Reichspogromnacht: "Wir wollen klug erinnern"

Die israelitische Kultusgemeinde, Politiker und Bürger erinnern an die Reichspogromnacht vor 76 Jahren. Die Warnung: Diese Katastrophe darf nie vergessen werden.
von  Tim Wessling
Fregatten-Kapitän Stephan Masepol liest die Biografie eines Rabbiners, der Adolf Hitler persönlich zur Rede stellen wollte, aus dem Land flüchtete und 1960 den bayerischen Verdienstorden bekam: „Geschichten wie diese machen mir klar, dass unsere Demokratie sehr fragil ist.“
Fregatten-Kapitän Stephan Masepol liest die Biografie eines Rabbiners, der Adolf Hitler persönlich zur Rede stellen wollte, aus dem Land flüchtete und 1960 den bayerischen Verdienstorden bekam: „Geschichten wie diese machen mir klar, dass unsere Demokratie sehr fragil ist.“ © Daniel von Loeper

MünchenCharlotte Knobloch steht nicht auf, sondern neben der Bühne. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ist einfacher Gast an diesem Nachmittag: Am Gedenkstein der ehemaligen Hauptsynagoge hinter dem Künstlerhaus werden Namen verlesen. Knoblochs Blick schweift über die Bühne und die Zuschauer. Sie ist zufrieden: „Wir wollen klug erinnern“. Dann lässt sie eine Pause. Die 82-Jährige war bei dem dabei, woran heute erinnert wird. Mit ihrem Vater irrte sie vor 76 Jahren durch die Reichspogromnacht.

500 Namen werden heute vorgelesen. Namen von 500 jüdischen Münchnerinnen und Münchnern, die in der Reichspogromnacht von 1938 und in den folgenden Jahren ihr Leben verloren oder im letzten Moment vor der Nazi-Verfolgung flüchten konnten.

Etwas Besonderes hat die Veranstaltung: Auf der Bühne stehen keine Prominenten: Schüler, Bürger, Angehörige von Polizei und Bundeswehr verlesen die bewegenden Biografien. „Eine bewusste Entscheidung“, so Sprecherin Andrea Oberlechner-Kraa.

Am Gedenktag soll an die Menschen erinnert werden, dessen Schicksale auch 70 Jahre nach dem Holocaust nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Normale Menschen, die einem Terror-Regime zum Opfer fielen.

Es sind Biografien wie die von Dr. Hans Bloch: Freiwillig im Ersten Weltkrieg und später Anwalt in München. 1938 verliert er seine Zulassung, darf aber weiter bis 1941 als Konsulent die Interessen jüdischer Mandanten vertreten. 1942 wird aber auch er verhaftet und in Mauthausen ermordet.

Der 9. November – ein deutscher Schicksalstag. Im negativen und positiven Sinne: Denn vor 25 Jahren fiel auch die Berliner Mauer. Bei der Freude über die Wiedervereinigung solle aber das Erinnern an die Reichsprogromnacht nicht vergessen werden: „Vor allem München hat eine besondere Verantwortung“, so OB Dieter Reiter bei der offiziellen Gedenkveranstaltung im Saal des alten Rathauses am Abend. „In diesem Saal gab Joseph Goebbels mit einer Hetzrede das Signal zum Losschlagen.“

Kurz darauf tritt Charlotte Knobloch dann doch noch auf die Bühne. Sie sagt - stehend vor der Tafel mit den 500 Namen Münchner Juden – „Lesen Sie die Namen hinter mir. Sie haben Ihnen etwas zu sagen. Sie flüstern: Nie wieder.“

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