Queere Menschen aus München berichten: Was dieser CSD für uns bedeutet

München - Dieser Tag ist der Höhepunkt der Münchner Pride Week: Der Christopher Street Day. Am Samstag fahren die bunt geschmückten Wagen bei der Politparade durch die Innenstadt. Die queere Community demonstriert am CSD für gleiche Rechte und für gesellschaftliche Akzeptanz. Die Strecke der Parade führt vom Mariahilfplatz über den Gärtnerplatz und den Viktualienmarkt zum Isartor und schließlich zur Oper.
Der erste CSD in München fand am 28. Juni 1980 statt. Er stand unter dem Motto "Schwul, na und?". Die Abendzeitung schrieb damals, dass etwa 150 schwule Männer und 30 lesbische Frauen durch die Straßen der Innenstadt zogen. Der Name stammt von der Christopher Street in New York, hier widersetzen sich queere Menschen zum ersten Mal einer Polizei-Razzia in einer Schwulenbar.
Peter Fleming (56,) Betreiber vom schwulen Wirtshaus Fesch: "Nicht gegen etwas, für Akzeptanz"
"Ich engagiere mich schon seit ich 18 bin queerpolitisch. Insofern bedeutet mir der CSD sehr viel, er ist ein Highlight des Jahres. Ich laufe zu Fuß mit, da ist man näher dran an den Menschen. Es klingt vielleicht komisch, aber ich freue mich auch darauf, wenn der CSD wieder vorbei ist.
Ich bin an der Organisation des Programms an der Hauptbühne beteiligt und wir arbeiten schon seit Herbst daran. Wenn dann Conchita Wurst auftritt – worauf ich sehr stolz bin – wird mir ein Stein vom Herzen fallen.

Letztes Jahr ist mir aufgefallen, dass deutlich mehr jüngere Leute dabei sind als früher. Das ist einfach eine aufgewecktere, neue Generation. Dazu kommen die fehlenden Kontakte während der Pandemie. Außerdem verstehen junge Menschen das Wort queer – ab 30 wird das oft eher schwierig. Mein persönliches Anliegen ist, dass es wieder mehr queere Orte in der Stadt gibt.
Als ich 1989 nach München gezogen bin, gab es 60 schwule Lokale, heute sind es nur noch 15 oder 20. Mir ist es wichtig, nicht gegen, sondern für etwas zu sein: also für Akzeptanz und Gleichberechtigung."
Theresa "BiMän" Bittermann (33), DJ* und Producerin: "Der CSD ist heuer besonders wichtig"
"Ich werde bei der Politparade des CSD auf einem Truck und danach im Stadtmuseum auflegen. Durch diesen Tag fühle ich mich gestärkt, weil er mich in dem, was ich bin, feiert. Das ist eine besondere Wertschätzung und dafür bin ich sehr dankbar, auch weil es an anderen Tagen nicht so ist.
Die Stimmung beim CSD ist besonders energiegeladen und ich bin froh, dass ich das mit meiner Musikauswahl unterstützen darf. Diesmal habe ich tolle queere Musik aus aller Welt dabei! Tatsächlich stand ich dem CSD aber lange eher kritisch gegenüber: Ich habe mich davon nicht so angesprochen gefühlt, weil ich dachte, hier geht es nur um Produktplatzierung und dem Folgen von einem Trend. 2017 war ich dann aber das erste Mal auf einem CSD-Truck dabei und dieses Gefühl der Akzeptanz und Gemeinsamkeit hat mich emotional überwältigt – seitdem bin ich jedes Jahr dabei und das nicht nur in Deutschland.

