Private Realschule ist pleite – jetzt droht die Zwangsschließung

Voller Ideale wurde die „Innovative Schulen GmbH“ gegründet. Doch trotz Schulgeld und Darlehen, das die Eltern gaben, macht die private Realschule nur Miese. Nun hat die Insolvenzverwalterin die Schließung beantragt.
von  Nina Job
Die private Realschule ist in diesem Bürohaus in Trudering untergebracht. Seit 1. Mail läuft das Insolvenzverfahren.
Die private Realschule ist in diesem Bürohaus in Trudering untergebracht. Seit 1. Mail läuft das Insolvenzverfahren. © aniel von Loeper

München - Empörte Eltern, ein Vermieter, der seit Monaten auf sein Geld wartet, ein Anwalt und eine Insolvenzverwalterin trafen sich am Dienstag im Saal 101 im Amtsgericht in der Infanteriestraße. Es war eine Gläubigerversammlung, die es in dem Vollstreckungsgericht häufig gibt. Doch so gut wie nie geht es um das Schicksal einer Schule – und damit um das Schicksal von Münchner Schülern und deren Eltern.

Schule mit "innovativem" Konzept: Lernen in kleinen Klassen und ohne unnötigen Druck

Es geht um die private Realschule "Innovative Schulen München GmbH (ISM)". Es gibt sie erst seit 2018, Gründer ist der heute 60 Jahre alte Stefan Ostermaier, ein ehemaliger Waldorfschüler, wie er auf der Homepage der ISM erzählt. Für die neue Realschule wurde in einem Bürogebäude Am Moosfeld im Gewerbegebiet in Trudering eine Etage angemietet, die ehemaligen Büros zu Klassenzimmern umgewandelt. Geplant war, später auch noch eine Fachoberschule zu gründen, deshalb die Bezeichnung Innovative Schulen – in der Mehrzahl.

Die ISM wirbt mit einem "innovativen" Konzept: Lernen ohne unnötigen Druck, kleine Klassen mit maximal 20 Schülern, Wohlfühlatmosphäre. Im vergangenen Jahr wurde sogar Glücks-Unterricht eingeführt. In diesem Fach sollen die Schüler Methoden lernen zur Entwicklung ihres eigenen Lebenskonzepts – mit Übungen für mehr Eigenständigkeit, Zufriedenheit, Lebensfreude.

Schul-Darlehen in Höhe von 6.000 Euro

Die Privatschule hat ihren Preis. Die Eltern müssen ein einkommensabhängig gestaffeltes Schulgeld zahlen. Pro Monat werden 100 bis 635 Euro fällig, erläutert Gründer Ostermaier in einem Video auf der Homepage der Schule. Dazu kommt ein Essensgeld von 120 Euro. Und das ist noch nicht alles: Die Eltern müssen zudem ein sogenanntes Schul-Darlehen in Höhe von 6.000 Euro zahlen. "Zuerst fand ich das gut. Andere Privatschulen nehmen eine Aufnahmegebühr, das Darlehen sollte man ja zurückbekommen", berichtet eine Mutter der AZ. Außerdem verlangte die Schule noch einen Schulgeldvorschuss – eine Art Kaution, falls die Eltern mal nicht zahlen können, so die Begründung. Höhe: 2.500 Euro.

"Die 8.500 Euro sind jetzt weg!", sagt eine Mutter, deren Tochter bis vor Kurzem auf die Realschule ging. Denn: Die "Innovativen Schulen" sind pleite. Am 1. Mai wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Bereits am 21. Januar hatte es einen sogenannten externen Fremdantrag gegeben: Eine Krankenkasse hatte Alarm geschlagen, weil Sozialabgaben für Lehrer nicht gezahlt worden waren.

Schule schon lange in finanzieller Schieflage

Am Dienstag in der Gläubigerversammlung kam heraus, dass die Schule schon lange in finanzieller Schieflage gewesen ist. Ein Teilnehmer, der dabei war, berichtete der AZ: "Laut Insolvenzverwalterin hat die Schule mindestens 80.000 Miese gemacht im Monat. Sie war schon letztes Jahr zahlungsunfähig." Und das, obwohl die Gesellschafter offenbar selbst immer wieder hohe Summen hineingebuttert hatten. Der Geschäftsführer soll sogar sein Haus beliehen haben. Relevante staatliche Zuschüsse bekam die Schule nicht – sie fließen erst ab dem fünften Betriebsjahr, das wäre erst ab Herbst 2022.

Hier fand die Gläubigerversammlung statt: das Amtsgericht München.
Hier fand die Gläubigerversammlung statt: das Amtsgericht München. © aniel von Loeper

Die Eltern der 73 Kinder, die die Realschule bis zur Insolvenz besuchten, ahnten von dem finanziellen Desaster nichts. Erst am 13. März um 18.40 Uhr kam eine Mail mit einer Einladung zu einer außerordentlichen Elternversammlung. Darin hieß es: "Liebe Eltern, wir erleben im Moment stürmische und unsichere Zeiten. Auch an unserer geliebten ISM zerrt der Sturm. Wir haben letzte Woche auf Anraten unseres Rechtsanwalts und Sanierungsberaters einen Eigen-Antrag auf Insolvenz gestellt." Der Schulbetrieb laufe aber weiter wie bisher.

