Prozess gegen Fritz Teufel: AZ-Reporterlegende erinnert sich

Ein selbsterklärter Revoluzzer, dem die Späße nie auszugehen schienen: Am 15. Januar 1971 stand Fritz Teufel vor Gericht. Karl Stankiewitz, die AZ-Reporterlegende, erinnert sich an den Prozess.
von  Karl Stankiewitz
An Handschellen wird Fritz Teufel 1971 in München in den Gerichtssaal geführt.
An Handschellen wird Fritz Teufel 1971 in München in den Gerichtssaal geführt. © imago/ZUMA/Keystone

Es war ein kurioses Kasperltheater, was sich vor genau 50 Jahren im Justizpalast abspielte. Drei Jahre hatte es gedauert, bis der Politclown der "Studentenrevolte" von 1968 in München vor Gericht stand. Vier Stunden mussten wir Reporter und ein hochgestimmtes Publikum am 15. Januar 1971 auf das Urteil warten.

Es überraschte alle: zwei Jahre Freiheitsstrafe für den 1943 im schwäbischen Ludwigsburg geborenen Fritz Teufel. Schuldig einer gemeinschaftlich begangenen, Menschen gefährdenden Brandstiftung.

Tumulte und Sprechchöre bei der Urteils-Verkündung

Als der Vorsitzende des Schöffengerichts den Spruch verlas, unterbrachen ihn Tumulte und Sprechchöre. Da war richtig der Teufel los, so wie man es bei Teufels Auftritten schon öfter erlebt hatte.

Chaotisch war schon die Eröffnung dieses "politischen Prozesses", wie ihn prominente Schriftsteller wie Heinrich Böll und Martin Walser nannten. Nach wenigen Minuten wurde der angeklagte "Schriftsteller" wieder in seine Zelle geführt, weil er darauf bestand, alle Anwesenden persönlich zu begrüßen und eine solche Begrüßung gleich noch von den Prozessbeteiligten verlangte. Eher werde er sich nicht zur Person äußern, beharrte Teufel.

Dauer-Gast vor Gericht. Fritz Teufel in West-Berlin, 1967.
Dauer-Gast vor Gericht. Fritz Teufel in West-Berlin, 1967. © picture alliance / dpa

Getreu seinem weithin bekannten Spruch, als ihn ein Berliner Richter zum Aufstehen aufforderte: "Wenn's denn der Wahrheitsfindung dient." Fortan blieb er stumm. Und Zeugen konnten zur Wahrheitsfindung so gut wie nichts beitragen.

"Feuer unterm Richterarsch!", hallt durch den Gerichtssaal

Umso überraschender war für viele das Urteil. Teufels zahlreiche Sympathisanten tobten. Noch ehe die Begründung verlesen werden konnte, ertönten im Zuhörerraum gängige Slogans der letzten Revoluzzer: "Feuer unterm Richterarsch verkürzt den langen Marsch" und "Macht kaputt, was euch kaputtmacht".

Daher wurde der Zuhörersaal von der halben Hundertschaft der Polizei, die seit Tagen den Münchner Justizpalast belagerte, geräumt. Die beiden Hauptverteidiger und ihre vier jungen Gehilfen zogen ebenfalls ab: "Ohne Öffentlichkeit haben wir hier nichts mehr zu suchen."

Eilig wurde nun der Rechtsanwalt Heinz Pelka ersatzweise als Pflichtverteidiger herbeigerufen, damit die Begründung, nach siebenstündiger Beratung, endlich zu Ende gelesen werden konnte.

"Erich, ich will deinen Seich heute nicht mehr hören"

Teufel selbst wollte nun auch nicht mehr mitspielen. Durch ständige sarkastische Zwischenrufe versuchte der Anarchist, die Justiz-Posse zum anarchischen Ende zu bringen. Als er den Vorsitzenden unterbrach "Erich, ich will deinen Seich heute nicht mehr hören und möchte jetzt gehen", wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Mit hoch erhobener Faust wurde er, noch ehe die bis in die Nacht hinein dauernde Begründung vollends verlesen war, abermals in seine Zelle zurückgeführt. Teufel-Trabanten reagierten mit einem Zeitzünder im Amerikahaus.

Den Revoluzzer, dem die Späße nie ausgingen, erwartete ein weiterer Auftritt auf der Bühne der Justiz. Das Januar-Urteil bezog sich nur auf einen der Anklagepunkte: die angebliche Deponierung eines Brandsatzes in einem Hydranten des Münchner Amtsgerichts. Allein technische Fehler hätten eine Zündung verhindert, stellte die Strafkammer fest, womit sie über die Erkenntnisse des Staatsanwalts Hubert Grader hinausging. Dieser hatte, obwohl ihn Teufel mit einer Kröte verglich, nur Beihilfe geltend gemacht. Das Gericht kam zum schwerwiegenderen Schuldspruch der Mittäterschaft.

