Rechts der Isar: Fehler bei der Organvergabe

War es Geldgier? War es die Eitelkeit eines Weißkittels? Oder war es Schlamperei? Noch kann niemand sagen, was hinter den in der Transplantationsabteilung des Klinikums rechts der Isar aufgetretenen „Auffälligkeiten“ bei der Vergabe von gespendeten Lebern steht. Die waren am Mittwoch von der Bundesärztekammer publik gemacht worden.
Zwei Monate nach den bekannt gewordenen Manipulationen bei der Organvergabe in Göttingen und Regensburg (siehe Info-Kasten) schrillen auch in München die Alarmglocken. Auch für das zur Technischen Universität gehörende Klinikum in Haidhausen ordnete die Ärztekammer eine Sonderprüfung an. Es soll sich um neun Fälle handeln, bei denen es zu „Unregelmäßigkeiten“ gekommen sei. Genaueres würden aber erst die genauen Überprüfungen ergeben. Die ersten – widersprüchlichen Erklärungsveruche:
Das Klinikum rechts der Isar räumt ein, dass es bei der Überprüfung von 163 Lebertransplantationen, die dort zwischen Januar 2007 und Juli 2012 gemacht wurden, einzelne Auffälligkeiten gegeben hat. Die interne Untersuchung war von der Klinikleiteung nach den Vorfällen in Göttingen und Regensburg angeordnet und am 6. August begonnen worden. Dabei wurden in neun Fällen „Unstimmigkeiten bei Angaben zur Dialyse sowie bei Laborwerten“ festgestellt worden.
Die waren, so der Ärztliche Direktor Reiner Gradinger, Anlass, „die Prozesse für die Dokumentation und Qualitätskontrolle im Transplantationszentrum grundlegend zu überarbeiten“. Zu deutsch: Die Unregelmäßigkeiten waren keinmenschliches Versagen, sondern durch Mängel im System vorprogrammiert.
Um die „Auffälligkeiten“ lückenlos und transparent aufzuklären, wurde der Abschlussbericht an die Bundesärztekammer und an die Staatsanwaltschaft übersandt.
Die Staasanwaltschaft München ließ wissen, dass sich „der Verdacht auf Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen in München bislang nicht erhärten“ ließ. „Vom ersten Anschein haben wir keinen ausreichenden Anfangsverdacht für eine Straftat“, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. Die im August begonnene Prüfung der Vorwürfe sei aber noch nicht abgeschlossen. Untersucht wird von den Staatsanwälten aber auch noch etwas anderes.
So seien Anfang August 2012 in einem anonymen Schreiben an das bayerische Wissenschaftsministerium Unregelmäßigkeiten bei Organtransplantationen im Klinikum rechts der Isar angeprangert worden. Das Klinikum selbst hat daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen übler Nachrede unter anderem gegen die anonymen Verfasser dieses Schreibens erstattet.
Die Bundesärztekammer. Deren Vorsitzender Frank Ulrich Montgomery erhob gestern schwere Vorwürfe gegenüber den bayerischen Behörden. „Mich irritiert sehr, dass aus der bayerischen Staatsregierung vor einiger Zeit vermeldet worden war, dass man die bayerischen Programme überprüft und nichts gefunden habe.“ Montgomery weiter: „Es geht in etwa in die Richtung wie in Göttingen und Regensburg.“ Dort soll ein Oberarzt, der an beiden Kliniken tätig war, Krankenakten manipuliert haben, um Patienten auf der Warteliste für Spenderorgane ganz oben zu platzieren.
Der bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) weist die Montgomery-Kritik zurück: „Fakt ist: Das Klinikum hat die Bundesärztekammer von sich aus informiert. Es ist alles weitergegeben worden.“ Am 24. August habe sich das Klinikum an das Ministerium gewandt. Daraufhin sei das Klinikum aufgefordert worden, Staatsanwaltschaft und Ärztekammer einzuschalten.
Der Bayerische Landtag befasst sich – zufällig – seit gestern auch mit der Organvergabe, auf Anfrage der Grünen, die den Münchner Fall kurzfristig noch einbauten
Die ersten Skandale: Regensburg und Göttingen
An Kliniken in Regensburg und Göttingen nahmen die Skandale im Organ-Vergabeverfahren ihren Anfang - und das bereits vor Jahren:
2004 - 2005: Ein Oberarzt in Regensburg setzt Patienten aus Jordanien unerlaubterweise auf die europäische Transplantationsliste – unter falschen Angaben. Die Leber eines Wieners wird in Jordanien verpflanzt.
2005: Die Landesärztekammer untersucht daraufhin 23 Verdachtsfälle – die Bayerischen Staatsministerien für Justiz, Soziales und Wissenschaft werden von ihr informiert.
2006: Die Staatsanwaltschaft Regensburg erklärt, dass keine Straftat vorliegt, zuständig seien die Ministerien. Die berufen sich irrigerweise auf die eingestellten Ermittlungen und unternehmen nichts gegen den Arzt.
2008: Der Verdächtige wechselt an die Uniklinik Göttingen.
Juli 2011: Ein anonymer Tipp geht bei der Stiftung Organtransplantation ein – in Göttingen wird betrogen. Es werden wieder Ermittlungen gegen den Arzt aufgenommen.
20. Juli 2012: Der Skandal wird öffentlich.
27. Juli 2012: Ein weiterer Arzt aus Göttingen gerät in den Focus der Ermittlungen.
Beide Ärzte sollen von 2010 bis 2011 in 25 Fällen Krankenakten gefälscht haben. Ermittelt wird auch wegen fahrlässiger Tötung.
So läuft’s normal
Derzeit warten in Deutschland etwa 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan. Sie sind in den Transplantationszentren registriert. Die Entscheidung über die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste trifft eine ständige, interdisziplinäre und organspezifische Transplantationskonferenz des Transplantationszentrums. Die Patientendaten werden dann an die Vermittlungsstelle Eurotransplant (ET) in Leiden, Niederlande, weitergegeben. Dort werden für jedes Organ gemeinsame Wartelisten der ET-Mitgliedsländer Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn und Deutschland geführt.
Die länderübergreifende Kooperation ermöglicht es, in dringenden Fällen möglichst rasch ein lebensrettendes Organ zu finden. Außerdem werden mehr immunologisch „passende“ Organe vermittelt. Die Vermittlung erfolgt nach den Richtlinien der Bundesärztekammer. Hierbei stehen Erfolgsaussicht und Dringlichkeit im Vordergrund.