Ich finde der CSD hat sich auch verändert: es gibt mehr Zusammenhalt und Austausch unter den einzelnen Gruppen in der queeren Gemeinschaft und das macht den CSD noch bunter als er eh schon ist. Dass es uns gegenüber eine starke Ablehnungshaltung von Rechtspopulisten gibt, hat man bei der Drag-Kinder-Lesung gemerkt. Gerade deshalb finde ich den CSD dieses Jahr besonders wichtig, denn er setzt zusätzlich ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt und Diversität, vor allem durch sein Motto: "Queerer Aktionsplan Bayern jetzt".
Im Alltag habe ich Ablehnung zum Beispiel durch Hass-Kommentare unter meinen Youtube-Videos erlebt. Der CSD ist ja eine Demonstration für die Rechte von LGBTIQA+. Da gehe ich schon mit dem Bewusstsein hin, dass Übergriffe passieren könnten. Ich werde mich aber niemals einschüchtern lassen."
Daphny Ryan (45), Dragqueen: "Die Menschen nicht so schnell vorverurteilen"
Der CSD ist nach wie vor sehr wichtig. Ich habe auch lange gedacht, wir hätten schon viel erreicht und es sei gar nicht mehr so wichtig, Präsenz zu zeigen. Aber vor allem durch die Diskussion in den letzten Wochen rund um die Kinder-Lesung (AZ berichtete) hat man doch wieder gemerkt, dass unsere Lebensformen noch nicht in allen Köpfen angekommen sind.
Uns ist daher wichtig zu zeigen, dass es uns gibt, dass wir bunt, froh und lustig sind. Dafür ist die Parade ein gutes Mittel. Die Ablehnung der AfD bei der Drag-Kinder-Lesung zu spüren, war ein ungewohntes Gefühl. Denn eigentlich ist München für queere Menschen ein gutes Pflaster. Auch als Dragqueen nehme ich zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel und habe nie schlechte Erfahrungen gemacht, weder dort noch auf den Straßen.

Der ein oder andere schaut mal ein bisschen länger hinterher, vielleicht gab's mal eine Bemerkung. Aber direkt angefeindet wurde ich bis dato Gott sei Dank noch nicht. Manche Gegenden in München würde ich als Drag aber schon vermeiden, zum Beispiel den Hauptbahnhof.
Am Samstag freue ich mich am meisten auf die Parade, da habe ich immer gute Gespräche geführt. Es ist mein fünfter CSD als Dragqueen, davor war ich im Fußvolk dabei. Als Dragqueen ist es allerdings ein anderes Erlebnis, weil man viel mehr Aufmerksamkeit bekommt. Ich finde auch, man merkt, dass der CSD immer größer wird – was schön ist, weil immer mehr Menschen sich trauen, die Community zu unterstützen. Ich würde mir aber wünschen, dass man diese Akzeptanz das ganze Jahr über sehen könnte, zum Beispiel in Form von kleinen Regenbogenfahnen am Eingang eines Geschäfts. Bei Rewe gibt's das und da fühle ich mich willkommen. Leben und leben lassen ist ein gutes Motto, finde ich. Man sollte Menschen nicht so schnell vorverurteilen."
Mohamed Turay (47), Geflüchteter aus Sierra Leone: "Jeder darf sein, wie er will"
"Mit 15 habe ich meine Familie zum letzten Mal gesehen. Ich lebte damals in einem kleinen Dorf in Sierra Leone. Mein Vater war Imam in einer großen Moschee. Er war sehr streng. Mit anderen Männern konnte ich mich nur heimlich treffen.
Als er mich einmal mit anderen Männern erwischte, zerrten mein Onkel und er mich aus dem Haus. Sie schrien so laut, dass das ganze Dorf kam. Sie schlugen mich zusammen und meine Mutter hat zugesehen. Ich blutete, mein Handgelenk war gebrochen, ich konnte nicht mehr laufen.

Neun Jahre wurde ich von einem traditionellen Heiler weit weg von Zuhause behandelt. Als er mich in mein Dorf zurückschicken wollte, bin ich nach Gambia geflohen, später nach Dänemark und dann nach Deutschland. Ich habe in verschiedenen Unterkünften gelebt und es war nicht immer leicht dort. Ich wurde beleidigt und bedroht. Jetzt wohne ich in Kirchheim bei München in einer Unterkunft, wo nur homosexuelle Männer leben. Ich habe einen Job und helfe in einer Kirchengemeinde. Deutschland ist mein Zuhause, der Ort, an dem ich sterben will.
Am CSD helfe ich zuerst vier Stunden lang am Stand vom SUB, dem Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum. Und dann will ich feiern. Der CSD ist wie ein Familienfest und für mich der Beweis, dass ich in einem freien Land lebe. Es ist bunt, jeder darf sich benehmen und anziehen wie er will."
Julia Bomsdorf (28), von LesCommunity e.V., identifiziert sich selbst als nicht-binär: "Nicht einfach nur große Party"
"Für mich sind mit dem CSD zwei Seiten verbunden: Ich arbeite bei LesCommunity e.V., einem der fünf Veranstalter, und bin somit direkt an dem Großprojekt beteiligt. Wir sind schon sehr gespannt, wie alles läuft. Aber leider kann ich deswegen auch nicht persönlich mitlaufen.
Privat ist es so, dass man in der aktuellen Zeit immer wieder von negativen Ereignissen gegenüber queeren Menschen hören musste. Dann zu sehen, wie viele Menschen auf die Straße gehen und im wahrsten Sinne des Wortes Flagge zeigen, hilft sehr.