Die Eltern reagierten geschockt, entsetzt, fassungslos. "Wo ist das ganze Geld? Wir haben doch alle bezahlt", sagt eine Mutter. "Wie kann das sein, dass eine Schule staatlich genehmigt wird, aber dann keiner mehr hinschaut?" Die Eltern erfuhren, dass die Lehrer seit Februar nicht mehr bezahlt worden waren.

Nur 28 Schüler sind noch übrig

Nach der Hiobsbotschaft über die Insolvenz startete die Schule eine "Rettungsaktion", suchte nach Sponsoren, neuen Schülern, bat die Eltern um weitere Darlehen. Die Verantwortlichen wollen den Schulbetrieb unbedingt aufrechterhalten und bis Herbst durchhalten – wenn dann im fünften Betriebsjahr staatliche Gelder fließen würden. Nach AZ-Informationen haben die Gesellschafter sogar im Insolvenzverfahren noch Geld zugeschossen. Damit konnten die Lehrer rückwirkend bezahlt werden.

Doch viele Eltern haben ihre Kinder längst von der Schule genommen. Gerade mal 28 sind noch übrig. Durch den Schülerschwund schrumpfen auch die Einnahmen der Schule weiter. Nun hat die Insolvenzverwalterin den Lehrern zum Ende des Schuljahres gekündigt. Am Dienstag vor Gericht hat sie zudem einen Antrag auf Stilllegung gestellt.


Betroffene Mutter: "Ich fühle mich ausgenutzt"

Es war die Web-Seite der Schule, die die Mutter überzeugte. Darauf ist ein Video, in dem Stefan Ostermaier, der Gründer der "innovativen Schule" in Trudering, das Konzept der Realschule vorstellt. Die Kinder würden angstfrei lernen in schöner Umgebung, Noten seien kein Druckmittel, nur "Gradmesser“.

Anna P. (Name geändert) erschien das als genau das richtige Umfeld für ihren Sohn. Die alleinerziehende Mutter wollte ihn aus seiner bisherigen Schule herausnehmen, es war 2020 – mitten in der Pandemie. "Das Konzept der innovativen Realschule klang toll", sagt sie.
Weil sie das Beste für ihren Sohn wollte, nahm sie die hohen Kosten zähneknirschend in Kauf. "Ich musste ein Schul-Darlehen von 6.000 Euro zahlen. Es hieß, dass man das nach dem Ende der Schulzeit wiederbekommt. Außerdem habe ich 2.500 Euro Schulgeldvorauszahlung geleistet als eine Art Kaution – plus 520 Euro Schulgeld pro Monat."

Doch dann erfuhr sie kurz vor den Osterferien, dass die Schule insolvent sei – angeblich wegen Corona, zu wenige neue Schüler seien dazugekommen. "Meine 8.500 Euro sind weg. Das ist sehr viel Geld für mich. Ich habe erst mal nur geheult", sagt Anna P. zur AZ. "Ich fühle mich ausgenutzt, beklaut und betrogen."

Fassungslos war sie, als die Schule erneut um Geld bat. "Wir Eltern hätten noch mal 100.000 Euro aufbringen sollen, um den Schulbetrieb bis zum Ende des Schuljahrs am Laufen zu halten."

Der Sohn der Münchnerin geht mittlerweile auf eine andere Schule.


Das sagt das Ministerium: Insolvenz eines privaten Schulträgers: Ausnahmefall

  • Welche Erkenntnisse hat das Kultusministerium, warum die Schule pleitegegangen ist? Gab es bereits Warnzeichen? Gibt es einen plausiblen Zusammenhang mit Corona? "Seitens des Schulträgers wurden dem Ministerium keine Zahlungsschwierigkeiten mitgeteilt", heißt es in dem Statement des Ministeriums. "Staatliche Zuschüsse gegenüber privaten Schulträgern wurden in den zurückliegenden, von Corona betroffenen Schuljahren, weiterhin in voller Höhe ausgezahlt, auch während der Phase der Schulschließungen."
  • Wie werden Privatschulen generell unterstützt? "Träger privater Realschulen erhalten staatliche Leistungen nach dem Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz (BaySchFG)", so das Ministerium. "Aufgrund der gesetzlichen Wartefrist werden die staatlichen Zuschüsse für den notwendigen Personal- und Schulaufwand frühestens ab dem fünften Jahr nach Schulgründung gewährt. Mit der Wartefrist wird auch Schutzbedürfnissen Rechnung getragen. Die staatlich genehmigte Innovative Realschule München der Innovative Schulen München gemeinnützigen GmbH besteht erst seit dem 1.8.2018, der private Schulträger erhielt daher wie vorgesehen noch keine staatlichen Leistungen für den notwendigen Personalaufwand, sondern nur den staatlichen Schulgeldersatz (seit Beginn des Schulbetriebs)."
  • Können von staatlicher Seite Maßnahmen getroffen werden, die Schule zu retten? "Die Leistungen für Träger privater Realschulen sind im BaySchFG abschließend geregelt. Für die Gewährung einer zusätzlichen monetären Hilfe des Staatsministeriums im Falle einer drohenden Insolvenz besteht daher weder eine Rechtsgrundlage, noch sind im Staatshaushalt hierfür Mittel bereitgestellt."
  • Kommt es häufiger vor, dass eine Privatschule pleitegeht? Nein, sagt das Ministerium: "Die Insolvenz eines privaten Schulträgers ist ein Ausnahmefall."
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.