Pro Stolpersteine: "Es sollten Felsbrocken sein"

Für das öffentliche Gedenken: Mehr als 80 000 Menschen haben unterschrieben, dass sie das Münchner Verbot von Stolpersteinen abschaffen wollen.
von  Anja Perkuhn
...wie Helga Rehe und ihr Mann persönlich.
...wie Helga Rehe und ihr Mann persönlich.

München – Es ist ein großes Symbol auf dem ehemaligen Zentrum der Nazi-Macht: Elf Papierbahnen rollen Meter um Meter über den Königsplatz. Mehr als 80 000 Namen sind darauf zu lesen, von Unterstützern der Münchner „Initiative Stolpersteine“. Sie stammen von Menschen, die im vergangenen halben Jahr die Petition „Aufhebung des Verbots von Stolpersteinen in München“ unterschrieben haben.

Die Steine sind ein Politikum in der einstigen „Hauptstadt der Bewegung“: Stolpersteine werden in den Boden vor dem ehemaligen Wohnort eines Opfers eingelassen, versehen mit Namen, Geburts- und Sterbedatum, um dessen Existenz in den Alltag zurück zu bringen.

Seit einem Beschluss des Stadtrates von 2004 sind sie in München auf öffentlichem Grund nicht erlaubt – auch weil Charlotte Knobloch, ehemals Vorsitzende des Zentralrats der Juden und amtierende Münchner Gemeindepräsidentin, sie ablehnt. Steine im Boden, das bedeute: Menschen trampelten auf dem Andenken der Opfer herum und erniedrigten sie noch einmal, sagt Knobloch.

„Der Tag wird kommen. Wir kämpfen weiter!"

„Heute ist ein historischer Tag!“, ruft Terry Swartzberg. Seine Stimme hallt über den Platz, etwa 200 Menschen stehen vor ihm im Gras. In mehr als 1000 Städten wird der Opfer der NS-Verbrechen mit Stolpersteinen gedacht, „aber hier nicht, im ehemaligen Epizentrum des Naziterrors“, sagt Swartzberg, Vorstand der Initiative und Initiator der Petition. „Doch der Tag wird kommen. Wir kämpfen weiter!“

Die Zuhörer nicken still oder klatschen. Viele sind Juden, kennen oder kannten jemanden, der aus diesem oder einem anderen Grund unter dem NS-Regime gelitten hat – wie Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Zeugen Jehovas, Euthanasie-Opfer.

Lesen Sie hier: Stolperstein privat verlegt - Gedenken für Opfer der Nazi-Euthanasie

 

80 000 Unterschriften auf der Website change.org – das ist bemerkenswert. Ein Klick ist schnell gemacht, doch sie kommen nicht nur aus München, sondern aus ganz Deutschland, aus Israel, aus den USA.

Und nicht nur von Juden: Helga und Fritz Rehe beispielsweise haben unterschrieben und sechs Steine gestiftet. „Wir sind keine Juden, aber uns ist es wichtig, die Organisation zu unterstützen“, sagt Helga Rehe. „Wir haben die Steine in anderen Städten erlebt. Es ist ein extremes Gefühl, und man denkt über die Menschen nach.“

Moderatorin Julia Cortis verliest Kommentare der Unterzeichner. Einer erklärt, eine öffentliche Erinnerung an die Geschehnisse sei so wichtig, „man sollte Felsbrocken legen“.

Auch um die nächsten Generationen geht es: „Letztens kam eine 17-Jährige zu mir, die einen Stolperstein stiften will für ein Mädchen, das mit 17 deportiert wurde“, sagt Janne Weinzierl von der Initiative. „Und das soll ich ihr abschlagen?“

Lesen Sie hier den AZ-Kommentar - Stolpersteine nicht länger ablehnen

Im April beschloss der Stadtrat einen Kompromiss: Wenn Angehörige der Opfer es beantragen, kann eine Plakette an ehemaligen Wohnhäusern angebracht werden.

„Ich fühle mich verarscht“, sagt der ehemalige KZ-Insasse Ernst Grube (83). „Ich weiß nicht, ob man den Stadtrat zur Vernunft bringen kann. Ich werde es aber noch ein bisschen versuchen.“

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.