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Prozess in München: Lokführer von Schäftlarn kämpft mit den Tränen

Die Staatsanwaltschaft München wirft dem Mann neben fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung auch vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs vor.
von  Nina Job
Der wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagte Mann (M) steht mit seinen Anwälten Stephan Beukelmann (r) und Mariana Sacher im Gerichtssaal.
Der wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagte Mann (M) steht mit seinen Anwälten Stephan Beukelmann (r) und Mariana Sacher im Gerichtssaal. © Sven Hoppe/dpa

München - Er ist komplett dunkel gekleidet, sitzt zusammengesunken auf der Anklagebank und kämpft immer wieder mit den Tränen. „Es tut mir alles so leid. Wenn ich könnte, würde ich sofort alles ungeschehen machen“, sagt Richard Z. (56) gleich zu Beginn des Prozesses. Die Katastrophe, die er laut Staatsanwaltschaft verursacht hat, nimmt den Mann auf der Anklagebank sichtlich mit. Richard Z. soll am 14. Februar 2022 als Lokführer einer S7 Stopp-Signale ignoriert haben und mit der voll besetzten S-Bahn auf der eingleisigen Strecke weitergefahren sein. Dort stieß der Zug mit einer entgegenkommenden S-Bahn frontal zusammen. Bei dem Unglück starb ein 24-jähriger Fahrgast, 51 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Auch die beiden Lokführer wurden schwer verletzt.

Am 14. Februar 2022 krachen bei Schäftlarn zwei S-Bahnen frontal zusammen. Ein Fahrgast stirbt, 51 Menschen werden teils schwer verletzt, darunter die beiden Lokführer. Der materielle Schaden beträgt sieben Millionen Euro.
Am 14. Februar 2022 krachen bei Schäftlarn zwei S-Bahnen frontal zusammen. Ein Fahrgast stirbt, 51 Menschen werden teils schwer verletzt, darunter die beiden Lokführer. Der materielle Schaden beträgt sieben Millionen Euro. © Matthias Balk/dpa

Richard Z. muss sich seit Montag wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung sowie vorsätzlicher Gefährdung des Bahnverkehrs verantworten. Lokführer war sein Traumberuf, sagt er. Lokführer geworden ist er allerdings erst spät – als Quereinsteiger. Zuvor hatte Z. als Dreher gearbeitet. Die Prüfung zum Triebfahrzeugführer hatte er ein dreiviertel Jahr vor dem Unfall abgelegt. „Ein Musterschüler“ sei er gewesen, sagt sein Ausbilder vor Gericht.

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An den Unglückstag erinnert sich Richard Z. nur lückenhaft. Er weiß noch, wie er sich am Ostbahnhof eine Breze gekauft hatte und wie er diese dann in Wolfratshausen aß. Aber an den Unfall selbst, sagt er, habe er keine Erinnerung. Recht freimütig gibt Richard Z. zu, dass er sich schon vor dem folgenschweren Unfall über Vorschriften hinweggesetzt hatte. Die Bahnstrecke ist mit einem automatischen Kontrollsystem ausgestattet, das auch das Tempo der Züge kontrolliert. Fahren die Lokführer zu schnell, löst das PZB-System („Punktuelles Zugbeeinflussungssystem“) zwangsweise eine Bremsung aus. Bevor der Lokführer sich danach per Taste wieder freie Fahrt gibt, muss er laut Fahrdienstvorschrift den Fahrdienstleiter verständigen. Dieser erteilt dann einen Befehl.

Über diese Vorschrift habe sich Richard Z. „etwa ein bis zwei Mal im Monat“ hinweggesetzt, räumt er vor Gericht ein. Auf Nachfrage, warum er das tat, sagt er, öfters sei es so, dass ein rotes Signal schnell wieder auf Grün umspringe. Offenbar scheute er aber auch Konfrontationen mit Fahrdienstleitern: Manche seien „nicht sehr kollegial“, sagt er vor Gericht. Das Verhältnis sei „oft komisch“. Und er habe sich auch geschämt. „Wenn man gegen ein Haltesignal anfährt, kommt das in die Personalakte und man bekommt Nachschulungen.“ Eine Strafe gebe es noch drauf. Seien S-Bahnfahrer über Rot gefahren, müssten sie erst mal ein paar Monate lang im Betriebshof in Steinhausen Züge rangieren – statt S-Bahn zu fahren. 

