Reiter: "Werden mit der CSU noch manchen Strauß ausfechten"
Der neue OB Dieter Reiter im AZ-Interview über die Zusammenarbeit mit den Schwarzen, den Groll der Grünen und seine Pläne: Er will stärker mit Umland-Gemeinden kooperieren – und Bänke in der Fußgängerzone
München - Der SPD-Politiker Dieter Reiter ist seit 1. Mai Münchner Oberbürgermeister. Zuvor war der 56-Jährige Leiter des Kommunalreferats für Arbeit und Wirtschaft. Reiter folgt auf Christian Ude, der bei der Kommunalwahl im März nicht mehr antreten durfte.
AZ: Grüß Gott, Herr Reiter. Ihr Vorgänger Christian Ude hat Sie zum Abschied abgewatscht – weil Sie Rot-Grün aufgegeben haben und mit der CSU zusammenarbeiten. Wie ging es Ihnen damit?
DIETER REITER: Er hat seine Meinung zum Besten gegeben. Das ist sein gutes Recht. Ich weiß nicht, ob er eine Chance gehabt hätte, die Bündnis-Verhandlungen anders zu führen. Ich habe wochenlang Gespräche geführt und bin am Ende zum Schluss gekommen, dass es nicht anders geht. Wer eine Stadt wie München verantwortungsvoll regieren will, braucht eine stabile Mehrheit. Aber diesen Tritt von Ude haben Sie sich zum Start gewiss nicht gewünscht. Das kann ich unumwunden zugeben. Aber, ganz ehrlich, ich kann damit leben. Ich will jetzt für die Münchner arbeiten, der Blick geht nach vorne, nicht zurück.
Haben Sie inzwischen mit Ude darüber gesprochen?
Nein, nicht gesprochen. Er hat mir einen Brief geschrieben, in dem er seine Sicht der Dinge schildert. Ratschläge von einem erfahrenen Alt-OB sind immer herzlich willkommen.
Ude hat doch selbst als OB oft gesagt, es gebe ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich der Amtsvorgänger nicht einmischt.
Stimmt. Er hat zu mir immer gesagt, er werde dann zur Verfügung stehen, wenn ich ihn brauche. Da werde ich ihn beim Wort nehmen. Bisher hatte ich allerdings keinen Bedarf.
Warum eigentlich haben Sie Josef Schmid, vor der Wahl Ihr Gegenkandidat von der CSU und nun Zweiter Bürgermeister, auf die Pole Position für die OB-Wahl 2020 gehievt, indem Sie ihn zum Wirtschaftsreferenten gemacht haben? Als Ex-Wiesn-Referent und Amtsvorgänger wissen Sie doch: Da ist ihm maximale Aufmerksamkeit und Bekanntheit garantiert.
Das sehe ich vollkommen anders. Ich habe da auch keine Bedenken – nur weil Herr Schmid als Leiter des Wirtschaftsreferats bei der Wiesn dabei sein wird. Er wäre übrigens auch als Bürgermeister dabei gewesen. Anzapfen werde ich auf jeden Fall selber. Er darf mir aber gern den Schlegel reichen.
Wie ist inzwischen Ihr Verhältnis zu Schmid? Sind Sie schon per Du?
Nein, man muss es ja nicht gleich übertreiben. Aber wir haben häufig Bürgermeister-Besprechungen. Schmid ist durchaus einer, der nachfragt und um Rat fragt. Wir legen viele Dinge einvernehmlich fest. Er ist sehr konziliant in dieser Anfangsphase. Ob es so bleibt, werden wir sehen.
Sie kooperieren als SPD-OB mit der CSU. Haben Sie nach dieser Entscheidung mehr Buhrufe von der SPD oder von den Grünen bekommen?
Gute Frage (lacht)! Die Partei von dieser Zusammenarbeit zu überzeugen, war äußerst schwierig. Und dass die Grünen erst mal beleidigt reagiert haben, ist durchaus menschlich und nachvollziehbar. Aber die Grünen ziehen sich deswegen nicht in die Fundamental-Opposition zurück. Wir arbeiten in den Ausschüssen konstruktiv und oft einvernehmlich weiter.
Lesen Sie Hier: Teil 1 des Interviews mit Dieter Reiter
Wo lag das Höchstmaß der Beleidigungen gegen Sie?
