Regieren im Ausnahmezustand: Rathaus-Bilanz zu einem Jahr grün-rot

Seit einem Jahr führen Grüne und SPD im Stadtrat gemeinsam. Am Anfang habe es gerumpelt, sagt der OB. Und die Koalition verrät, was sie jetzt plant.
von  Christina Hertel
Bilanz mit Maske: Verena Dietl, Anna Hanusch, Florian Roth, Dieter Reiter, Christian Müller, Anne Hübner und Katrin Habenschaden (v.l.) gestern vorm Rathaus.
Bilanz mit Maske: Verena Dietl, Anna Hanusch, Florian Roth, Dieter Reiter, Christian Müller, Anne Hübner und Katrin Habenschaden (v.l.) gestern vorm Rathaus. © Daniel von Loeper

München - Vor einem Jahr haben Grüne und SPD ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Und schon damals zwang Corona die Menschen zum Abstandhalten. Das ist bis heute so geblieben - bei der Pressekonferenz zur grün-roten Jahresbilanz saß jeder Politiker in seinem eigenen Büro vor seinem eigenen Bildschirm.

OB Dieter Reiter: "Es hat ziemlich gerumpelt2

Selbst ihren Wahlsieg konnte die Koalition bis heute nicht feiern. Einer von den Grünen hatte mal eine Flasche Sekt dabei. Aber das war's mit dem zwischenmenschlichen Kontakt abseits der Sitzungen. So erzählt es Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

Die Kommunikation und vor allem das Verständnis füreinander habe das nicht erleichtert. "Am Anfang, das will ich auch ganz offen zugeben, hat es ziemlich gerumpelt", sagte Reiter. Doch diese "Rumpelphase" sei nun vorbei.

Ein Jahr grün-rot in München: Die Stadt hat viel vor

2020 sei das Jahr der "Neustrukturierung" gewesen. 2021 werde das Jahr "der großen Beschlüsse", fasste Bürgermeisterin Katrin Habenschaden von den Grünen zusammen. Es herrsche Aufbruchstimmung.

Tatsächlich hat die Stadt viel vor: München will bis 2035 klimaneutral werden. "Außerdem haben wir versprochen, Radfahrern, Fußgängern und dem öffentlichen Nahverkehr mehr Platz zu geben", sagte Habenschaden. Gleichzeitig soll die soziale Infrastruktur erhalten und kein Münchner im Stich gelassen werden, betonte die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl von der SPD.

Schlechter München-Haushalt: Investitionen könnten für Streit sorgen

Friede, Freude, Eierkuchen also? Die Frage ist nur, wie lange. Denn, die Koalition hat große Pläne. Allerdings geht der Stadt langsam das Geld aus, all diese Vorhaben auch umzusetzen.

Noch nie habe er in den vergangenen 40 Jahren, in denen er bei der Stadt arbeite, so einen schlechten Haushalt gesehen, sagte Oberbürgermeister Reiter. Das Defizit liege in einem dreistelligen Millionenbereich. Wie die Stadt den Rest ihrer Mittel am sinnvollsten investieren soll, könnte also noch für Streit sorgen.

Wohnungsbau und autofreie Altstadt: Das sind die Pläne von SPD und Grüne

Den Grünen liegt - naturgemäß - vor allem die Klima-, aber auch die Radpolitik am Herzen. Zu den großen Erfolgen der Koalition zählen laut dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen Florian Roth deshalb zum Beispiel, dass die Pop-up-Radwege, die die Stadt im vergangenen Sommer temporär einrichtete, nun nach und nach dauerhaft zurückkommen.

Außerdem soll die Altstadt autofrei werden. Als Erstes fallen dafür noch in diesem Jahr die Parkplätze im Tal weg. Auch für die Sonnenstraße gibt es Pläne: Die soll zum Boulevard werden mit weniger Autospuren und mehr Platz zum Flanieren. "So kann Verkehrspolitik Spaß machen", sagte Roth.

Doch auch die Akzente, die die SPD setzen will, kosten Geld: Zum Beispiel forderte der SPD-Fraktionschef Christian Müller mehr Unterstützung von Freistaat und Bund beim U-Bahn-Ausbau, um eine Linie Richtung Freiham zu realisieren.

Auch für ihre Wohnungsbaupläne wird die SPD Ressourcen brauchen. Ziel sei, so Müller, bis 2024 insgesamt 4.000 geförderte Wohnungen zu errichten. Außerdem sollen Senioren mehr Hilfe bekommen. Die Kosten für die Fahrt zum Arzt oder für einen Putzdienst solle künftig die Stadt übernehmen, sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner.

Wie das alles gehen soll? Die Verwaltung solle sparen, indem sie Doppelstrukturen abbaut und indem sie Mietkosten reduziert, wenn ohnehin so viele Mitarbeiter im Homeoffice sitzen, schlägt Roth vor.

Doch reicht das? Vielleicht muss am Ende bei dieser Frage der OB schlichten. Er sei zwar kein gelernter Sozialpädagoge, sagte Reiter. Doch inzwischen habe er eine Rolle entdeckt: die des Mediators.

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