Aufwendige Bergung: Mit einem Kran muss dieser rund 21 Tonnen schweren Triebwagen abtransportiert werden.
Aufwendige Bergung: Mit einem Kran muss dieser rund 21 Tonnen schweren Triebwagen abtransportiert werden. © Uwe Lein/dpa

Am 14. Februar vor zwei Jahren setzte sich Richard Z. offenbar nicht nur über eine Vorschrift hinweg – sondern über mehrere. Der Anklage zufolge fuhr Z. mit der S7 in Richtung Innenstadt zunächst zu schnell in den Bahnhof Schäftlarn-Ebenhausen. Das Kontrollsystem löste eine Zwangsbremsung aus, Z. fuhr aber weiter, ohne den Fahrdienstleiter zu kontaktieren. Nachdem am Bahnhof Fahrgäste ein und ausgestiegen waren und Z. die Fahrt fortsetzen wollte, zeigte ein Haltesignal Rot. Wiederum missachtete der Lokführer das Signal. Er soll laut Anklage trotzdem weitergefahren sein. Auch die darauffolgende automatische Zwangsbremsung hebelte er per Tastendruck aus, so die Anklage. „Es war ein Fehler von mir, ganz klar“, sagt Z. nun vor Gericht „Ich hätte den Fahrdienstleiter informieren müssen.“ Stattdessen beschleunigte er die S-Bahn auf der eingleisigen Strecke auf Tempo 67.

S-Bahn-Unglück bei Schäftlarn: Was die Staatsanwaltschaft dem angeklagten Lokführer vorwirft

Die andere S-Bahn wurde von Simon S. (damals 22) gefahren. Er kam aus München, hatte etwa 10 Minuten Verspätung. Gegen 16.35 Uhr zeigte auch für ihn ein Signal an der Strecke rot. Er leitete sofort eine Schnellbremsung ein. Nach etwa 140 Metern stand sein Zug. S. rief den Fahrdienstleiter an, wollte sich nach der Ursache für den Stopp erkundigen. Ungefähr fünf Sekunden später sah er, wie ein Zug um die Büsche bog und direkt auf ihn zufuhr. „Sch..., da kommt ein Zug!“, schrie er und warf den Hörer weg. „Mein Gedanke war nur noch: Raus!“, berichtet er vor Gericht.

Auch Richard Z. leitete eine Schnellbremsung ein, als er die andere S-Bahn vor sich sah. Doch er bekam sie nicht mehr rechtzeitig zum Stehen. Sekunden später verkeilten sich die beiden S-Bahn-Triebwagen ineinander, die vorderen Zugteile entgleisten. Ein Fahrgast, der vorne gestanden hatte, konnte später nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden.

Lokführer S. kam damals nur knapp mit dem Leben davon. Sein Führerstand wurde fast völlig zerstört. Nur ein kleiner Hohlraum, in den er sich geflüchtet hatte, wurde nicht zermalmt. Mit 14 Knochenbrüchen, davon acht Wirbelbrüchen, kam er in eine Klinik. Richard Z. entschuldigt sich weinend bei ihm: „Es tut mir so leid.“ S. antwortet ihm: „Ich bin sicher, du hast es nicht mit Absicht gemacht.“ 

Richard Z. arbeitet seit dem Großunglück nicht mehr als Lokführer. Er ist jetzt Briefträger. Auch Simon S. will mittelfristig umsatteln. Er arbeitet nur noch Teilzeit, hat ein Studium begonnen. Der Prozess wird fortgesetzt.

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