebildet. Diese Schüler gehen ruhig und beherzt dazwischen, wenn es zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen auf dem Schulhof kommt. Sie zeigen Wege, einen Streit friedlich zu lösen. „Seither wird auch die Polizei nur noch ganz selten gebraucht“, bestätigt die Schulleiterin.

Jedes Jahr gehen 24 Schüler in die zehnte Klasse weiter

Was außerhalb kaum bekannt ist: Auch an der Mittelschule gibt es eine „Elite“. Das sind die Schüler, die den Quali mit einem Notendurchschnitt von 2,5 oder besser schaffen. Das befähigt sie zum Übergang in den M-Zweig.

In der Bernaysschule gehen jährlich 24 Schüler in die zehnte Klasse weiter. Sie machen also an ihrer alten Mittelschule auch ihre Mittlere Reife. Diese Möglichkeit gibt es erst seit vier Jahren.

Für Eltern ist die Neuerung eine große Erleichterung: Sie eröffnet ihren Kindern die Perspektive nicht in der „Hauptschule“ steckenbleiben zu müssen. „Das hat das Niveau und die Einstellung zur Mittelschule hier total verändert“, freut sich Marion Lein-Egger: „Schule – das ist nicht mehr die typische Kombination Lehrer/Schüler – Eltern und Sozialarbeiter gehören heute stark mit dazu.“

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