Ich habe es Kollegen überlassen, Facebook & Co zu lesen. „Verräter“, „Betrüger“ hieß es da. Wenn ich das wirklich wäre, hätte ich die Verhandlungen mit den Grünen viel früher beenden können. Dann hätten manche Medien mir auch keinen „Fehlstart“ vorgeworfen. Wer diese gesamte Chronologie der Mehrheitsfindung anschaut, der weiß, dass es so nicht geplant war.
Spricht Sabine Nallinger, die Grünen-Spitzenkandidatin, jetzt noch mit Ihnen?
Ich denke, ja. Wir hatten aber zuletzt keine Gelegenheit mehr dazu.
Klingt nach einem Nein. Statt mit den Grünen herrscht also jetzt Harmonie mit den Schwarzen?
Wir werden mit der CSU in diesem Jahr noch manchen Strauß ausfechten. Etwa beim Thema Tram-Westtangente. Oder beim Radlweg an der Rosenheimer Straße, den ich einst den Grünen zugesagt habe. Solche Dinge werden wir machen – auch wenn sie der CSU nicht gefallen.
Woran – außer beim Anzapfen auf der Wiesn – wird der Münchner, den Politik nur mäßig interessiert, in diesem Kalenderjahr noch spüren, dass Dieter Reiter jetzt der OB ist?
Allein schon, weil ich jeden Tag viel draußen unterwegs bin und immer mit den Menschen rede. Dazu kommt die Bürgersprechstunde, die ich im Wahlkampf versprochen habe: Am 10. Juli von 16 bis 20 Uhr werden 80 Bürgerinnen und Bürger im Rathaussaal auf den Stühlen der Stadträtinnen und Stadträte sitzen und mit mir quasi Politik machen. Auch die erste Mitarbeiter-Sprechstunde der Stadtbeschäftigten mit mir ist schon terminiert.
Und was hat die Masse der Münchner sonst noch davon?
Wir werden bereits im Herbst eine große Veranstaltung mit den Umland-Bürgermeistern und dem Planungsverband machen. Denn wir müssen Sozial- oder Bildungsstrukturen künftig gemeinsam mit dem Umland planen. Ein Beispiel: Wenn ich ein Gymnasium an den Stadtrand lege, können Stadt und Umland es gemeinsam nutzen. Für solche Effekte gibt es den Planungsverband, dessen Vorstand ich übernommen habe. Die Stadt soll und muss etwas für die öffentliche Infrastruktur tun – im Gegenzug aber sollen sich die Umlandgemeinden im Wohnungsbau engagieren, damit Menschen dorthin ziehen mögen. Das kann man nur gemeinsam hinbekommen, auf Augenhöhe. Und das ist auch schon angestoßen.
Ist OB anstrengender als Wirtschaftsreferent?
Spannender, aber auch anstrengender. Es gibt mehr Möglichkeiten, konkrete Verbesserungen für die Menschen in unserer Stadt anzustoßen und auch umzusetzen. Das habe ich mir immer gewünscht.
Was nämlich?
Ganz frisch: Ich habe mit der Innenstadt-Vereinigung City-Partner die Verlängerung der Fußgängerzone der Sendlinger Straße bis zum Sendlinger Tor ins Auge gefasst. Die haben die Unternehmer in der Sendlinger Straße befragt: Über 90 Prozent sind dafür. Also machen wir das auch. Ich möchte mich überhaupt für die Fußgängerzone und ihre Aufenthalts-Qualität engagieren.
Wie soll das aussehen?
Sitzmöglichkeiten zum Ausruhen zum Beispiel. Wir haben in der Fußgängerzone bisher eine ganz spärliche Möblierung: die Gitterbänke, die CityPartner und Einzelhändler damals gestiftet haben. Ich wünsche mir Bänke in der Mitte, ob längs oder quer, damit sich die Menschen auch mal hinsetzen können, wie man es aus anderen europäischen Städten kennt. Es gibt natürlich ganz große Entscheidungen, die für München zukunftsweisend sind, aber auch solche Dinge kann man als Oberbürgermeister natürlich umsetzen.
Noch eine Frage zu Ihrem eigenen Erscheinungsbild: Wie viel mussten Sie seit Ihrer Wahl zum OB in Garderobe investieren?
Ich habe schon eine gute Auswahl an Anzügen und Trachtenanzügen im Schrank. Was ich mir jetzt noch zulegen muss, ist ein neuer Smoking für die Ballsaison – in den alten passe ich leider nicht mehr ganz so gut hinein.