Ikone der westdeutschen Linken: Teufel spricht bei einer Demo.
Ikone der westdeutschen Linken: Teufel spricht bei einer Demo. © Roland Witschel / dpa

Das hieß: Nach Ansicht der Anklage war nur festgestellt worden, dass Teufel die Herstellung der "Bombe" in dem von ihm gemieteten Apartment geduldet oder gebilligt habe, während das Gericht als erwiesen ansah, dass er bei der Produktion des Brandkörpers aktiv mitgewirkt habe. Dabei war in der Beweisaufnahme nicht einmal klar festgestellt worden, ob Teufel die Wohnung zu der fraglichen Zeit überhaupt bewohnt hatte. Ein einziger Zeuge hatte ihn dort einmal gesehen. Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" sei missachtet, fehlende Beweise seien durch Überzeugung ersetzt worden, kritisierte die "SZ" das unerwartete Urteil.

Teufel wird verhaftet: Verdacht auf Entführung eines CDU-Manns

Den zweiten Anklagepunkt hatte das Münchner Gericht abgetrennt, nachdem in der Wohnung des Berliner Kommunarden Dieter Kunzelmann (auch er saß mehrmals wegen Brandstiftung, Sachbeschädigung und Beleidigung in Haft, konnte aber 1983 für die Alternative Liste ins Berliner Abgeordnetenhaus einrücken) ein Brief aus München gefunden wurde und überraschend in der Verhandlung aufgetaucht war.

Er lautete: "Motoröl ist gut für Motoren, aber nicht für Mollis. Wir verdanken diese Erkenntnis dem Kommando Berger. Deshalb wurde das Landeskriminalamt auch geölt und nicht gebrandelt." Als "Mollis" wurden im linken Untergrund selbstgemachte "Molotow-Cocktails" bezeichnet.

Im Mai 1970 waren an der Hauswand des Landeskriminalamts zwei mit Mineralöl gefüllte Flaschen zerschellt und in einer dritten, unversehrten Colaflasche steckte ein Plakat mit der Unterschrift "Kommando Theo Berger". Diese stammte nach dem Gutachten eines Schriftsachverständigen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Teufel. Ob Fritz Teufel auch im zweiten Punkt schuldig war, sollte in einem weiteren Prozess geklärt werden. Er wurde dann zwar, offenbar mangels beweiskräftiger Ermittlungsergebnisse, doch nicht noch einmal angeklagt, musste jedoch die zwei Jahre in der Haftanstalt Landshut voll absitzen.

Danach galt er in München als "unbekannt verzogen". Im September 1975 tauchte er wieder auf und wurde verhaftet unter dem Verdacht der Mittäterschaft an der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz. Es folgten fünf Jahre Untersuchungshaft und ein Prozess in Berlin, wo gegen fünf weitere Angeklagte verhandelt wurde.

Am 178. Verhandlungstag kommt Teufel mit einem Alibi daher

Am 178. Verhandlungstag, nachdem die Bundesanwälte 15 Jahre Haft gefordert hatten, erhob sich Teufel plötzlich von der Anklagebank und fragte: "Hören Sie mich? Okay." Dann, wie beiläufig, aber für alle überraschend: "Ich habe ein Alibi." Tatsächlich erkannten ihn Zeugen aus einer Fabrik in Essen als den Arbeitskollegen wieder, der unter anderem Namen genau in der fraglichen Zeit Klodeckel gepresst hatte. Er habe dies so lange verschwiegen, um "die Methoden des Staatsschutzes und der Justiz bloßzustellen", begründete er seine späte Verteidigung.

Am 30. Oktober 1980 kam Teufel frei. Seinen letzten Streich leistete er sich im Februar 1982 bei einer TV-Talk-Show: Er richtete auf Bundesfinanzminister Hans Matthöfer (SPD) eine Spielzeugpistole und beschoss diesen mit Zaubertinte. Danach war der Bart wirklich ab.

Altlinker Promi-Auflauf: Bei Teufels Beerdigung 2010 in Berlin kommen auch Christian Ströbele (l.) und Rainer Langhans.
Altlinker Promi-Auflauf: Bei Teufels Beerdigung 2010 in Berlin kommen auch Christian Ströbele (l.) und Rainer Langhans. © Wolfgang Kumm dpa/lbn

Der fröhliche Revoluzzer schlug sich als Bäcker in London, als "taz"-Kolumnist und als Fahrradkurier im "autoverseuchten" Berlin durch - nach insgesamt acht Jahren Knast, meistens in Untersuchungshaft. Die Ikone der "Spaßguerilla" lebte zurückgezogen mit Freundin Lolo in Berlin-Wedding und starb 2010 an Parkinson. Sympathisanten stahlen seine Urne, die neben dem Grab seines Freundes Rudi Dutschke auf dem Dahlemer Friedrich gestanden hatte.

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