Uns ist wichtig, dass der CSD nicht einfach nur eine große Party ist. Wir wollen auch den politischen Hintergrund in den Fokus stellen. Ich könnte eine Liste mit mindestens 100 Forderungen schreiben, was sich für queere Menschen ändern müsste.
Zum Beispiel müsste auf politischer Ebene anerkannt werden, dass Hasskriminalität und Diskriminierung große Probleme sind. Stadtmitarbeiter und auch Polizisten müssten da noch mehr sensibilisiert werden. Teilweise ist es so, dass man als queerer Mensch auf der Straße etwas Schlimmes erlebt und die Beamten, die gerufen werden, machen es nicht unbedingt besser. Es wäre wichtig, dass man ernst genommen wird und Hilfe bekommt."
Rita Braaz (61), queere Aktivistin: "Das Rebellische am CSD wird verwässert"
"Ich würde mir für den CSD mehr Politik und weniger Party wünschen. In diesem Jahr werde ich auch als Landtagskandidatin der Linken sprechen. Und hoffe, dass die Community auf der Bühne und bei der Parade klar Stellung bezieht gegen die europäische Asyl-Abschottungspolitik, von der ja auch viele queere Menschen betroffen sind.

Der CSD ist zuletzt immer größer geworden, aber immer noch mehr ist eben nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal. Inzwischen wirkt es so, dass sich da alle Firmen beteiligen. Klar, die große Beteiligung zeigt auch ein Stück Normalität. Aber so wird halt auch der rebellische Charakter, den wir auch brauchen, verwässert.
Natürlich freue ich mich trotzdem auf das Bad in der Menge am Samstag. Dieses Jahr habe ich mich aber genauso auf den TINQ-march am Freitagabend gefreut. Die Situation von trans*, inter- und non-binären Menschen ist ja auch in unserer Community oft immer noch schwierig. Da will ich soldarisch sein und eine Verbündete."
Wolfgang Scheel (64), Pfarrer im Ruhestand und Vorstand der "Rosa Liste": "Der Akzent ist auf der politischen Botschaft"
"Ich werde am Samstag um 10 Uhr als Mitglied eines Teams verschiedener Kirchen in der Lukaskirche einen ökumenischen CSD-Gottesdienst halten. Danach geht's für mich direkt zum Stand der Rosa Liste in der Weinstraße. Der CSD bedeutet für mich Pride (Stolz) und dass ich dankbar bin, auch Gott dankbar bin, für mein Schwul-sein und die Vielfalt des Lebens. Ich bin jetzt zum 25. Mal beim CSD dabei. Anfangs, als die Repression noch sehr groß war, ging es mehr um die politische Botschaft. In den letzten Jahren stand das Feiern eher im Vordergrund.
Aber die jungen Queers sollten nicht vergessen, dass wir uns die Anerkennung hart erkämpft haben und dass sie gesichert werden muss. Ich denke dieses Jahr ist der Akzent wieder mehr bei der politischen Botschaft. Denn es gibt Bereiche, wo queeres Leben noch nicht berücksichtigt ist. Daher brauchen wir einen queeren Aktionsplan. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem es den noch nicht gibt.

Deshalb stehen alle CSD-Veranstaltungen in Bayern heuer unter dem Motto 'Queerer Aktionsplan Bayern jetzt'. Vor der Wahl im Herbst ist dieses Thema natürlich besonders präsent. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass queeres Leben in den Lehrplänen der Schulen verankert wird, nicht nur im Biologie- und im Sozialkundeunterricht, sondern zum Beispiel auch, indem Literatur von queeren Personen gelesen wird.
Es macht mich traurig, Demonstrationen wie die der AfD zu sehen, aber ich erlebe gleichzeitig so viel Einfühlsames und Ermutigendes, und das überwiegt."